Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Bleistift, theils mit blasser Tinte, bald flüchtig
bald mit Fleiß geschrieben. Und da lagen zwischen
Blättern gepreßte Pflanzen, entstaubte Schmetter-
linge und eine Menge Thier- und Landschaftszeich-
nungen, zumeist gar recht unbeholfen gemacht. Aber
ein Bild fiel mir doch auf, ein mit bunten Far-
ben bemaltes, eigenartiges, komisches Bild. Es
stellte einen alten Mann dar. Der kauerte auf
einem Baumstrunk und schmauchte eine langberohrte
Pfeife. Auf dem Haupte, dessen Haare nach rück-
wärts gekämt waren, hatte er eine plattgedrückte,
schwarze Kappe mit einem breiten, wagrecht hinaus-
stehenden Schilde. Aber ein Künstler war es doch,
der das Bild gemacht; im Ausdrucke des Angesichts
war er zu spüren. Aus dem einen Auge, das
ganz offen stand, blickte eine ernste und doch milde
Seele heraus; aus dem andern, das halb geschlossen
nur so blinzelte, sah ein wenig Schalkheit hervor.
In einem Hause, aus dessen Fenstern solche Gäste
lugen, ist's nicht gar sonderlich arm und öde. Ueber
den, vom wohlwollenden Künstler vielleicht doch zu
rosig gehaltenen Wangen war es aber fast, als ob
seiner Zeit Wildbäche Furchen gerissen hätten.
Völlig spaßhaft hingegen nahm sich auf dem sonst
völlig glatt rasirten Gesichte der lange weiße Spitz-
bart aus; er war unter dem vorgebeugten Kopfe
wie ein vom Kinne niederhängender Eiszapfen.

2*

mit Bleiſtift, theils mit blaſſer Tinte, bald flüchtig
bald mit Fleiß geſchrieben. Und da lagen zwiſchen
Blättern gepreßte Pflanzen, entſtaubte Schmetter-
linge und eine Menge Thier- und Landſchaftszeich-
nungen, zumeiſt gar recht unbeholfen gemacht. Aber
ein Bild fiel mir doch auf, ein mit bunten Far-
ben bemaltes, eigenartiges, komiſches Bild. Es
ſtellte einen alten Mann dar. Der kauerte auf
einem Baumſtrunk und ſchmauchte eine langberohrte
Pfeife. Auf dem Haupte, deſſen Haare nach rück-
wärts gekämt waren, hatte er eine plattgedrückte,
ſchwarze Kappe mit einem breiten, wagrecht hinaus-
ſtehenden Schilde. Aber ein Künſtler war es doch,
der das Bild gemacht; im Ausdrucke des Angeſichts
war er zu ſpüren. Aus dem einen Auge, das
ganz offen ſtand, blickte eine ernſte und doch milde
Seele heraus; aus dem andern, das halb geſchloſſen
nur ſo blinzelte, ſah ein wenig Schalkheit hervor.
In einem Hauſe, aus deſſen Fenſtern ſolche Gäſte
lugen, iſt’s nicht gar ſonderlich arm und öde. Ueber
den, vom wohlwollenden Künſtler vielleicht doch zu
roſig gehaltenen Wangen war es aber faſt, als ob
ſeiner Zeit Wildbäche Furchen geriſſen hätten.
Völlig ſpaßhaft hingegen nahm ſich auf dem ſonſt
völlig glatt raſirten Geſichte der lange weiße Spitz-
bart aus; er war unter dem vorgebeugten Kopfe
wie ein vom Kinne niederhängender Eiszapfen.

