derheit bey folgenden Umständen seinen Abfall: (1) Wenn der Unterschied so gar sehr groß und mercklich, daß man, ohne dem Gespött sich zu un- terwerffen, es denen andern unmöglich anbiethen kan. (2) Wenn man den Respect, dem man seiner Herrschafft schuldig, hiebey praejudiciren würde. (3) Wenn dergleichen an diesem Ort, zu dieser Zeit oder bey dieser Handlung ungewöhnlich wäre, als etwan bey Leich-Processionen, da nicht ein jedweder gehen darff, wie er will, sondern wie er verlesen wird, und es die Marschälle ordnen. (4) Wenn man vorher versichert, daß es der an- dere nicht vor ein Ehren-Wort, und vor eine Höf- lichkeit, sondern aus Einfalt oder Hochmuth, vor ei- ne Schuldigkeit erkennen, und also diese Gefällig- keit mißbrauchen werde.
§. 29. Ein vernünfftiger Mensch bemühet sich allezeit mit jedermann Friede zu halten, so viel an ihm ist, er ziehet die gelinden Wege den streitigen vor, und gehet den Praecedenz-Streitigkeiten, wo er weiß und kan, aus dem Wege. Er ist hierbey auf mancherley Temperamente bedacht, und läst den andern, mit deme er manchmahl Amts- und Beruffs wegen zusammen kommen muß, mancher- ley Vorschläge thun, daß sie mit einander wechseln wollen, daß gar kein Rang und Oberstelle unter ih- nen gelten solle, daß sie sich mit einander ehren, und einander durch Complimens den Rang anbiethen wollen, u. s. f. bloß, damit die Socialität unterhal- ten würde. Will aber dieses nichts helffen, und
der
I. Theil. IV. Capitul.
derheit bey folgenden Umſtaͤnden ſeinen Abfall: (1) Wenn der Unterſchied ſo gar ſehr groß und mercklich, daß man, ohne dem Geſpoͤtt ſich zu un- terwerffen, es denen andern unmoͤglich anbiethen kan. (2) Wenn man den Reſpect, dem man ſeiner Herrſchafft ſchuldig, hiebey præjudiciren wuͤrde. (3) Wenn dergleichen an dieſem Ort, zu dieſer Zeit oder bey dieſer Handlung ungewoͤhnlich waͤre, als etwan bey Leich-Proceſſionen, da nicht ein jedweder gehen darff, wie er will, ſondern wie er verleſen wird, und es die Marſchaͤlle ordnen. (4) Wenn man vorher verſichert, daß es der an- dere nicht vor ein Ehren-Wort, und vor eine Hoͤf- lichkeit, ſondern aus Einfalt oder Hochmuth, vor ei- ne Schuldigkeit erkennen, und alſo dieſe Gefaͤllig- keit mißbrauchen werde.
§. 29. Ein vernuͤnfftiger Menſch bemuͤhet ſich allezeit mit jedermann Friede zu halten, ſo viel an ihm iſt, er ziehet die gelinden Wege den ſtreitigen vor, und gehet den Præcedenz-Streitigkeiten, wo er weiß und kan, aus dem Wege. Er iſt hierbey auf mancherley Temperamente bedacht, und laͤſt den andern, mit deme er manchmahl Amts- und Beruffs wegen zuſammen kommen muß, mancher- ley Vorſchlaͤge thun, daß ſie mit einander wechſeln wollen, daß gar kein Rang und Oberſtelle unter ih- nen gelten ſolle, daß ſie ſich mit einander ehren, und einander durch Complimens den Rang anbiethen wollen, u. ſ. f. bloß, damit die Socialitaͤt unterhal- ten wuͤrde. Will aber dieſes nichts helffen, und
der
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I. Theil. IV. Capitul.
derheit bey folgenden Umſtaͤnden ſeinen Abfall:
(1) Wenn der Unterſchied ſo gar ſehr groß und
mercklich, daß man, ohne dem Geſpoͤtt ſich zu un-
terwerffen, es denen andern unmoͤglich anbiethen
kan. (2) Wenn man den Reſpect, dem man
ſeiner Herrſchafft ſchuldig, hiebey præjudiciren
wuͤrde. (3) Wenn dergleichen an dieſem Ort, zu
dieſer Zeit oder bey dieſer Handlung ungewoͤhnlich
waͤre, als etwan bey Leich-Proceſſionen, da nicht
ein jedweder gehen darff, wie er will, ſondern wie
er verleſen wird, und es die Marſchaͤlle ordnen.
(4) Wenn man vorher verſichert, daß es der an-
dere nicht vor ein Ehren-Wort, und vor eine Hoͤf-
lichkeit, ſondern aus Einfalt oder Hochmuth, vor ei-
ne Schuldigkeit erkennen, und alſo dieſe Gefaͤllig-
keit mißbrauchen werde.
§. 29. Ein vernuͤnfftiger Menſch bemuͤhet ſich
allezeit mit jedermann Friede zu halten, ſo viel an
ihm iſt, er ziehet die gelinden Wege den ſtreitigen
vor, und gehet den Præcedenz-Streitigkeiten, wo
er weiß und kan, aus dem Wege. Er iſt hierbey
auf mancherley Temperamente bedacht, und laͤſt
den andern, mit deme er manchmahl Amts- und
Beruffs wegen zuſammen kommen muß, mancher-
ley Vorſchlaͤge thun, daß ſie mit einander wechſeln
wollen, daß gar kein Rang und Oberſtelle unter ih-
nen gelten ſolle, daß ſie ſich mit einander ehren, und
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wollen, u. ſ. f. bloß, damit die Socialitaͤt unterhal-
ten wuͤrde. Will aber dieſes nichts helffen, und
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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