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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von dem Titul-Wesen und Praedicaten.
die Bauren dem Bürgerlichen, die bürgerlichen
Personen dem Adel, der Adel den höchsten Stan-
des-Personen gleich geachtet seyn. Sie formiren
aber hiebey auf zweyerley Weise unrichtige Schlüs-
se: einmahl, da sie dasjenige denen Tituln zuschrei-
ben, welches doch im geringsten nicht von ihnen ge-
würcket wird, sondern ohne sie bestehet, und kräfftig
ist; und zum andern, da sie den äusserlichen Schein
der Glückseligkeit, der um einige Titul und hohe Eh-
ren Stellen gläntzet, vor ein wahres Gute erkennen.
Wenn sie mit ihren Gedancken in das innerliche
Wesen solten eindringen, so würden sie erkennen,
daß die Ehren-Würden, nicht allein vor langer Zeit,
bereits Bürden genennet worden, sondern daß auch
mancher Titul demjenigen, der ihn führt, und füh-
ren muß, mehr zur Last, als zur Zufriedenheit ge-
reiche.

§. 7. Wie gut wäre es doch, wenn man bedäch-
te, das gröste Glück, welches man wünschen möch-
te, wäre dieses, daß man so viel hätte, womit man
den von GOtt eingegebenen Stand ehrlich beklei-
den könte, ohne die Augen auf einen höhern zu rich-
ten, als welcher vor einen andern bestimmt ist. Man
solte sich genügen lassen, in demjenigen Stand
zu seyn, welcher einem von GOtt gegeben, und
glauben, daß sich alle die andern vor uns nicht schi-
cken würden. Man solte allemahl zwischen seinem
Ehrgeitz, und einem höhern Stande einen Vorhang
vorziehen, damit uns derselbe nicht verblendete.
S. de la Serre vergnügter Mensch. p. 118.

§. 8.

Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
die Bauren dem Buͤrgerlichen, die buͤrgerlichen
Perſonen dem Adel, der Adel den hoͤchſten Stan-
des-Perſonen gleich geachtet ſeyn. Sie formiren
aber hiebey auf zweyerley Weiſe unrichtige Schluͤſ-
ſe: einmahl, da ſie dasjenige denen Tituln zuſchrei-
ben, welches doch im geringſten nicht von ihnen ge-
wuͤrcket wird, ſondern ohne ſie beſtehet, und kraͤfftig
iſt; und zum andern, da ſie den aͤuſſerlichen Schein
der Gluͤckſeligkeit, der um einige Titul und hohe Eh-
ren Stellen glaͤntzet, vor ein wahres Gute erkennen.
Wenn ſie mit ihren Gedancken in das innerliche
Weſen ſolten eindringen, ſo wuͤrden ſie erkennen,
daß die Ehren-Wuͤrden, nicht allein vor langer Zeit,
bereits Buͤrden genennet worden, ſondern daß auch
mancher Titul demjenigen, der ihn fuͤhrt, und fuͤh-
ren muß, mehr zur Laſt, als zur Zufriedenheit ge-
reiche.

§. 7. Wie gut waͤre es doch, wenn man bedaͤch-
te, das groͤſte Gluͤck, welches man wuͤnſchen moͤch-
te, waͤre dieſes, daß man ſo viel haͤtte, womit man
den von GOtt eingegebenen Stand ehrlich beklei-
den koͤnte, ohne die Augen auf einen hoͤhern zu rich-
ten, als welcher vor einen andern beſtimmt iſt. Man
ſolte ſich genuͤgen laſſen, in demjenigen Stand
zu ſeyn, welcher einem von GOtt gegeben, und
glauben, daß ſich alle die andern vor uns nicht ſchi-
cken wuͤrden. Man ſolte allemahl zwiſchen ſeinem
Ehrgeitz, und einem hoͤhern Stande einen Vorhang
vorziehen, damit uns derſelbe nicht verblendete.
S. de la Serre vergnuͤgter Menſch. p. 118.

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[59/0079] Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. die Bauren dem Buͤrgerlichen, die buͤrgerlichen Perſonen dem Adel, der Adel den hoͤchſten Stan- des-Perſonen gleich geachtet ſeyn. Sie formiren aber hiebey auf zweyerley Weiſe unrichtige Schluͤſ- ſe: einmahl, da ſie dasjenige denen Tituln zuſchrei- ben, welches doch im geringſten nicht von ihnen ge- wuͤrcket wird, ſondern ohne ſie beſtehet, und kraͤfftig iſt; und zum andern, da ſie den aͤuſſerlichen Schein der Gluͤckſeligkeit, der um einige Titul und hohe Eh- ren Stellen glaͤntzet, vor ein wahres Gute erkennen. Wenn ſie mit ihren Gedancken in das innerliche Weſen ſolten eindringen, ſo wuͤrden ſie erkennen, daß die Ehren-Wuͤrden, nicht allein vor langer Zeit, bereits Buͤrden genennet worden, ſondern daß auch mancher Titul demjenigen, der ihn fuͤhrt, und fuͤh- ren muß, mehr zur Laſt, als zur Zufriedenheit ge- reiche. §. 7. Wie gut waͤre es doch, wenn man bedaͤch- te, das groͤſte Gluͤck, welches man wuͤnſchen moͤch- te, waͤre dieſes, daß man ſo viel haͤtte, womit man den von GOtt eingegebenen Stand ehrlich beklei- den koͤnte, ohne die Augen auf einen hoͤhern zu rich- ten, als welcher vor einen andern beſtimmt iſt. Man ſolte ſich genuͤgen laſſen, in demjenigen Stand zu ſeyn, welcher einem von GOtt gegeben, und glauben, daß ſich alle die andern vor uns nicht ſchi- cken wuͤrden. Man ſolte allemahl zwiſchen ſeinem Ehrgeitz, und einem hoͤhern Stande einen Vorhang vorziehen, damit uns derſelbe nicht verblendete. S. de la Serre vergnuͤgter Menſch. p. 118. §. 8.

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/79>, abgerufen am 26.05.2024.