Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Theil. II. Capitul.
Unruhe. Die Gewohnheiten und Gebräuche
entstehen nach und nach, biß sie endlich allgemein
werden, und je langsamer es mit ihnen zugehet, je
mehr befestigen sie sich nachgehends. Bey den
Moden aber heist es, quod cito fit, cito perit, was
geschwinde wird, vergehet auch wieder geschwinde.
Eine neue Mode überschwemmt in kurtzer Zeit, wie
ein reißender Strohm, ein gantz Land, und conficirt,
wie eine ansteckende Seuche die meisten Leute, bey
denen sie eindringt. Die Gewohnheiten und Ge-
bräuche sind nicht so allgemein, und nach dem be-
sondern Unterscheid der Oerter und Landes-Arten,
mehr von einander unterschieden. Die Moden sind
viel allgemeiner, und nehmen die Gemüther vieler
Menschen ein, fehlt es einigen an Vermögen und
Gelegenheit, sie mitzumachen, und auszuüben, so
finden sie doch ihre Belustigung daran. Zu der
Einführung eines Gebrauchs und einer Observanz
wird öffters die Einwilligung der meisten aus einem
Collegio, oder von der Gemeinde eines Ortes er-
fordert; Hingegen zu der Einführung einer Mode
gehören weniger Leute, biß sie sich nach und nach
erweitert, oder wieder verlöscht. Um die Gewohn-
heiten, Gebräuche und Observanzen sind die Lan-
des-Gesetze, Obrigkeiten und richterliche Personen
mehr besorget, sie haben auch in Ansehung der bür-
gerlichen Handlungen ihre besondern Würckun-
gen; Hingegen um die Moden lassen sie sich gemei-
niglich unbekümmert, biß sie gewahr werden, daß
sie entweder den Landes-Mandaten zuwider werden,

oder

I. Theil. II. Capitul.
Unruhe. Die Gewohnheiten und Gebraͤuche
entſtehen nach und nach, biß ſie endlich allgemein
werden, und je langſamer es mit ihnen zugehet, je
mehr befeſtigen ſie ſich nachgehends. Bey den
Moden aber heiſt es, quod cito fit, cito perit, was
geſchwinde wird, vergehet auch wieder geſchwinde.
Eine neue Mode uͤberſchwemmt in kurtzer Zeit, wie
ein reißender Strohm, ein gantz Land, und conficirt,
wie eine anſteckende Seuche die meiſten Leute, bey
denen ſie eindringt. Die Gewohnheiten und Ge-
braͤuche ſind nicht ſo allgemein, und nach dem be-
ſondern Unterſcheid der Oerter und Landes-Arten,
mehr von einander unterſchieden. Die Moden ſind
viel allgemeiner, und nehmen die Gemuͤther vieler
Menſchen ein, fehlt es einigen an Vermoͤgen und
Gelegenheit, ſie mitzumachen, und auszuuͤben, ſo
finden ſie doch ihre Beluſtigung daran. Zu der
Einfuͤhrung eines Gebrauchs und einer Obſervanz
wird oͤffters die Einwilligung der meiſten aus einem
Collegio, oder von der Gemeinde eines Ortes er-
fordert; Hingegen zu der Einfuͤhrung einer Mode
gehoͤren weniger Leute, biß ſie ſich nach und nach
erweitert, oder wieder verloͤſcht. Um die Gewohn-
heiten, Gebraͤuche und Obſervanzen ſind die Lan-
des-Geſetze, Obrigkeiten und richterliche Perſonen
mehr beſorget, ſie haben auch in Anſehung der buͤr-
gerlichen Handlungen ihre beſondern Wuͤrckun-
gen; Hingegen um die Moden laſſen ſie ſich gemei-
niglich unbekuͤmmert, biß ſie gewahr werden, daß
ſie entweder den Landes-Mandaten zuwider werden,

