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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Arzt geschickt wurde, legte irgend eine alte Großmutter, ich weiß nicht mehr wessen, einen Nothverband an. Dann wurde mir Thee gebracht, und es fanden sich mehr Menschen zur Hülfsleistung, als nöthig waren. Man nöthigte mir eine wollene Decke auf, und in diese eingehüllt mußte ich mich ans Feuer setzen. Wie ist's mit dem Sardok? fragte ich Koal, der eben ins Zimmer trat. Habt ihr ihn gefunden? -- Ja, der ist todt! entgegnete er. Wahrscheinlich ist er mit dem Kopf auf einen Kahn gefallen und hat das Genick gebrochen.

Die Stube hatte sich mit Menschen gefüllt, die neugierig um mich her standen, denn es war nicht geheim geblieben, daß ich von den Kosaken verwundet worden sei. Wissen sie, Herr, fragte Einer der Anwesenden: der Stick von dem Hallunken war nicht auf sie abgesehen. Er hat einem Anderen gegolten, den er hier vermuthete.

Diese Ansicht fand allgemeine Bestätigung. Ich bat die anwesenden Nachbarn, mich allein zu lassen, indem ich erklärte, daß ich mich angegriffen fühlte. In Wahrheit jedoch schmerzte die Wunde nur wenig, und ich hatte die Ueberzeugung, sie würde nicht gefährlich sein. Ja, ich hoffte sogar in einer Stunde mit Franz nach Leipe zurück zu fahren, um der Familie Koal keine Störung zu bereiten. Der Thee hatte mich erwärmt, ich befand mich in keiner Weise übel.

Indessen lag eine schwere Stimmung auf uns Allen. Das Bewußtsein, einen Mordanfalle mit genauer Noth

Arzt geschickt wurde, legte irgend eine alte Großmutter, ich weiß nicht mehr wessen, einen Nothverband an. Dann wurde mir Thee gebracht, und es fanden sich mehr Menschen zur Hülfsleistung, als nöthig waren. Man nöthigte mir eine wollene Decke auf, und in diese eingehüllt mußte ich mich ans Feuer setzen. Wie ist's mit dem Sardok? fragte ich Koal, der eben ins Zimmer trat. Habt ihr ihn gefunden? — Ja, der ist todt! entgegnete er. Wahrscheinlich ist er mit dem Kopf auf einen Kahn gefallen und hat das Genick gebrochen.

Die Stube hatte sich mit Menschen gefüllt, die neugierig um mich her standen, denn es war nicht geheim geblieben, daß ich von den Kosaken verwundet worden sei. Wissen sie, Herr, fragte Einer der Anwesenden: der Stick von dem Hallunken war nicht auf sie abgesehen. Er hat einem Anderen gegolten, den er hier vermuthete.

Diese Ansicht fand allgemeine Bestätigung. Ich bat die anwesenden Nachbarn, mich allein zu lassen, indem ich erklärte, daß ich mich angegriffen fühlte. In Wahrheit jedoch schmerzte die Wunde nur wenig, und ich hatte die Ueberzeugung, sie würde nicht gefährlich sein. Ja, ich hoffte sogar in einer Stunde mit Franz nach Leipe zurück zu fahren, um der Familie Koal keine Störung zu bereiten. Der Thee hatte mich erwärmt, ich befand mich in keiner Weise übel.

Indessen lag eine schwere Stimmung auf uns Allen. Das Bewußtsein, einen Mordanfalle mit genauer Noth

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[0105] Arzt geschickt wurde, legte irgend eine alte Großmutter, ich weiß nicht mehr wessen, einen Nothverband an. Dann wurde mir Thee gebracht, und es fanden sich mehr Menschen zur Hülfsleistung, als nöthig waren. Man nöthigte mir eine wollene Decke auf, und in diese eingehüllt mußte ich mich ans Feuer setzen. Wie ist's mit dem Sardok? fragte ich Koal, der eben ins Zimmer trat. Habt ihr ihn gefunden? — Ja, der ist todt! entgegnete er. Wahrscheinlich ist er mit dem Kopf auf einen Kahn gefallen und hat das Genick gebrochen. Die Stube hatte sich mit Menschen gefüllt, die neugierig um mich her standen, denn es war nicht geheim geblieben, daß ich von den Kosaken verwundet worden sei. Wissen sie, Herr, fragte Einer der Anwesenden: der Stick von dem Hallunken war nicht auf sie abgesehen. Er hat einem Anderen gegolten, den er hier vermuthete. Diese Ansicht fand allgemeine Bestätigung. Ich bat die anwesenden Nachbarn, mich allein zu lassen, indem ich erklärte, daß ich mich angegriffen fühlte. In Wahrheit jedoch schmerzte die Wunde nur wenig, und ich hatte die Ueberzeugung, sie würde nicht gefährlich sein. Ja, ich hoffte sogar in einer Stunde mit Franz nach Leipe zurück zu fahren, um der Familie Koal keine Störung zu bereiten. Der Thee hatte mich erwärmt, ich befand mich in keiner Weise übel. Indessen lag eine schwere Stimmung auf uns Allen. Das Bewußtsein, einen Mordanfalle mit genauer Noth

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/105>, abgerufen am 08.05.2024.