Ich bin dieser Tage wieder auf dem Zahn gewesen. Bald werde ich ja an den Glockenstrick geknüpft sein, wenn andere Leute Feiertag haben. Es sei, der Glockenstrick ist ein langer Athem, der sagt mit jedem Zug den Menschen was Gutes und lobet Gott.
Ich habe von dem hohen Berge aus nach den Niederungen geschaut, aber das Meer hab ich nicht gesehen. Ich habe gegen Mitternacht geschaut bis zu den fernsten Kanten hin, von da aus man viel- leicht das Flachland könnt' sehen, und die Stadt und den Giebel des Hauses, und das Gefunkel der Fenster . . . .
Und wie lang' müßtest du fliegen, du Blick meines Auges, bis hin in's Sachsenland zum Grabe! . . . .
Der scharfe Wind hat meine Gedanken abge- schnitten. Da bin ich wieder niederwärts gestiegen.
An einem Ueberhang des Grates habe ich etwas recht Freundliches gefunden.
Das habe ich am Gestade des fernen See's von meiner Ahne schon gehört, und das habe ich von den Menschen dieses Waldlandes wiederholt vernommen, daß in der Sonne drin die heilige Jungfrau Maria am Spinnrade sitzt. Sie spinnt Wolle von schneeweißen Lämmlein, wie sie im Paradiese weiden. Da ist ihr einmal, als sie bei
Ich bin dieſer Tage wieder auf dem Zahn geweſen. Bald werde ich ja an den Glockenſtrick geknüpft ſein, wenn andere Leute Feiertag haben. Es ſei, der Glockenſtrick iſt ein langer Athem, der ſagt mit jedem Zug den Menſchen was Gutes und lobet Gott.
Ich habe von dem hohen Berge aus nach den Niederungen geſchaut, aber das Meer hab ich nicht geſehen. Ich habe gegen Mitternacht geſchaut bis zu den fernſten Kanten hin, von da aus man viel- leicht das Flachland könnt’ ſehen, und die Stadt und den Giebel des Hauſes, und das Gefunkel der Fenſter . . . .
Und wie lang’ müßteſt du fliegen, du Blick meines Auges, bis hin in’s Sachſenland zum Grabe! . . . .
Der ſcharfe Wind hat meine Gedanken abge- ſchnitten. Da bin ich wieder niederwärts geſtiegen.
An einem Ueberhang des Grates habe ich etwas recht Freundliches gefunden.
Das habe ich am Geſtade des fernen See’s von meiner Ahne ſchon gehört, und das habe ich von den Menſchen dieſes Waldlandes wiederholt vernommen, daß in der Sonne drin die heilige Jungfrau Maria am Spinnrade ſitzt. Sie ſpinnt Wolle von ſchneeweißen Lämmlein, wie ſie im Paradieſe weiden. Da iſt ihr einmal, als ſie bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0233"n="223"/><p>Ich bin dieſer Tage wieder auf dem Zahn<lb/>
geweſen. Bald werde ich ja an den Glockenſtrick<lb/>
geknüpft ſein, wenn andere Leute Feiertag haben.<lb/>
Es ſei, der Glockenſtrick iſt ein langer Athem, der<lb/>ſagt mit jedem Zug den Menſchen was Gutes und<lb/>
lobet Gott.</p><lb/><p>Ich habe von dem hohen Berge aus nach den<lb/>
Niederungen geſchaut, aber das Meer hab ich nicht<lb/>
geſehen. Ich habe gegen Mitternacht geſchaut bis<lb/>
zu den fernſten Kanten hin, von da aus man viel-<lb/>
leicht das Flachland könnt’ſehen, und die Stadt<lb/>
und den Giebel des Hauſes, und das Gefunkel der<lb/>
Fenſter . . . .</p><lb/><p>Und wie lang’ müßteſt du fliegen, du Blick<lb/>
meines Auges, bis hin in’s Sachſenland zum<lb/>
Grabe! . . . .</p><lb/><p>Der ſcharfe Wind hat meine Gedanken abge-<lb/>ſchnitten. Da bin ich wieder niederwärts geſtiegen.</p><lb/><p>An einem Ueberhang des Grates habe ich<lb/>
etwas recht Freundliches gefunden.</p><lb/><p>Das habe ich am Geſtade des fernen See’s<lb/>
von meiner Ahne ſchon gehört, und das habe ich<lb/>
von den Menſchen dieſes Waldlandes wiederholt<lb/>
vernommen, daß in der Sonne drin die heilige<lb/>
Jungfrau Maria am Spinnrade ſitzt. Sie ſpinnt<lb/>
Wolle von ſchneeweißen Lämmlein, wie ſie im<lb/>
Paradieſe weiden. Da iſt ihr einmal, als ſie bei<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[223/0233]
Ich bin dieſer Tage wieder auf dem Zahn
geweſen. Bald werde ich ja an den Glockenſtrick
geknüpft ſein, wenn andere Leute Feiertag haben.
Es ſei, der Glockenſtrick iſt ein langer Athem, der
ſagt mit jedem Zug den Menſchen was Gutes und
lobet Gott.
Ich habe von dem hohen Berge aus nach den
Niederungen geſchaut, aber das Meer hab ich nicht
geſehen. Ich habe gegen Mitternacht geſchaut bis
zu den fernſten Kanten hin, von da aus man viel-
leicht das Flachland könnt’ ſehen, und die Stadt
und den Giebel des Hauſes, und das Gefunkel der
Fenſter . . . .
Und wie lang’ müßteſt du fliegen, du Blick
meines Auges, bis hin in’s Sachſenland zum
Grabe! . . . .
Der ſcharfe Wind hat meine Gedanken abge-
ſchnitten. Da bin ich wieder niederwärts geſtiegen.
An einem Ueberhang des Grates habe ich
etwas recht Freundliches gefunden.
Das habe ich am Geſtade des fernen See’s
von meiner Ahne ſchon gehört, und das habe ich
von den Menſchen dieſes Waldlandes wiederholt
vernommen, daß in der Sonne drin die heilige
Jungfrau Maria am Spinnrade ſitzt. Sie ſpinnt
Wolle von ſchneeweißen Lämmlein, wie ſie im
Paradieſe weiden. Da iſt ihr einmal, als ſie bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/233>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.