Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Theil. VI. Capitul.
es stehe ihnen dergleichen, ohne besondere Vergün-
stigung, nicht an. Andere sind allzu frey, sie plau-
dern, was ihnen einfält, und beobachten bey denen
Dames von hohem Stande und Character nicht
allezeit die Demuth und Sittsamkeit, die sie hierbey
in Acht nehmen solten.

§. 10. Es ist viel daran gelegen, wenn einer die
Geschicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver-
nünfftige und angenehme Weise mit Discoursen zu
unterhalten. Dieses kan am besten geschehen, wenn
man sich bemühet, so viel als möglich, ihren Nei-
gungen gleichförmig zu bezeigen, und von demjeni-
gen spricht, von dem sie am liebsten hört. Stehet
man mit einem Frauenzimmer in Bekandtschafft,
oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo-
rali
sch Portrait gemacht, und dem man in diesem
Stück sicher trauen kan, so hat man gut machen.
Kommt man aber in Gesellschafft mit einer gantz
fremden, so muß man ihre Neigungen, theils nach
ihrer äusserlichen Physiognomie, theils nach ihrem
Alter, Stand und Geschlecht urtheilen lernen, weil
man doch bey alle dem Unterschied der Neigungen
auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr-
nimmt.

§. 11. Vor das erste muß man entdecken, ob sie
selbst gerne discourirt, oder doch sprechen hört, oder
aber keines von beyden. Man findet bißweilen
Leute, von beyderley Geschlecht, die nicht allein faul
auf das Maul sind, sondern auch auf die Ohren.
Sie sitzen selbst wie die stummen Oel-Götzen in

Gesell-

II. Theil. VI. Capitul.
es ſtehe ihnen dergleichen, ohne beſondere Verguͤn-
ſtigung, nicht an. Andere ſind allzu frey, ſie plau-
dern, was ihnen einfaͤlt, und beobachten bey denen
Dames von hohem Stande und Character nicht
allezeit die Demuth und Sittſamkeit, die ſie hierbey
in Acht nehmen ſolten.

§. 10. Es iſt viel daran gelegen, wenn einer die
Geſchicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver-
nuͤnfftige und angenehme Weiſe mit Diſcourſen zu
unterhalten. Dieſes kan am beſten geſchehen, wenn
man ſich bemuͤhet, ſo viel als moͤglich, ihren Nei-
gungen gleichfoͤrmig zu bezeigen, und von demjeni-
gen ſpricht, von dem ſie am liebſten hoͤrt. Stehet
man mit einem Frauenzimmer in Bekandtſchafft,
oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo-
rali
ſch Portrait gemacht, und dem man in dieſem
Stuͤck ſicher trauen kan, ſo hat man gut machen.
Kommt man aber in Geſellſchafft mit einer gantz
fremden, ſo muß man ihre Neigungen, theils nach
ihrer aͤuſſerlichen Phyſiognomie, theils nach ihrem
Alter, Stand und Geſchlecht urtheilen lernen, weil
man doch bey alle dem Unterſchied der Neigungen
auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr-
nimmt.

§. 11. Vor das erſte muß man entdecken, ob ſie
ſelbſt gerne diſcourirt, oder doch ſprechen hoͤrt, oder
aber keines von beyden. Man findet bißweilen
Leute, von beyderley Geſchlecht, die nicht allein faul
auf das Maul ſind, ſondern auch auf die Ohren.
Sie ſitzen ſelbſt wie die ſtummen Oel-Goͤtzen in