oder
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Theil. <hi rendition="#aq">II.</hi> Capitul.</hi></fw><lb/>
Unruhe. Die Gewohnheiten und Gebra&#x0364;uche<lb/>
ent&#x017F;tehen nach und nach, biß &#x017F;ie endlich allgemein<lb/>
werden, und je lang&#x017F;amer es mit ihnen zugehet, je<lb/>
mehr befe&#x017F;tigen &#x017F;ie &#x017F;ich nachgehends. Bey den<lb/><hi rendition="#aq">Mod</hi>en aber hei&#x017F;t es, <hi rendition="#aq">quod cito fit, cito perit,</hi> was<lb/>
ge&#x017F;chwinde wird, vergehet auch wieder ge&#x017F;chwinde.<lb/>
Eine neue <hi rendition="#aq">Mode</hi> u&#x0364;ber&#x017F;chwemmt in kurtzer Zeit, wie<lb/>
ein reißender Strohm, ein gantz Land, und <hi rendition="#aq">confici</hi>rt,<lb/>
wie eine an&#x017F;teckende Seuche die mei&#x017F;ten Leute, bey<lb/>
denen &#x017F;ie eindringt. Die Gewohnheiten und Ge-<lb/>
bra&#x0364;uche &#x017F;ind nicht &#x017F;o allgemein, und nach dem be-<lb/>
&#x017F;ondern Unter&#x017F;cheid der Oerter und Landes-Arten,<lb/>
mehr von einander unter&#x017F;chieden. Die <hi rendition="#aq">Mod</hi>en &#x017F;ind<lb/>
viel allgemeiner, und nehmen die Gemu&#x0364;ther vieler<lb/>
Men&#x017F;chen ein, fehlt es einigen an Vermo&#x0364;gen und<lb/>
Gelegenheit, &#x017F;ie mitzumachen, und auszuu&#x0364;ben, &#x017F;o<lb/>
finden &#x017F;ie doch ihre Belu&#x017F;tigung daran. Zu der<lb/>
Einfu&#x0364;hrung eines Gebrauchs und einer <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanz</hi><lb/>
wird o&#x0364;ffters die Einwilligung der mei&#x017F;ten aus einem<lb/><hi rendition="#aq">Collegio,</hi> oder von der Gemeinde eines Ortes er-<lb/>
fordert; Hingegen zu der Einfu&#x0364;hrung einer <hi rendition="#aq">Mode</hi><lb/>
geho&#x0364;ren weniger Leute, biß &#x017F;ie &#x017F;ich nach und nach<lb/>
erweitert, oder wieder verlo&#x0364;&#x017F;cht. Um die Gewohn-<lb/>
heiten, Gebra&#x0364;uche und <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanz</hi>en &#x017F;ind die Lan-<lb/>
des-Ge&#x017F;etze, Obrigkeiten und richterliche Per&#x017F;onen<lb/>
mehr be&#x017F;orget, &#x017F;ie haben auch in An&#x017F;ehung der bu&#x0364;r-<lb/>
gerlichen Handlungen ihre be&#x017F;ondern Wu&#x0364;rckun-<lb/>
gen; Hingegen um die <hi rendition="#aq">Mod</hi>en la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ich gemei-<lb/>
niglich unbeku&#x0364;mmert, biß &#x017F;ie gewahr werden, daß<lb/>
&#x017F;ie entweder den Landes-<hi rendition="#aq">Mandat</hi>en zuwider werden,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0054] I. Theil. II. Capitul. Unruhe. Die Gewohnheiten und Gebraͤuche entſtehen nach und nach, biß ſie endlich allgemein werden, und je langſamer es mit ihnen zugehet, je mehr befeſtigen ſie ſich nachgehends. Bey den Moden aber heiſt es, quod cito fit, cito perit, was geſchwinde wird, vergehet auch wieder geſchwinde. Eine neue Mode uͤberſchwemmt in kurtzer Zeit, wie ein reißender Strohm, ein gantz Land, und conficirt, wie eine anſteckende Seuche die meiſten Leute, bey denen ſie eindringt. Die Gewohnheiten und Ge- braͤuche ſind nicht ſo allgemein, und nach dem be- ſondern Unterſcheid der Oerter und Landes-Arten, mehr von einander unterſchieden. Die Moden ſind viel allgemeiner, und nehmen die Gemuͤther vieler Menſchen ein, fehlt es einigen an Vermoͤgen und Gelegenheit, ſie mitzumachen, und auszuuͤben, ſo finden ſie doch ihre Beluſtigung daran. Zu der Einfuͤhrung eines Gebrauchs und einer Obſervanz wird oͤffters die Einwilligung der meiſten aus einem Collegio, oder von der Gemeinde eines Ortes er- fordert; Hingegen zu der Einfuͤhrung einer Mode gehoͤren weniger Leute, biß ſie ſich nach und nach erweitert, oder wieder verloͤſcht. Um die Gewohn- heiten, Gebraͤuche und Obſervanzen ſind die Lan- des-Geſetze, Obrigkeiten und richterliche Perſonen mehr beſorget, ſie haben auch in Anſehung der buͤr- gerlichen Handlungen ihre beſondern Wuͤrckun- gen; Hingegen um die Moden laſſen ſie ſich gemei- niglich unbekuͤmmert, biß ſie gewahr werden, daß ſie entweder den Landes-Mandaten zuwider werden, oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/54
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/54>, abgerufen am 24.11.2024.