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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. I. Capitul.
halten wissen, und ihre Verordnung durch man-
cherley contraire Observanzen, die sie einführen
lassen, nicht gleichsam heimlich wiederruffen.

§. 37. Der dritte Gesetzgeber, auf den wir zu se-
hen haben, sind wir selber, das ist, unsere wahre
Gemüths-Ruhe und Zufriedenheit. Gesetzt nun,
daß eine und die andere Mode, oder ein und anderer
Gebrauch weder den göttlichen noch weltlichen Ge-
setzen zuwider liefe, wir nehmen aber wahr, daß wir
uns dadurch in besondere Unruhe des Gemüthes
stürtzen würden, derer wir könten überhoben seyn,
so müssen wir auch alsdenn unser Vergnügen und
unsere Glückseeligkeit der andern Leute Opinion
vorziehen. Die Regeln der Tugend-Lehre, der
Klugheit zu leben, und der Haußwirthschafft, setzen
dem Ceremoniel-Wesen Ziel und Maße und ihre
gewissen Schrancken; es ist ja mehr daran gele-
gen, daß wir in andern wichtigen Stücken unsere
zeitliche Glückseeligkeit befördern und erhalten, als
daß wir uns bloß durch einige äußerliche Handlun-
gen bey diesem oder jenem in Credit setzen; Jch
könte hier noch eine und die andere Regel und An-
merckung beyfügen, was man bey so mancherley
Collisionen in Ansehung des Wohlstandes zu be-
obachten hat, man kan aber in Praxi schon zu rechte
kommen, wenn man auf das vorhergehende genau
Acht giebt, und bey einem jeden Fall wohl erweget,
ob man durch das Unternehmen oder Unterlassen ei-
ner gewissen Handlung, sich ein größer Stück der
wahren Glückseeligkeit zu wege bringen möchte,
oder nicht.

§. 38.

I. Theil. I. Capitul.
halten wiſſen, und ihre Verordnung durch man-
cherley contraire Obſervanzen, die ſie einfuͤhren
laſſen, nicht gleichſam heimlich wiederruffen.

§. 37. Der dritte Geſetzgeber, auf den wir zu ſe-
hen haben, ſind wir ſelber, das iſt, unſere wahre
Gemuͤths-Ruhe und Zufriedenheit. Geſetzt nun,
daß eine und die andere Mode, oder ein und anderer
Gebrauch weder den goͤttlichen noch weltlichen Ge-
ſetzen zuwider liefe, wir nehmen aber wahr, daß wir
uns dadurch in beſondere Unruhe des Gemuͤthes
ſtuͤrtzen wuͤrden, derer wir koͤnten uͤberhoben ſeyn,
ſo muͤſſen wir auch alsdenn unſer Vergnuͤgen und
unſere Gluͤckſeeligkeit der andern Leute Opinion
vorziehen. Die Regeln der Tugend-Lehre, der
Klugheit zu leben, und der Haußwirthſchafft, ſetzen
dem Ceremoniel-Weſen Ziel und Maße und ihre
gewiſſen Schrancken; es iſt ja mehr daran gele-
gen, daß wir in andern wichtigen Stuͤcken unſere
zeitliche Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern und erhalten, als
daß wir uns bloß durch einige aͤußerliche Handlun-
gen bey dieſem oder jenem in Credit ſetzen; Jch
koͤnte hier noch eine und die andere Regel und An-
merckung beyfuͤgen, was man bey ſo mancherley
Colliſionen in Anſehung des Wohlſtandes zu be-
obachten hat, man kan aber in Praxi ſchon zu rechte
kommen, wenn man auf das vorhergehende genau
Acht giebt, und bey einem jeden Fall wohl erweget,
ob man durch das Unternehmen oder Unterlaſſen ei-
ner gewiſſen Handlung, ſich ein groͤßer Stuͤck der
wahren Gluͤckſeeligkeit zu wege bringen moͤchte,
oder nicht.

§. 38.
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[32/0052] I. Theil. I. Capitul. halten wiſſen, und ihre Verordnung durch man- cherley contraire Obſervanzen, die ſie einfuͤhren laſſen, nicht gleichſam heimlich wiederruffen. §. 37. Der dritte Geſetzgeber, auf den wir zu ſe- hen haben, ſind wir ſelber, das iſt, unſere wahre Gemuͤths-Ruhe und Zufriedenheit. Geſetzt nun, daß eine und die andere Mode, oder ein und anderer Gebrauch weder den goͤttlichen noch weltlichen Ge- ſetzen zuwider liefe, wir nehmen aber wahr, daß wir uns dadurch in beſondere Unruhe des Gemuͤthes ſtuͤrtzen wuͤrden, derer wir koͤnten uͤberhoben ſeyn, ſo muͤſſen wir auch alsdenn unſer Vergnuͤgen und unſere Gluͤckſeeligkeit der andern Leute Opinion vorziehen. Die Regeln der Tugend-Lehre, der Klugheit zu leben, und der Haußwirthſchafft, ſetzen dem Ceremoniel-Weſen Ziel und Maße und ihre gewiſſen Schrancken; es iſt ja mehr daran gele- gen, daß wir in andern wichtigen Stuͤcken unſere zeitliche Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern und erhalten, als daß wir uns bloß durch einige aͤußerliche Handlun- gen bey dieſem oder jenem in Credit ſetzen; Jch koͤnte hier noch eine und die andere Regel und An- merckung beyfuͤgen, was man bey ſo mancherley Colliſionen in Anſehung des Wohlſtandes zu be- obachten hat, man kan aber in Praxi ſchon zu rechte kommen, wenn man auf das vorhergehende genau Acht giebt, und bey einem jeden Fall wohl erweget, ob man durch das Unternehmen oder Unterlaſſen ei- ner gewiſſen Handlung, ſich ein groͤßer Stuͤck der wahren Gluͤckſeeligkeit zu wege bringen moͤchte, oder nicht. §. 38.

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/52>, abgerufen am 24.11.2024.