es stehe ihnen dergleichen, ohne besondere Vergün- stigung, nicht an. Andere sind allzu frey, sie plau- dern, was ihnen einfält, und beobachten bey denen Dames von hohem Stande und Character nicht allezeit die Demuth und Sittsamkeit, die sie hierbey in Acht nehmen solten.
§. 10. Es ist viel daran gelegen, wenn einer die Geschicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver- nünfftige und angenehme Weise mit Discoursen zu unterhalten. Dieses kan am besten geschehen, wenn man sich bemühet, so viel als möglich, ihren Nei- gungen gleichförmig zu bezeigen, und von demjeni- gen spricht, von dem sie am liebsten hört. Stehet man mit einem Frauenzimmer in Bekandtschafft, oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo- ralisch Portrait gemacht, und dem man in diesem Stück sicher trauen kan, so hat man gut machen. Kommt man aber in Gesellschafft mit einer gantz fremden, so muß man ihre Neigungen, theils nach ihrer äusserlichen Physiognomie, theils nach ihrem Alter, Stand und Geschlecht urtheilen lernen, weil man doch bey alle dem Unterschied der Neigungen auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr- nimmt.
§. 11. Vor das erste muß man entdecken, ob sie selbst gerne discourirt, oder doch sprechen hört, oder aber keines von beyden. Man findet bißweilen Leute, von beyderley Geschlecht, die nicht allein faul auf das Maul sind, sondern auch auf die Ohren. Sie sitzen selbst wie die stummen Oel-Götzen in
Gesell-
II. Theil. VI. Capitul.
es ſtehe ihnen dergleichen, ohne beſondere Verguͤn- ſtigung, nicht an. Andere ſind allzu frey, ſie plau- dern, was ihnen einfaͤlt, und beobachten bey denen Dames von hohem Stande und Character nicht allezeit die Demuth und Sittſamkeit, die ſie hierbey in Acht nehmen ſolten.
§. 10. Es iſt viel daran gelegen, wenn einer die Geſchicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver- nuͤnfftige und angenehme Weiſe mit Diſcourſen zu unterhalten. Dieſes kan am beſten geſchehen, wenn man ſich bemuͤhet, ſo viel als moͤglich, ihren Nei- gungen gleichfoͤrmig zu bezeigen, und von demjeni- gen ſpricht, von dem ſie am liebſten hoͤrt. Stehet man mit einem Frauenzimmer in Bekandtſchafft, oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo- raliſch Portrait gemacht, und dem man in dieſem Stuͤck ſicher trauen kan, ſo hat man gut machen. Kommt man aber in Geſellſchafft mit einer gantz fremden, ſo muß man ihre Neigungen, theils nach ihrer aͤuſſerlichen Phyſiognomie, theils nach ihrem Alter, Stand und Geſchlecht urtheilen lernen, weil man doch bey alle dem Unterſchied der Neigungen auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr- nimmt.
§. 11. Vor das erſte muß man entdecken, ob ſie ſelbſt gerne diſcourirt, oder doch ſprechen hoͤrt, oder aber keines von beyden. Man findet bißweilen Leute, von beyderley Geſchlecht, die nicht allein faul auf das Maul ſind, ſondern auch auf die Ohren. Sie ſitzen ſelbſt wie die ſtummen Oel-Goͤtzen in
Geſell-
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II. Theil. VI. Capitul.
es ſtehe ihnen dergleichen, ohne beſondere Verguͤn-
ſtigung, nicht an. Andere ſind allzu frey, ſie plau-
dern, was ihnen einfaͤlt, und beobachten bey denen
Dames von hohem Stande und Character nicht
allezeit die Demuth und Sittſamkeit, die ſie hierbey
in Acht nehmen ſolten.
§. 10. Es iſt viel daran gelegen, wenn einer die
Geſchicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver-
nuͤnfftige und angenehme Weiſe mit Diſcourſen zu
unterhalten. Dieſes kan am beſten geſchehen, wenn
man ſich bemuͤhet, ſo viel als moͤglich, ihren Nei-
gungen gleichfoͤrmig zu bezeigen, und von demjeni-
gen ſpricht, von dem ſie am liebſten hoͤrt. Stehet
man mit einem Frauenzimmer in Bekandtſchafft,
oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo-
raliſch Portrait gemacht, und dem man in dieſem
Stuͤck ſicher trauen kan, ſo hat man gut machen.
Kommt man aber in Geſellſchafft mit einer gantz
fremden, ſo muß man ihre Neigungen, theils nach
ihrer aͤuſſerlichen Phyſiognomie, theils nach ihrem
Alter, Stand und Geſchlecht urtheilen lernen, weil
man doch bey alle dem Unterſchied der Neigungen
auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr-
nimmt.
§. 11. Vor das erſte muß man entdecken, ob ſie
ſelbſt gerne diſcourirt, oder doch ſprechen hoͤrt, oder
aber keines von beyden. Man findet bißweilen
Leute, von beyderley Geſchlecht, die nicht allein faul
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Sie ſitzen ſelbſt wie die ſtummen Oel-Goͤtzen in
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/390>, abgerufen am 25.11.2024.
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