Vor mehreren Jahrhunderten sollen in der Gegend der Winkelwässer Menschen gewohnt haben die sich von Getreidebau, Viehzucht und Jagd ernährt. -- Die Winkel ist fürsorglich eingedämmt, an ihren Ufern hin grünen gepflegte Wiesen und ein Fahr- weg führt hinaus zu den vorderen Gegenden. An den Bergen grünen Felder. -- So soll es gewesen sein. Unweit von dem Platze, wo jetzt das Holz- meisterhaus steht, zeigt ein Mauerrest die Stätte, wo eine Kirche gestanden haben soll. Zwar geht die Meinung, es sei keine Kirche gewesen, sondern ein Götzentempel, in welchem sie noch dem Woutan Meth zugetrunken und Thiere geopfert, so oft der Vollmondschein durch die Blätter der Linden gerieselt. Zur selben alten Zeit sei jedes Jahr ein schneeweißer Rabe niedergeflogen von den Alpen- wüsten, und diesem habe man Korn auf die Steine gestreut, der Vogel habe das Korn aufgepickt und hierauf sei er wieder von dannen geflogen. Einmal
Rosegger: Waldschulmeister. 12
1815.
Vor mehreren Jahrhunderten ſollen in der Gegend der Winkelwäſſer Menſchen gewohnt haben die ſich von Getreidebau, Viehzucht und Jagd ernährt. — Die Winkel iſt fürſorglich eingedämmt, an ihren Ufern hin grünen gepflegte Wieſen und ein Fahr- weg führt hinaus zu den vorderen Gegenden. An den Bergen grünen Felder. — So ſoll es geweſen ſein. Unweit von dem Platze, wo jetzt das Holz- meiſterhaus ſteht, zeigt ein Mauerreſt die Stätte, wo eine Kirche geſtanden haben ſoll. Zwar geht die Meinung, es ſei keine Kirche geweſen, ſondern ein Götzentempel, in welchem ſie noch dem Woutan Meth zugetrunken und Thiere geopfert, ſo oft der Vollmondſchein durch die Blätter der Linden gerieſelt. Zur ſelben alten Zeit ſei jedes Jahr ein ſchneeweißer Rabe niedergeflogen von den Alpen- wüſten, und dieſem habe man Korn auf die Steine geſtreut, der Vogel habe das Korn aufgepickt und hierauf ſei er wieder von dannen geflogen. Einmal
Roſegger: Waldſchulmeiſter. 12
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1815.
Vor mehreren Jahrhunderten ſollen in der
Gegend der Winkelwäſſer Menſchen gewohnt haben
die ſich von Getreidebau, Viehzucht und Jagd ernährt.
— Die Winkel iſt fürſorglich eingedämmt, an ihren
Ufern hin grünen gepflegte Wieſen und ein Fahr-
weg führt hinaus zu den vorderen Gegenden. An
den Bergen grünen Felder. — So ſoll es geweſen
ſein. Unweit von dem Platze, wo jetzt das Holz-
meiſterhaus ſteht, zeigt ein Mauerreſt die Stätte,
wo eine Kirche geſtanden haben ſoll. Zwar geht die
Meinung, es ſei keine Kirche geweſen, ſondern ein
Götzentempel, in welchem ſie noch dem Woutan
Meth zugetrunken und Thiere geopfert, ſo oft
der Vollmondſchein durch die Blätter der Linden
gerieſelt. Zur ſelben alten Zeit ſei jedes Jahr ein
ſchneeweißer Rabe niedergeflogen von den Alpen-
wüſten, und dieſem habe man Korn auf die Steine
geſtreut, der Vogel habe das Korn aufgepickt und
hierauf ſei er wieder von dannen geflogen. Einmal
Roſegger: Waldſchulmeiſter. 12
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/187>, abgerufen am 04.05.2024.
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