Geſell-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0390" n="370"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Theil. <hi rendition="#aq">VI.</hi> Capitul.</hi></fw><lb/>
es &#x017F;tehe ihnen dergleichen, ohne be&#x017F;ondere Vergu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tigung, nicht an. Andere &#x017F;ind allzu frey, &#x017F;ie plau-<lb/>
dern, was ihnen einfa&#x0364;lt, und beobachten bey denen<lb/><hi rendition="#aq">Dames</hi> von hohem Stande und <hi rendition="#aq">Character</hi> nicht<lb/>
allezeit die Demuth und Sitt&#x017F;amkeit, die &#x017F;ie hierbey<lb/>
in Acht nehmen &#x017F;olten.</p><lb/>
        <p>§. 10. Es i&#x017F;t viel daran gelegen, wenn einer die<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftige und angenehme Wei&#x017F;e mit <hi rendition="#aq">Di&#x017F;cour&#x017F;</hi>en zu<lb/>
unterhalten. Die&#x017F;es kan am be&#x017F;ten ge&#x017F;chehen, wenn<lb/>
man &#x017F;ich bemu&#x0364;het, &#x017F;o viel als mo&#x0364;glich, ihren Nei-<lb/>
gungen gleichfo&#x0364;rmig zu bezeigen, und von demjeni-<lb/>
gen &#x017F;pricht, von dem &#x017F;ie am lieb&#x017F;ten ho&#x0364;rt. Stehet<lb/>
man mit einem Frauenzimmer in Bekandt&#x017F;chafft,<lb/>
oder man hat einen guten Freund, der uns ihr <hi rendition="#aq">mo-<lb/>
rali</hi>&#x017F;ch <hi rendition="#aq">Portrait</hi> gemacht, und dem man in die&#x017F;em<lb/>
Stu&#x0364;ck &#x017F;icher trauen kan, &#x017F;o hat man gut machen.<lb/>
Kommt man aber in Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft mit einer gantz<lb/>
fremden, &#x017F;o muß man ihre Neigungen, theils nach<lb/>
ihrer a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen <hi rendition="#aq">Phy&#x017F;iognomie,</hi> theils nach ihrem<lb/>
Alter, Stand und Ge&#x017F;chlecht urtheilen lernen, weil<lb/>
man doch bey alle dem Unter&#x017F;chied der Neigungen<lb/>
auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr-<lb/>
nimmt.</p><lb/>
        <p>§. 11. Vor das er&#x017F;te muß man entdecken, ob &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gerne <hi rendition="#aq">di&#x017F;couri</hi>rt, oder doch &#x017F;prechen ho&#x0364;rt, oder<lb/>
aber keines von beyden. Man findet bißweilen<lb/>
Leute, von beyderley Ge&#x017F;chlecht, die nicht allein faul<lb/>
auf das Maul &#x017F;ind, &#x017F;ondern auch auf die Ohren.<lb/>
Sie &#x017F;itzen &#x017F;elb&#x017F;t wie die &#x017F;tummen Oel-Go&#x0364;tzen in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge&#x017F;ell-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0390] II. Theil. VI. Capitul. es ſtehe ihnen dergleichen, ohne beſondere Verguͤn- ſtigung, nicht an. Andere ſind allzu frey, ſie plau- dern, was ihnen einfaͤlt, und beobachten bey denen Dames von hohem Stande und Character nicht allezeit die Demuth und Sittſamkeit, die ſie hierbey in Acht nehmen ſolten. §. 10. Es iſt viel daran gelegen, wenn einer die Geſchicklichkeit hat, ein Frauenzimmer auf eine ver- nuͤnfftige und angenehme Weiſe mit Diſcourſen zu unterhalten. Dieſes kan am beſten geſchehen, wenn man ſich bemuͤhet, ſo viel als moͤglich, ihren Nei- gungen gleichfoͤrmig zu bezeigen, und von demjeni- gen ſpricht, von dem ſie am liebſten hoͤrt. Stehet man mit einem Frauenzimmer in Bekandtſchafft, oder man hat einen guten Freund, der uns ihr mo- raliſch Portrait gemacht, und dem man in dieſem Stuͤck ſicher trauen kan, ſo hat man gut machen. Kommt man aber in Geſellſchafft mit einer gantz fremden, ſo muß man ihre Neigungen, theils nach ihrer aͤuſſerlichen Phyſiognomie, theils nach ihrem Alter, Stand und Geſchlecht urtheilen lernen, weil man doch bey alle dem Unterſchied der Neigungen auch allenthalben eine ziemliche Aehnlichkeit wahr- nimmt. §. 11. Vor das erſte muß man entdecken, ob ſie ſelbſt gerne diſcourirt, oder doch ſprechen hoͤrt, oder aber keines von beyden. Man findet bißweilen Leute, von beyderley Geſchlecht, die nicht allein faul auf das Maul ſind, ſondern auch auf die Ohren. Sie ſitzen ſelbſt wie die ſtummen Oel-Goͤtzen in Geſell-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/390
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/390>, abgerufen am 18.05.2024.