Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

gegangen bis zu den Gletschern. Hier hab ich meine
Steigeisen an die Füße gebunden, das Ränzlein
enger geschnallt und den Bergstock fester in die
Hand genommen. Der Bergstock ist ein Erbstück
von dem schwarzen Mathes. Es sind in diesem
Stocke eine Unzahl kleiner Einschnitte, die aber nicht
andeuten, wie oft etwan sein früherer Eigner den
Zahn oder einen andern Berg bestiegen, sondern
wie viel Leute er im Raufen mit diesem Knittel
zu Boden geschlagen. Ein umheimlicher Geselle! --
und mir hat er emporhelfen müssen über die weite,
glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eis-
schründe und letztlich hinan den letzten steilen Hang
auf die Spitze des Zahn. Hat's getreulich gethan.
Und wie gerne hätte ich von diesem hohen Berge
aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit:
Freund, das ist ein guter Stock, wärst hoch mit
ihm gekommen, hättest ihn verstanden!

Jetzt steh' ich oben.

Wenn ich so ein Wesen thät' sein, das sich
an den Sonnenfäden könnt' emporspinnen in das
Reich Gottes . . . .

Unter einem Steinvorsprung auf verwittertem
Boden hab ich mich hingesetzt, hab die Dinge be-
trachtet. Hart um mich sind die feinen zerbröckeln-
den Zacken der völlig senkrecht liegenden Schiefer-
tafeln gewesen. Ueber mir wogt vielleicht ein scharfer

gegangen bis zu den Gletſchern. Hier hab ich meine
Steigeiſen an die Füße gebunden, das Ränzlein
enger geſchnallt und den Bergſtock feſter in die
Hand genommen. Der Bergſtock iſt ein Erbſtück
von dem ſchwarzen Mathes. Es ſind in dieſem
Stocke eine Unzahl kleiner Einſchnitte, die aber nicht
andeuten, wie oft etwan ſein früherer Eigner den
Zahn oder einen andern Berg beſtiegen, ſondern
wie viel Leute er im Raufen mit dieſem Knittel
zu Boden geſchlagen. Ein umheimlicher Geſelle! —
und mir hat er emporhelfen müſſen über die weite,
glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eis-
ſchründe und letztlich hinan den letzten ſteilen Hang
auf die Spitze des Zahn. Hat’s getreulich gethan.
Und wie gerne hätte ich von dieſem hohen Berge
aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit:
Freund, das iſt ein guter Stock, wärſt hoch mit
ihm gekommen, hätteſt ihn verſtanden!

Jetzt ſteh’ ich oben.

Wenn ich ſo ein Weſen thät’ ſein, das ſich
an den Sonnenfäden könnt’ emporſpinnen in das
Reich Gottes . . . .

Unter einem Steinvorſprung auf verwittertem
Boden hab ich mich hingeſetzt, hab die Dinge be-
trachtet. Hart um mich ſind die feinen zerbröckeln-
den Zacken der völlig ſenkrecht liegenden Schiefer-
tafeln geweſen. Ueber mir wogt vielleicht ein ſcharfer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="152"/>
gegangen bis zu den Glet&#x017F;chern. Hier hab ich meine<lb/>
Steigei&#x017F;en an die Füße gebunden, das Ränzlein<lb/>
enger ge&#x017F;chnallt und den Berg&#x017F;tock fe&#x017F;ter in die<lb/>
Hand genommen. Der Berg&#x017F;tock i&#x017F;t ein Erb&#x017F;tück<lb/>
von dem &#x017F;chwarzen Mathes. Es &#x017F;ind in die&#x017F;em<lb/>
Stocke eine Unzahl kleiner Ein&#x017F;chnitte, die aber nicht<lb/>
andeuten, wie oft etwan &#x017F;ein früherer Eigner den<lb/>
Zahn oder einen andern Berg be&#x017F;tiegen, &#x017F;ondern<lb/>
wie viel Leute er im Raufen mit die&#x017F;em Knittel<lb/>
zu Boden ge&#x017F;chlagen. Ein umheimlicher Ge&#x017F;elle! &#x2014;<lb/>
und mir hat er emporhelfen mü&#x017F;&#x017F;en über die weite,<lb/>
glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eis-<lb/>
&#x017F;chründe und letztlich hinan den letzten &#x017F;teilen Hang<lb/>
auf die Spitze des Zahn. Hat&#x2019;s getreulich gethan.<lb/>
Und wie gerne hätte ich von die&#x017F;em hohen Berge<lb/>
aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit:<lb/>
Freund, das i&#x017F;t ein guter Stock, wär&#x017F;t hoch mit<lb/>
ihm gekommen, hätte&#x017F;t ihn ver&#x017F;tanden!</p><lb/>
          <p>Jetzt &#x017F;teh&#x2019; ich oben.</p><lb/>
          <p>Wenn ich &#x017F;o ein We&#x017F;en thät&#x2019; &#x017F;ein, das &#x017F;ich<lb/>
an den Sonnenfäden könnt&#x2019; empor&#x017F;pinnen in das<lb/>
Reich Gottes . . . .</p><lb/>
          <p>Unter einem Steinvor&#x017F;prung auf verwittertem<lb/>
Boden hab ich mich hinge&#x017F;etzt, hab die Dinge be-<lb/>
trachtet. Hart um mich &#x017F;ind die feinen zerbröckeln-<lb/>
den Zacken der völlig &#x017F;enkrecht liegenden Schiefer-<lb/>
tafeln gewe&#x017F;en. Ueber mir wogt vielleicht ein &#x017F;charfer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0162] gegangen bis zu den Gletſchern. Hier hab ich meine Steigeiſen an die Füße gebunden, das Ränzlein enger geſchnallt und den Bergſtock feſter in die Hand genommen. Der Bergſtock iſt ein Erbſtück von dem ſchwarzen Mathes. Es ſind in dieſem Stocke eine Unzahl kleiner Einſchnitte, die aber nicht andeuten, wie oft etwan ſein früherer Eigner den Zahn oder einen andern Berg beſtiegen, ſondern wie viel Leute er im Raufen mit dieſem Knittel zu Boden geſchlagen. Ein umheimlicher Geſelle! — und mir hat er emporhelfen müſſen über die weite, glatte Schneelehne, hinweg über die wilden Eis- ſchründe und letztlich hinan den letzten ſteilen Hang auf die Spitze des Zahn. Hat’s getreulich gethan. Und wie gerne hätte ich von dieſem hohen Berge aus dem Mathes nachgerufen in die Ewigkeit: Freund, das iſt ein guter Stock, wärſt hoch mit ihm gekommen, hätteſt ihn verſtanden! Jetzt ſteh’ ich oben. Wenn ich ſo ein Weſen thät’ ſein, das ſich an den Sonnenfäden könnt’ emporſpinnen in das Reich Gottes . . . . Unter einem Steinvorſprung auf verwittertem Boden hab ich mich hingeſetzt, hab die Dinge be- trachtet. Hart um mich ſind die feinen zerbröckeln- den Zacken der völlig ſenkrecht liegenden Schiefer- tafeln geweſen. Ueber mir wogt vielleicht ein ſcharfer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/162
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/162>, abgerufen am 04.05.2024.