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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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So ist mein Mißtrauen gegen den Einsiedler
glücklich zu Schanden geworden.

Wenn Einer auf die Welt verzichtet, sie mag
ihm sein, was sie will, und jahrelang in der Wild-
niß lebt unter unsäglichen Entbehrungen und mit
eisernem Willen die Sehnsucht seiner Seele be-
kämpft -- dem ist es ernst. -- Zu welchem Zwecke
wäre er auch in die Wälder gegangen, lange ehvor
am Steg noch ein Kirchenstein gelegen, zu welchem
Zwecke hätte er sich gemieden gemacht von den
Leuten und seinem Wohlthätigkeitsdrang nur im
Verborgenen zu genügen gesucht? -- Und vor mei-
nen Augen hat er die Fasern seines Herzens ent-
wirrt, daß ich zutiefst hineinsehe in sein Inneres,
wie es auch dasteht in der Schuld.

Oft habe ich mir gedacht, der erste Seelsorger
in Winkelsteg darf kein Gerechter sein, sondern ein
Büßer. Nicht ein Mann sei es, der nie gefallen,
sondern einer, der aus dem Falle ist aufgestanden.
In der Tiefe und Finsterniß der Wäldler muß er
stehen und sich zurechtfinden können, auf daß er
diesen Menschen vorauszugehen weiß empor zur
lichten Höhe.



So iſt mein Mißtrauen gegen den Einſiedler
glücklich zu Schanden geworden.

Wenn Einer auf die Welt verzichtet, ſie mag
ihm ſein, was ſie will, und jahrelang in der Wild-
niß lebt unter unſäglichen Entbehrungen und mit
eiſernem Willen die Sehnſucht ſeiner Seele be-
kämpft — dem iſt es ernſt. — Zu welchem Zwecke
wäre er auch in die Wälder gegangen, lange ehvor
am Steg noch ein Kirchenſtein gelegen, zu welchem
Zwecke hätte er ſich gemieden gemacht von den
Leuten und ſeinem Wohlthätigkeitsdrang nur im
Verborgenen zu genügen geſucht? — Und vor mei-
nen Augen hat er die Faſern ſeines Herzens ent-
wirrt, daß ich zutiefſt hineinſehe in ſein Inneres,
wie es auch daſteht in der Schuld.

Oft habe ich mir gedacht, der erſte Seelſorger
in Winkelſteg darf kein Gerechter ſein, ſondern ein
Büßer. Nicht ein Mann ſei es, der nie gefallen,
ſondern einer, der aus dem Falle iſt aufgeſtanden.
In der Tiefe und Finſterniß der Wäldler muß er
ſtehen und ſich zurechtfinden können, auf daß er
dieſen Menſchen vorauszugehen weiß empor zur
lichten Höhe.



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[302/0312] So iſt mein Mißtrauen gegen den Einſiedler glücklich zu Schanden geworden. Wenn Einer auf die Welt verzichtet, ſie mag ihm ſein, was ſie will, und jahrelang in der Wild- niß lebt unter unſäglichen Entbehrungen und mit eiſernem Willen die Sehnſucht ſeiner Seele be- kämpft — dem iſt es ernſt. — Zu welchem Zwecke wäre er auch in die Wälder gegangen, lange ehvor am Steg noch ein Kirchenſtein gelegen, zu welchem Zwecke hätte er ſich gemieden gemacht von den Leuten und ſeinem Wohlthätigkeitsdrang nur im Verborgenen zu genügen geſucht? — Und vor mei- nen Augen hat er die Faſern ſeines Herzens ent- wirrt, daß ich zutiefſt hineinſehe in ſein Inneres, wie es auch daſteht in der Schuld. Oft habe ich mir gedacht, der erſte Seelſorger in Winkelſteg darf kein Gerechter ſein, ſondern ein Büßer. Nicht ein Mann ſei es, der nie gefallen, ſondern einer, der aus dem Falle iſt aufgeſtanden. In der Tiefe und Finſterniß der Wäldler muß er ſtehen und ſich zurechtfinden können, auf daß er dieſen Menſchen vorauszugehen weiß empor zur lichten Höhe.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/312>, abgerufen am 24.11.2024.