Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

schlagst mir's ab, wenn ich ein Edelweiß verlang'
von der hohen Wand herab?"

"Mein Leben, ein Edelweiß sollst du haben?"
jauchzt der Bursch, denkt aber nicht daran, daß sie
die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil sie
unbesteigbar ist, weil an ihrem Fuß sechs Marter-
tafeln stehen, von Wurznern und Gemsjägern zei-
gend, die herabgestürzt. Und die Sennin bedenkt es
nicht, daß sie die siebente Martertafel begehrt.

Aber dasselb' ist wol wahr, daß Einem die
Lieb' toll den Kopf verrückt. Der Forstjunge hat
sich aufgemacht noch an demselbigen Tag.

Er besteigt das niedrigere Gewände, über wel-
ches der Holzhauer mit seiner Kraxe noch wandeln
muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner
seinen Speik aussticht; er schwingt sich über Schluch-
ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger
traut. Und er erreicht endlich jene schaudervollen
Stellen an der Teufelsburg, die unter sich den zer-
rissenen Abgrund, über sich das senkrecht aufsteigende
Gethürme haben.

Auf einem nächsten Felsvorsprung ist ein
Gemslein gestanden, das hat lustig sein Haupt
erhoben und spottend auf den Burschen herüber-
geschaut. Es ist nicht geflohen, da oben ist das
Wild der Jäger und der Mensch das hilflose
Wild. Das Gemslein scharrt mit dem Forder-

ſchlagſt mir’s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang’
von der hohen Wand herab?“

„Mein Leben, ein Edelweiß ſollſt du haben?“
jauchzt der Burſch, denkt aber nicht daran, daß ſie
die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil ſie
unbeſteigbar iſt, weil an ihrem Fuß ſechs Marter-
tafeln ſtehen, von Wurznern und Gemsjägern zei-
gend, die herabgeſtürzt. Und die Sennin bedenkt es
nicht, daß ſie die ſiebente Martertafel begehrt.

Aber dasſelb’ iſt wol wahr, daß Einem die
Lieb’ toll den Kopf verrückt. Der Forſtjunge hat
ſich aufgemacht noch an demſelbigen Tag.

Er beſteigt das niedrigere Gewände, über wel-
ches der Holzhauer mit ſeiner Kraxe noch wandeln
muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner
ſeinen Speik ausſticht; er ſchwingt ſich über Schluch-
ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger
traut. Und er erreicht endlich jene ſchaudervollen
Stellen an der Teufelsburg, die unter ſich den zer-
riſſenen Abgrund, über ſich das ſenkrecht aufſteigende
Gethürme haben.

Auf einem nächſten Felsvorſprung iſt ein
Gemslein geſtanden, das hat luſtig ſein Haupt
erhoben und ſpottend auf den Burſchen herüber-
geſchaut. Es iſt nicht geflohen, da oben iſt das
Wild der Jäger und der Menſch das hilfloſe
Wild. Das Gemslein ſcharrt mit dem Forder-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="226"/>
&#x017F;chlag&#x017F;t mir&#x2019;s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang&#x2019;<lb/>
von der hohen Wand herab?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Mein Leben, ein Edelweiß &#x017F;oll&#x017F;t du haben?&#x201C;<lb/>
jauchzt der Bur&#x017F;ch, denkt aber nicht daran, daß &#x017F;ie<lb/>
die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil &#x017F;ie<lb/>
unbe&#x017F;teigbar i&#x017F;t, weil an ihrem Fuß &#x017F;echs Marter-<lb/>
tafeln &#x017F;tehen, von Wurznern und Gemsjägern zei-<lb/>
gend, die herabge&#x017F;türzt. Und die Sennin bedenkt es<lb/>
nicht, daß &#x017F;ie die &#x017F;iebente Martertafel begehrt.</p><lb/>
          <p>Aber das&#x017F;elb&#x2019; i&#x017F;t wol wahr, daß Einem die<lb/>
Lieb&#x2019; toll den Kopf verrückt. Der For&#x017F;tjunge hat<lb/>
&#x017F;ich aufgemacht noch an dem&#x017F;elbigen Tag.</p><lb/>
          <p>Er be&#x017F;teigt das niedrigere Gewände, über wel-<lb/>
ches der Holzhauer mit &#x017F;einer Kraxe noch wandeln<lb/>
muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner<lb/>
&#x017F;einen Speik aus&#x017F;ticht; er &#x017F;chwingt &#x017F;ich über Schluch-<lb/>
ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger<lb/>
traut. Und er erreicht endlich jene &#x017F;chaudervollen<lb/>
Stellen an der Teufelsburg, die unter &#x017F;ich den zer-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;enen Abgrund, über &#x017F;ich das &#x017F;enkrecht auf&#x017F;teigende<lb/>
Gethürme haben.</p><lb/>
          <p>Auf einem näch&#x017F;ten Felsvor&#x017F;prung i&#x017F;t ein<lb/>
Gemslein ge&#x017F;tanden, das hat lu&#x017F;tig &#x017F;ein Haupt<lb/>
erhoben und &#x017F;pottend auf den Bur&#x017F;chen herüber-<lb/>
ge&#x017F;chaut. Es i&#x017F;t nicht geflohen, da oben i&#x017F;t das<lb/>
Wild der Jäger und der Men&#x017F;ch das hilflo&#x017F;e<lb/>
Wild. Das Gemslein &#x017F;charrt mit dem Forder-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0236] ſchlagſt mir’s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang’ von der hohen Wand herab?“ „Mein Leben, ein Edelweiß ſollſt du haben?“ jauchzt der Burſch, denkt aber nicht daran, daß ſie die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil ſie unbeſteigbar iſt, weil an ihrem Fuß ſechs Marter- tafeln ſtehen, von Wurznern und Gemsjägern zei- gend, die herabgeſtürzt. Und die Sennin bedenkt es nicht, daß ſie die ſiebente Martertafel begehrt. Aber dasſelb’ iſt wol wahr, daß Einem die Lieb’ toll den Kopf verrückt. Der Forſtjunge hat ſich aufgemacht noch an demſelbigen Tag. Er beſteigt das niedrigere Gewände, über wel- ches der Holzhauer mit ſeiner Kraxe noch wandeln muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner ſeinen Speik ausſticht; er ſchwingt ſich über Schluch- ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger traut. Und er erreicht endlich jene ſchaudervollen Stellen an der Teufelsburg, die unter ſich den zer- riſſenen Abgrund, über ſich das ſenkrecht aufſteigende Gethürme haben. Auf einem nächſten Felsvorſprung iſt ein Gemslein geſtanden, das hat luſtig ſein Haupt erhoben und ſpottend auf den Burſchen herüber- geſchaut. Es iſt nicht geflohen, da oben iſt das Wild der Jäger und der Menſch das hilfloſe Wild. Das Gemslein ſcharrt mit dem Forder-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/236
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/236>, abgerufen am 08.05.2024.