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
mit Blei&#x017F;tift, theils mit bla&#x017F;&#x017F;er Tinte, bald flüchtig<lb/>
bald mit Fleiß ge&#x017F;chrieben. Und da lagen zwi&#x017F;chen<lb/>
Blättern gepreßte Pflanzen, ent&#x017F;taubte Schmetter-<lb/>
linge und eine Menge Thier- und Land&#x017F;chaftszeich-<lb/>
nungen, zumei&#x017F;t gar recht unbeholfen gemacht. Aber<lb/><hi rendition="#g">ein</hi> Bild fiel mir doch auf, ein mit bunten Far-<lb/>
ben bemaltes, eigenartiges, komi&#x017F;ches Bild. Es<lb/>
&#x017F;tellte einen alten Mann dar. Der kauerte auf<lb/>
einem Baum&#x017F;trunk und &#x017F;chmauchte eine langberohrte<lb/>
Pfeife. Auf dem Haupte, de&#x017F;&#x017F;en Haare nach rück-<lb/>
wärts gekämt waren, hatte er eine plattgedrückte,<lb/>
&#x017F;chwarze Kappe mit einem breiten, wagrecht hinaus-<lb/>
&#x017F;tehenden Schilde. Aber ein Kün&#x017F;tler war es doch,<lb/>
der das Bild gemacht; im Ausdrucke des Ange&#x017F;ichts<lb/>
war er zu &#x017F;püren. Aus dem einen Auge, das<lb/>
ganz offen &#x017F;tand, blickte eine ern&#x017F;te und doch milde<lb/>
Seele heraus; aus dem andern, das halb ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
nur &#x017F;o blinzelte, &#x017F;ah ein wenig Schalkheit hervor.<lb/>
In einem Hau&#x017F;e, aus de&#x017F;&#x017F;en Fen&#x017F;tern &#x017F;olche Gä&#x017F;te<lb/>
lugen, i&#x017F;t&#x2019;s nicht gar &#x017F;onderlich arm und öde. Ueber<lb/>
den, vom wohlwollenden Kün&#x017F;tler vielleicht doch zu<lb/>
ro&#x017F;ig gehaltenen Wangen war es aber fa&#x017F;t, als ob<lb/>
&#x017F;einer Zeit Wildbäche Furchen geri&#x017F;&#x017F;en hätten.<lb/>
Völlig &#x017F;paßhaft hingegen nahm &#x017F;ich auf dem &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
völlig glatt ra&#x017F;irten Ge&#x017F;ichte der lange weiße Spitz-<lb/>
bart aus; er war unter dem vorgebeugten Kopfe<lb/>
wie ein vom Kinne niederhängender Eiszapfen.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] mit Bleiſtift, theils mit blaſſer Tinte, bald flüchtig bald mit Fleiß geſchrieben. Und da lagen zwiſchen Blättern gepreßte Pflanzen, entſtaubte Schmetter- linge und eine Menge Thier- und Landſchaftszeich- nungen, zumeiſt gar recht unbeholfen gemacht. Aber ein Bild fiel mir doch auf, ein mit bunten Far- ben bemaltes, eigenartiges, komiſches Bild. Es ſtellte einen alten Mann dar. Der kauerte auf einem Baumſtrunk und ſchmauchte eine langberohrte Pfeife. Auf dem Haupte, deſſen Haare nach rück- wärts gekämt waren, hatte er eine plattgedrückte, ſchwarze Kappe mit einem breiten, wagrecht hinaus- ſtehenden Schilde. Aber ein Künſtler war es doch, der das Bild gemacht; im Ausdrucke des Angeſichts war er zu ſpüren. Aus dem einen Auge, das ganz offen ſtand, blickte eine ernſte und doch milde Seele heraus; aus dem andern, das halb geſchloſſen nur ſo blinzelte, ſah ein wenig Schalkheit hervor. In einem Hauſe, aus deſſen Fenſtern ſolche Gäſte lugen, iſt’s nicht gar ſonderlich arm und öde. Ueber den, vom wohlwollenden Künſtler vielleicht doch zu roſig gehaltenen Wangen war es aber faſt, als ob ſeiner Zeit Wildbäche Furchen geriſſen hätten. Völlig ſpaßhaft hingegen nahm ſich auf dem ſonſt völlig glatt raſirten Geſichte der lange weiße Spitz- bart aus; er war unter dem vorgebeugten Kopfe wie ein vom Kinne niederhängender Eiszapfen. 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/29
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/29>, abgerufen am 26.04.2024.