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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schlag glaubte ich noch in der Nähe zu hören, zu sehen aber vermochte ich nichts mehr. Eine Minute darauf schalt ich mich selbst. In meiner krankhaften Reizbarkeit, die durch kummervolle Gedanken eben neu geweckt war, hatte ich mich, so dachte ich, durch etwas ganz Gewöhnliches aufschrecken lassen, oder gar war das Ganze nur ein Spiel meiner Einbildung gewesen.

Ich hörte Kascha's rufende Stimme und ging ins Zimmer. Sie schalt mich fast, daß ich so lange im Freien gewesen sei, denn sie wollte mich noch immer wie den einst kränklichen Knaben, den sie so treu bemuttert hatte, behandeln. Bald trieb sie uns zum Schlafengehen, und wirklich waren wir Beide, Victor und ich, ermüdet genug und hatten von der gestrigen abenteuerlichen Nacht noch unser Theil Schlaf nachzuholen. -- --

Ich erwachte von einem wunderlichen Summen und Lärmen. Es war hoher Tag, ein Blick durch die Scheiben zeigte mir, daß das Leben sich schon lange um mich her regte. Der ganze Kanal unter meinem Fenster wimmelte von kleinen Kähnen, in welchen die Schulkinder sich dem Hause entgegen drängten. Das Gesumme drang von der andern Seite des Hauses her, wo die Schulstube lag, die schon wie ein Bienenkorb gefüllt schien. Ich rief Victor an, um ihn zu wecken. Das Bett war leer; ich mußte sehr fest geschlafen haben, daß ich sein Aufstehen nicht gemerkt hatte. Rasch warf ich mich in die Kleider, um Franz noch zu

schlag glaubte ich noch in der Nähe zu hören, zu sehen aber vermochte ich nichts mehr. Eine Minute darauf schalt ich mich selbst. In meiner krankhaften Reizbarkeit, die durch kummervolle Gedanken eben neu geweckt war, hatte ich mich, so dachte ich, durch etwas ganz Gewöhnliches aufschrecken lassen, oder gar war das Ganze nur ein Spiel meiner Einbildung gewesen.

Ich hörte Kascha's rufende Stimme und ging ins Zimmer. Sie schalt mich fast, daß ich so lange im Freien gewesen sei, denn sie wollte mich noch immer wie den einst kränklichen Knaben, den sie so treu bemuttert hatte, behandeln. Bald trieb sie uns zum Schlafengehen, und wirklich waren wir Beide, Victor und ich, ermüdet genug und hatten von der gestrigen abenteuerlichen Nacht noch unser Theil Schlaf nachzuholen. — —

Ich erwachte von einem wunderlichen Summen und Lärmen. Es war hoher Tag, ein Blick durch die Scheiben zeigte mir, daß das Leben sich schon lange um mich her regte. Der ganze Kanal unter meinem Fenster wimmelte von kleinen Kähnen, in welchen die Schulkinder sich dem Hause entgegen drängten. Das Gesumme drang von der andern Seite des Hauses her, wo die Schulstube lag, die schon wie ein Bienenkorb gefüllt schien. Ich rief Victor an, um ihn zu wecken. Das Bett war leer; ich mußte sehr fest geschlafen haben, daß ich sein Aufstehen nicht gemerkt hatte. Rasch warf ich mich in die Kleider, um Franz noch zu

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/55>, abgerufen am 24.11.2024.