Man siehet es ihnen so zu sagen an den Augen, Minen und Gange an, daß sie entweder fromm sind, oder doch fromm seyn wollen, sie haben in manchen Actionen, die äusserlich und indiffe- rent sind, etwas a partes, und ihre eigene Ca- pricen an sich, dabey sie sich von den vorigen gottsfürchtigen und redlichen Christen distin- g[ui]ren, und wollen aus allem Sünde machen. Diese extraordinaire Frömmigkeit rühret bey manchen daher, weil sie die Welt-Lust schon ziemlich genossen, und aller Uppigkeit, Sünd und Schande überdrüßig sind, und nun hernach auff einmahl einbringen wollen, was sie in vori- gen Jahren der Jugend etwan versäumet; Bey andern ist ihr eigensinnisches, schläffriges und melancholisches Temperament Schuld, oder der Umgang mit dergleichen Leuten. Bey andern auch noch andere Ursachen. Diese sind von den Priestern zu unterrichten, daß sie zwar nicht sündigen, indem sie diese oder jene indifferente Action unterlassen, daß aber auch GOtt dieses nicht von ihren Händen fordere, und sie sich eben darauff auch nichts einbilden oder gedencken sollen, sie wären deswegen besser denn andere Leute, und nicht Ursache haben an- dere zu verachten, die dasjenige, was sie aus Scrupulosität unterlassen, mit machen. Jm übrigen ist zu wissen, daß diese letztere Art Leute,
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Man ſiehet es ihnen ſo zu ſagen an den Augen, Minen und Gange an, daß ſie entweder fromm ſind, oder doch fromm ſeyn wollen, ſie haben in manchen Actionen, die aͤuſſerlich und indiffe- rent ſind, etwas a partes, und ihre eigene Ca- pricen an ſich, dabey ſie ſich von den vorigen gottsfuͤrchtigen und redlichen Chriſten diſtin- g[ui]ren, und wollen aus allem Suͤnde machen. Dieſe extraordinaire Froͤmmigkeit ruͤhret bey manchen daher, weil ſie die Welt-Luſt ſchon ziemlich genoſſen, und aller Uppigkeit, Suͤnd und Schande uͤberdruͤßig ſind, und nun hernach auff einmahl einbringen wollen, was ſie in vori- gen Jahren der Jugend etwan verſaͤumet; Bey andern iſt ihr eigenſinniſches, ſchlaͤffriges und melancholiſches Temperament Schuld, oder der Umgang mit dergleichen Leuten. Bey andern auch noch andere Urſachen. Dieſe ſind von den Prieſtern zu unterrichten, daß ſie zwar nicht ſuͤndigen, indem ſie dieſe oder jene indifferente Action unterlaſſen, daß aber auch GOtt dieſes nicht von ihren Haͤnden fordere, und ſie ſich eben darauff auch nichts einbilden oder gedencken ſollen, ſie waͤren deswegen beſſer denn andere Leute, und nicht Urſache haben an- dere zu verachten, die dasjenige, was ſie aus Scrupuloſitaͤt unterlaſſen, mit machen. Jm uͤbrigen iſt zu wiſſen, daß dieſe letztere Art Leute,
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Man ſiehet es ihnen ſo zu ſagen an den Augen,
Minen und Gange an, daß ſie entweder fromm
ſind, oder doch fromm ſeyn wollen, ſie haben in
manchen Actionen, die aͤuſſerlich und indiffe-
rent ſind, etwas a partes, und ihre eigene Ca-
pricen an ſich, dabey ſie ſich von den vorigen
gottsfuͤrchtigen und redlichen Chriſten diſtin-
guiren, und wollen aus allem Suͤnde machen.
Dieſe extraordinaire Froͤmmigkeit ruͤhret bey
manchen daher, weil ſie die Welt-Luſt ſchon
ziemlich genoſſen, und aller Uppigkeit, Suͤnd
und Schande uͤberdruͤßig ſind, und nun hernach
auff einmahl einbringen wollen, was ſie in vori-
gen Jahren der Jugend etwan verſaͤumet;
Bey andern iſt ihr eigenſinniſches, ſchlaͤffriges
und melancholiſches Temperament Schuld,
oder der Umgang mit dergleichen Leuten. Bey
andern auch noch andere Urſachen. Dieſe
ſind von den Prieſtern zu unterrichten, daß ſie
zwar nicht ſuͤndigen, indem ſie dieſe oder jene
indifferente Action unterlaſſen, daß aber auch
GOtt dieſes nicht von ihren Haͤnden fordere,
und ſie ſich eben darauff auch nichts einbilden
oder gedencken ſollen, ſie waͤren deswegen beſſer
denn andere Leute, und nicht Urſache haben an-
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/363>, abgerufen am 25.11.2024.
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