Um diese Zeit kommt mir aus Rom ein ehrendes Anerkennungsschreiben zu, mit der Er- mahnung zu fernerer Klugheit. Klugheit? Selbst- verständlich handle ich ohne Hinterhalt, wie es mir Kopf und Herz eingibt. Es ist aber ein schönes Leben für mich gewesen. Die Welt lächelt, und mir gefällt ihr Lächeln wieder. Leicht trage ich das Ge- lübde der Armut, denn ich wohne im Königspalast. Treu bleibe ich dem Gelübde der Entsagung, denn was ich genieße, das genieße ich nicht mir, sondern Gott zu Liebe. Auch das Marienbild mit dem Kinde in unserer Schloßkapelle habe ich wieder inbrünstig zu ehren vermocht.
Da bricht eine bewegte Zeit an. In der Welt wüthet die Empörung; auch in unserem Lande gährt ein Aufruhr. Oefter als sonst versammelt der König die Großen des Reiches um sich, und angelegent- licher wird die Beichte, die er an jedem dreißigsten Tag mir ablegt.
Da kommt eines Tages an mich ein Befehl aus Rom; er ist mit einem großen Siegel ver- schlossen. Als ich ihn gelesen und erwogen, lehnt sich etwas in mir auf und frägt laut: Wie habt ihr das Recht, euch zwischen König und Volk zu drängen und das Gesetz von dem Altare des Vater- landes zu reißen! -- Da sehe ich plötzlich, welch eine Gewalt mir in die Hand gegeben ist und nun
Um dieſe Zeit kommt mir aus Rom ein ehrendes Anerkennungsſchreiben zu, mit der Er- mahnung zu fernerer Klugheit. Klugheit? Selbſt- verſtändlich handle ich ohne Hinterhalt, wie es mir Kopf und Herz eingibt. Es iſt aber ein ſchönes Leben für mich geweſen. Die Welt lächelt, und mir gefällt ihr Lächeln wieder. Leicht trage ich das Ge- lübde der Armut, denn ich wohne im Königspalaſt. Treu bleibe ich dem Gelübde der Entſagung, denn was ich genieße, das genieße ich nicht mir, ſondern Gott zu Liebe. Auch das Marienbild mit dem Kinde in unſerer Schloßkapelle habe ich wieder inbrünſtig zu ehren vermocht.
Da bricht eine bewegte Zeit an. In der Welt wüthet die Empörung; auch in unſerem Lande gährt ein Aufruhr. Oefter als ſonſt verſammelt der König die Großen des Reiches um ſich, und angelegent- licher wird die Beichte, die er an jedem dreißigſten Tag mir ablegt.
Da kommt eines Tages an mich ein Befehl aus Rom; er iſt mit einem großen Siegel ver- ſchloſſen. Als ich ihn geleſen und erwogen, lehnt ſich etwas in mir auf und frägt laut: Wie habt ihr das Recht, euch zwiſchen König und Volk zu drängen und das Geſetz von dem Altare des Vater- landes zu reißen! — Da ſehe ich plötzlich, welch eine Gewalt mir in die Hand gegeben iſt und nun
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Um dieſe Zeit kommt mir aus Rom ein
ehrendes Anerkennungsſchreiben zu, mit der Er-
mahnung zu fernerer Klugheit. Klugheit? Selbſt-
verſtändlich handle ich ohne Hinterhalt, wie es mir
Kopf und Herz eingibt. Es iſt aber ein ſchönes
Leben für mich geweſen. Die Welt lächelt, und mir
gefällt ihr Lächeln wieder. Leicht trage ich das Ge-
lübde der Armut, denn ich wohne im Königspalaſt.
Treu bleibe ich dem Gelübde der Entſagung, denn
was ich genieße, das genieße ich nicht mir, ſondern
Gott zu Liebe. Auch das Marienbild mit dem
Kinde in unſerer Schloßkapelle habe ich wieder
inbrünſtig zu ehren vermocht.
Da bricht eine bewegte Zeit an. In der Welt
wüthet die Empörung; auch in unſerem Lande gährt
ein Aufruhr. Oefter als ſonſt verſammelt der König
die Großen des Reiches um ſich, und angelegent-
licher wird die Beichte, die er an jedem dreißigſten
Tag mir ablegt.
Da kommt eines Tages an mich ein Befehl
aus Rom; er iſt mit einem großen Siegel ver-
ſchloſſen. Als ich ihn geleſen und erwogen, lehnt
ſich etwas in mir auf und frägt laut: Wie habt
ihr das Recht, euch zwiſchen König und Volk zu
drängen und das Geſetz von dem Altare des Vater-
landes zu reißen! — Da ſehe ich plötzlich, welch
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/284>, abgerufen am 24.11.2024.
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