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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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meiner Gattin schienen schmerzliche Ereignisse auf lange bei mir heimisch werden zu wollen. Marien bin ich nicht wieder begegnet. In Thränen sah ich sie in jener Nacht entfliehen, und so ist ihr Bild vor meinen Augen geblieben über ein halbes Menschenalter hinaus. Doch ich will versuchen, das, was Jahr um Jahr brachte, in gedrängter Erzählung zusammen zu fassen.

Als ich damals nach Berlin zurückkehrte, kam ich nur noch zurecht, meinen Vater in meinen Armen sterben zu sehen. Ich hatte von nun an keine Zeit mehr, meinem Hange, wie bisher, nachzuleben. Eine weit verzweigte Geschäftstätigkeit, in die ich mich erst hineinarbeiten mußte, nahm alle meine geistigen und physischen Kräfte in Anspruch. Das Leben forderte jetzt eine strenge, geregelte Arbeit von mir, und sie war mir willkommen, ja sie war mir Bedürfniß.

Oft zwar, sehr oft dachte ich an Marien. Ein tiefes Mitleid erfüllte mich und ein schmerzliches Gefühl, ihr das nicht erwidern zu können, was ihr Herz mir entgegen gebracht hatte. Denn jetzt, da ich mich wieder in den alten Räumen meines Hauses befand, wachte die Erinnerung an mein geliebtes Weib um so mächtiger wieder in mir auf, sprach mir aus den Augen meines Knaben, aus Allem, was mich umgab, und wollte keinem andern Bilde eine gleiche Berechtigung gestatten. Doch glaubte ich nicht, so ohne versöhnenden Abschied von Marien scheiden zu dürfen. Ich schrieb ihr, was man unter solchen Umständen schreiben kann,

meiner Gattin schienen schmerzliche Ereignisse auf lange bei mir heimisch werden zu wollen. Marien bin ich nicht wieder begegnet. In Thränen sah ich sie in jener Nacht entfliehen, und so ist ihr Bild vor meinen Augen geblieben über ein halbes Menschenalter hinaus. Doch ich will versuchen, das, was Jahr um Jahr brachte, in gedrängter Erzählung zusammen zu fassen.

Als ich damals nach Berlin zurückkehrte, kam ich nur noch zurecht, meinen Vater in meinen Armen sterben zu sehen. Ich hatte von nun an keine Zeit mehr, meinem Hange, wie bisher, nachzuleben. Eine weit verzweigte Geschäftstätigkeit, in die ich mich erst hineinarbeiten mußte, nahm alle meine geistigen und physischen Kräfte in Anspruch. Das Leben forderte jetzt eine strenge, geregelte Arbeit von mir, und sie war mir willkommen, ja sie war mir Bedürfniß.

Oft zwar, sehr oft dachte ich an Marien. Ein tiefes Mitleid erfüllte mich und ein schmerzliches Gefühl, ihr das nicht erwidern zu können, was ihr Herz mir entgegen gebracht hatte. Denn jetzt, da ich mich wieder in den alten Räumen meines Hauses befand, wachte die Erinnerung an mein geliebtes Weib um so mächtiger wieder in mir auf, sprach mir aus den Augen meines Knaben, aus Allem, was mich umgab, und wollte keinem andern Bilde eine gleiche Berechtigung gestatten. Doch glaubte ich nicht, so ohne versöhnenden Abschied von Marien scheiden zu dürfen. Ich schrieb ihr, was man unter solchen Umständen schreiben kann,

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[0111] meiner Gattin schienen schmerzliche Ereignisse auf lange bei mir heimisch werden zu wollen. Marien bin ich nicht wieder begegnet. In Thränen sah ich sie in jener Nacht entfliehen, und so ist ihr Bild vor meinen Augen geblieben über ein halbes Menschenalter hinaus. Doch ich will versuchen, das, was Jahr um Jahr brachte, in gedrängter Erzählung zusammen zu fassen. Als ich damals nach Berlin zurückkehrte, kam ich nur noch zurecht, meinen Vater in meinen Armen sterben zu sehen. Ich hatte von nun an keine Zeit mehr, meinem Hange, wie bisher, nachzuleben. Eine weit verzweigte Geschäftstätigkeit, in die ich mich erst hineinarbeiten mußte, nahm alle meine geistigen und physischen Kräfte in Anspruch. Das Leben forderte jetzt eine strenge, geregelte Arbeit von mir, und sie war mir willkommen, ja sie war mir Bedürfniß. Oft zwar, sehr oft dachte ich an Marien. Ein tiefes Mitleid erfüllte mich und ein schmerzliches Gefühl, ihr das nicht erwidern zu können, was ihr Herz mir entgegen gebracht hatte. Denn jetzt, da ich mich wieder in den alten Räumen meines Hauses befand, wachte die Erinnerung an mein geliebtes Weib um so mächtiger wieder in mir auf, sprach mir aus den Augen meines Knaben, aus Allem, was mich umgab, und wollte keinem andern Bilde eine gleiche Berechtigung gestatten. Doch glaubte ich nicht, so ohne versöhnenden Abschied von Marien scheiden zu dürfen. Ich schrieb ihr, was man unter solchen Umständen schreiben kann,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/111>, abgerufen am 08.05.2024.