Wipfeln zum erstenmale die Gletscher niederleuchten auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge- genden kommt.
Der Wildbach gießt von den Gletschern her. Die Straße aber wendet sich links, milderen Wald- geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden und Wildnissen endlich wieder in belebte Ortschaften einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein verschwemmter steiniger Hohlweg, über welchen der Sturm Fichtenstämme geworfen hatte, die nun seit Jahrzehnten lehnen und dorren.
Hier am Scheidewege stand ein hohes hölzer- nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich dargestellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens- geschichte, als Speer, Schwammstab, Zange, Ham- mer und den drei Nägeln. Auf einem Felsen stand der Pfahl, wettergrau und bemoost. Eng daneben stand der Balken mit dem Arme und der Inschrift: "Weg nach Winkelsteg."
Dieses Zeichen wies den verwahrlosten steini- gen Weg mit dem Gefälle -- gegen das enge Hochthal, in dessen Hintergrunde die Schneefelder liegen. In fernster Höhe, über den sanft sich hin- ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf, an dessen Spitze so gerne Nebelflocken hängen.
Ich saß auf einem Felsblock neben dem Kreuze, und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war
Wipfeln zum erſtenmale die Gletſcher niederleuchten auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge- genden kommt.
Der Wildbach gießt von den Gletſchern her. Die Straße aber wendet ſich links, milderen Wald- geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden und Wildniſſen endlich wieder in belebte Ortſchaften einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein verſchwemmter ſteiniger Hohlweg, über welchen der Sturm Fichtenſtämme geworfen hatte, die nun ſeit Jahrzehnten lehnen und dorren.
Hier am Scheidewege ſtand ein hohes hölzer- nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich dargeſtellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens- geſchichte, als Speer, Schwammſtab, Zange, Ham- mer und den drei Nägeln. Auf einem Felſen ſtand der Pfahl, wettergrau und bemooſt. Eng daneben ſtand der Balken mit dem Arme und der Inſchrift: „Weg nach Winkelſteg.“
Dieſes Zeichen wies den verwahrloſten ſteini- gen Weg mit dem Gefälle — gegen das enge Hochthal, in deſſen Hintergrunde die Schneefelder liegen. In fernſter Höhe, über den ſanft ſich hin- ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf, an deſſen Spitze ſo gerne Nebelflocken hängen.
Ich ſaß auf einem Felsblock neben dem Kreuze, und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war
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Wipfeln zum erſtenmale die Gletſcher niederleuchten
auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge-
genden kommt.
Der Wildbach gießt von den Gletſchern her.
Die Straße aber wendet ſich links, milderen Wald-
geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden
und Wildniſſen endlich wieder in belebte Ortſchaften
einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein
verſchwemmter ſteiniger Hohlweg, über welchen der
Sturm Fichtenſtämme geworfen hatte, die nun ſeit
Jahrzehnten lehnen und dorren.
Hier am Scheidewege ſtand ein hohes hölzer-
nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich
dargeſtellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens-
geſchichte, als Speer, Schwammſtab, Zange, Ham-
mer und den drei Nägeln. Auf einem Felſen ſtand
der Pfahl, wettergrau und bemooſt. Eng daneben
ſtand der Balken mit dem Arme und der Inſchrift:
„Weg nach Winkelſteg.“
Dieſes Zeichen wies den verwahrloſten ſteini-
gen Weg mit dem Gefälle — gegen das enge
Hochthal, in deſſen Hintergrunde die Schneefelder
liegen. In fernſter Höhe, über den ſanft ſich hin-
ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf,
an deſſen Spitze ſo gerne Nebelflocken hängen.
Ich ſaß auf einem Felsblock neben dem Kreuze,
und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/12>, abgerufen am 23.11.2024.
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