Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Stein, kein Mensch kann sagen, wer es auf-
gestellt. Der Sage nach sei es gar nicht aufgestellt
worden. Alle tausend Jahre flöge ein Vögelein in
den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit
aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner
seien bislang verloren gegangen, oder man wisse
nicht, sei die Giftpflanze mit der blauen Beere,
oder der Dornstrauch mit der weißen Rose oder
ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent-
wachsen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein
auf den Klotz im Felsenthale gelegt, und daraus
sei das Kreuz entsprossen. Man gehe zuweilen hin,
um davor zu beten; manchmal habe das Gebet
daselbst schon Segen gebracht, manchmal aber sei
auch ein Unglück darauf gekommen. Man wisse
also auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder
zum Unheile sei. Den Einspanig sehe man noch am
öftesten im Felsenthale und er verrichte seine An-
dacht vor dem Bilde; aber man wisse auch vom Ein-
spanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.

Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich
wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der
Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felsenthale
und den Einspanig nachdenkend, hab ich im Winkel
von Letzterem ein Weniges erfahren.

Erstlich, wie ich eintrete in das Haus, wun-
dere ich mich baß, daß meine, sonst recht gutmütige

dem Stein, kein Menſch kann ſagen, wer es auf-
geſtellt. Der Sage nach ſei es gar nicht aufgeſtellt
worden. Alle tauſend Jahre flöge ein Vögelein in
den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit
aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner
ſeien bislang verloren gegangen, oder man wiſſe
nicht, ſei die Giftpflanze mit der blauen Beere,
oder der Dornſtrauch mit der weißen Roſe oder
ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent-
wachſen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein
auf den Klotz im Felſenthale gelegt, und daraus
ſei das Kreuz entſproſſen. Man gehe zuweilen hin,
um davor zu beten; manchmal habe das Gebet
daſelbſt ſchon Segen gebracht, manchmal aber ſei
auch ein Unglück darauf gekommen. Man wiſſe
alſo auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder
zum Unheile ſei. Den Einſpanig ſehe man noch am
öfteſten im Felſenthale und er verrichte ſeine An-
dacht vor dem Bilde; aber man wiſſe auch vom Ein-
ſpanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.

Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich
wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der
Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felſenthale
und den Einſpanig nachdenkend, hab ich im Winkel
von Letzterem ein Weniges erfahren.

Erſtlich, wie ich eintrete in das Haus, wun-
dere ich mich baß, daß meine, ſonſt recht gutmütige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0124" n="114"/>
dem Stein, kein Men&#x017F;ch kann &#x017F;agen, wer es auf-<lb/>
ge&#x017F;tellt. Der Sage nach &#x017F;ei es gar nicht aufge&#x017F;tellt<lb/>
worden. Alle tau&#x017F;end Jahre flöge ein Vögelein in<lb/>
den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit<lb/>
aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner<lb/>
&#x017F;eien bislang verloren gegangen, oder man wi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nicht, &#x017F;ei die Giftpflanze mit der blauen Beere,<lb/>
oder der Dorn&#x017F;trauch mit der weißen Ro&#x017F;e oder<lb/>
ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent-<lb/>
wach&#x017F;en. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein<lb/>
auf den Klotz im Fel&#x017F;enthale gelegt, und daraus<lb/>
&#x017F;ei das Kreuz ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en. Man gehe zuweilen hin,<lb/>
um davor zu beten; manchmal habe das Gebet<lb/>
da&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon Segen gebracht, manchmal aber &#x017F;ei<lb/>
auch ein Unglück darauf gekommen. Man wi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
al&#x017F;o auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder<lb/>
zum Unheile &#x017F;ei. Den Ein&#x017F;panig &#x017F;ehe man noch am<lb/>
öfte&#x017F;ten im Fel&#x017F;enthale und er verrichte &#x017F;eine An-<lb/>
dacht vor dem Bilde; aber man wi&#x017F;&#x017F;e auch vom Ein-<lb/>
&#x017F;panig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.</p><lb/>
          <p>Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich<lb/>
wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der<lb/>
Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Fel&#x017F;enthale<lb/>
und den Ein&#x017F;panig nachdenkend, hab ich im Winkel<lb/>
von Letzterem ein Weniges erfahren.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;tlich, wie ich eintrete in das Haus, wun-<lb/>
dere ich mich baß, daß meine, &#x017F;on&#x017F;t recht gutmütige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0124] dem Stein, kein Menſch kann ſagen, wer es auf- geſtellt. Der Sage nach ſei es gar nicht aufgeſtellt worden. Alle tauſend Jahre flöge ein Vögelein in den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner ſeien bislang verloren gegangen, oder man wiſſe nicht, ſei die Giftpflanze mit der blauen Beere, oder der Dornſtrauch mit der weißen Roſe oder ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent- wachſen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein auf den Klotz im Felſenthale gelegt, und daraus ſei das Kreuz entſproſſen. Man gehe zuweilen hin, um davor zu beten; manchmal habe das Gebet daſelbſt ſchon Segen gebracht, manchmal aber ſei auch ein Unglück darauf gekommen. Man wiſſe alſo auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder zum Unheile ſei. Den Einſpanig ſehe man noch am öfteſten im Felſenthale und er verrichte ſeine An- dacht vor dem Bilde; aber man wiſſe auch vom Ein- ſpanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute. Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felſenthale und den Einſpanig nachdenkend, hab ich im Winkel von Letzterem ein Weniges erfahren. Erſtlich, wie ich eintrete in das Haus, wun- dere ich mich baß, daß meine, ſonſt recht gutmütige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/124
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/124>, abgerufen am 23.11.2024.