Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Theil. III. Capitul.
characterisirter und titulirter Bettler. Bey seinen
Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichsten und
Wohlhabensten seine Augen wenden, sondern es
ist genug, wenn er seine Sachen hiebey so anstellt,
daß die Herrschafft und seine Vorgesetzten mit sei-
ner Aufführung zufrieden, seines gleichen ihn ihres
Umganges uud Freundschafft würdig achten, und
die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die sie dem
andern nach seinem Stand und Character zu erwei-
sen schuldig sind. Bey dem vierdten Stück muß
er alle und jede Umstände, die mit dem Character ver-
knüpfft sind, und seine eigne Person, das ist, seinen
innerlichen und äußerlichen Zustand angehen, auf
das fleißigste und sorgfältigste examiniren. Be-
findet er nun, daß alles dieses mit seinen Umstän-
den so genau harmonire, daß ihm durch dieses oder
jenes Praedicat ein höherer Grad der Gemüths-
Ruhe zuwachse, als er vorher gehabt, und ihm die-
selbe, so viel er endlich nach seiner jetzigen Vermu-
thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende
Reue nicht unterbrochen werden möchte, so kan er
im Nahmen GOttes sich vor diese Gnade respe-
ctive
allerunterthänigst oder unterthänigst bedan-
cken, und die Bedienung oder den Character an-
nehmen.

§. 28. Nachdem sich nun die Fälle heutiges
Tages so gar öffters nicht zutragen, daß einem die
Titul, ohne darum Ansuchung zu thun, von freyen
Stücken solten angebothen werden, und doch aus
einem Praedicat so groß Werck gemacht wird, so

fragt

I. Theil. III. Capitul.
characteriſirter und titulirter Bettler. Bey ſeinen
Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichſten und
Wohlhabenſten ſeine Augen wenden, ſondern es
iſt genug, wenn er ſeine Sachen hiebey ſo anſtellt,
daß die Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten mit ſei-
ner Auffuͤhrung zufrieden, ſeines gleichen ihn ihres
Umganges uud Freundſchafft wuͤrdig achten, und
die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die ſie dem
andern nach ſeinem Stand und Character zu erwei-
ſen ſchuldig ſind. Bey dem vierdten Stuͤck muß
er alle und jede Umſtaͤnde, die mit dem Character ver-
knuͤpfft ſind, und ſeine eigne Perſon, das iſt, ſeinen
innerlichen und aͤußerlichen Zuſtand angehen, auf
das fleißigſte und ſorgfaͤltigſte examiniren. Be-
findet er nun, daß alles dieſes mit ſeinen Umſtaͤn-
den ſo genau harmonire, daß ihm durch dieſes oder
jenes Prædicat ein hoͤherer Grad der Gemuͤths-
Ruhe zuwachſe, als er vorher gehabt, und ihm die-
ſelbe, ſo viel er endlich nach ſeiner jetzigen Vermu-
thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende
Reue nicht unterbrochen werden moͤchte, ſo kan er
im Nahmen GOttes ſich vor dieſe Gnade reſpe-
ctive
allerunterthaͤnigſt oder unterthaͤnigſt bedan-
cken, und die Bedienung oder den Character an-
nehmen.

§. 28. Nachdem ſich nun die Faͤlle heutiges
Tages ſo gar oͤffters nicht zutragen, daß einem die
Titul, ohne darum Anſuchung zu thun, von freyen
Stuͤcken ſolten angebothen werden, und doch aus
einem Prædicat ſo groß Werck gemacht wird, ſo

fragt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Theil. <hi rendition="#aq">III.</hi> Capitul.</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq">characteri&#x017F;i</hi>rter und <hi rendition="#aq">tituli</hi>rter Bettler. Bey &#x017F;einen<lb/>
Ausgaben darff er eben nicht auf die Reich&#x017F;ten und<lb/>
Wohlhaben&#x017F;ten &#x017F;eine Augen wenden, &#x017F;ondern es<lb/>
i&#x017F;t genug, wenn er &#x017F;eine Sachen hiebey &#x017F;o an&#x017F;tellt,<lb/>
daß die Herr&#x017F;chafft und &#x017F;eine Vorge&#x017F;etzten mit &#x017F;ei-<lb/>
ner Auffu&#x0364;hrung zufrieden, &#x017F;eines gleichen ihn ihres<lb/>
Umganges uud Freund&#x017F;chafft wu&#x0364;rdig achten, und<lb/>
die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die &#x017F;ie dem<lb/>
andern nach &#x017F;einem Stand und <hi rendition="#aq">Character</hi> zu erwei-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;chuldig &#x017F;ind. Bey dem vierdten Stu&#x0364;ck muß<lb/>
er alle und jede Um&#x017F;ta&#x0364;nde, die mit dem <hi rendition="#aq">Character</hi> ver-<lb/>
knu&#x0364;pfft &#x017F;ind, und &#x017F;eine eigne Per&#x017F;on, das i&#x017F;t, &#x017F;einen<lb/>
innerlichen und a&#x0364;ußerlichen Zu&#x017F;tand angehen, auf<lb/>
das fleißig&#x017F;te und &#x017F;orgfa&#x0364;ltig&#x017F;te <hi rendition="#aq">examini</hi>ren. Be-<lb/>
findet er nun, daß alles die&#x017F;es mit &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den &#x017F;o genau <hi rendition="#aq">harmoni</hi>re, daß ihm durch die&#x017F;es oder<lb/>
jenes <hi rendition="#aq">Prædicat</hi> ein ho&#x0364;herer <hi rendition="#aq">Grad</hi> der Gemu&#x0364;ths-<lb/>
Ruhe zuwach&#x017F;e, als er vorher gehabt, und ihm die-<lb/>
&#x017F;elbe, &#x017F;o viel er endlich nach &#x017F;einer jetzigen Vermu-<lb/>
thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende<lb/>
Reue nicht unterbrochen werden mo&#x0364;chte, &#x017F;o kan er<lb/>
im Nahmen GOttes &#x017F;ich vor die&#x017F;e Gnade <hi rendition="#aq">re&#x017F;pe-<lb/>
ctive</hi> alleruntertha&#x0364;nig&#x017F;t oder untertha&#x0364;nig&#x017F;t bedan-<lb/>
cken, und die Bedienung oder den <hi rendition="#aq">Character</hi> an-<lb/>
nehmen.</p><lb/>
        <p>§. 28. Nachdem &#x017F;ich nun die Fa&#x0364;lle heutiges<lb/>
Tages &#x017F;o gar o&#x0364;ffters nicht zutragen, daß einem die<lb/><hi rendition="#aq">Titul,</hi> ohne darum An&#x017F;uchung zu thun, von freyen<lb/>
Stu&#x0364;cken &#x017F;olten angebothen werden, und doch aus<lb/>
einem <hi rendition="#aq">Prædicat</hi> &#x017F;o groß Werck gemacht wird, &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fragt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0104] I. Theil. III. Capitul. characteriſirter und titulirter Bettler. Bey ſeinen Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichſten und Wohlhabenſten ſeine Augen wenden, ſondern es iſt genug, wenn er ſeine Sachen hiebey ſo anſtellt, daß die Herrſchafft und ſeine Vorgeſetzten mit ſei- ner Auffuͤhrung zufrieden, ſeines gleichen ihn ihres Umganges uud Freundſchafft wuͤrdig achten, und die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die ſie dem andern nach ſeinem Stand und Character zu erwei- ſen ſchuldig ſind. Bey dem vierdten Stuͤck muß er alle und jede Umſtaͤnde, die mit dem Character ver- knuͤpfft ſind, und ſeine eigne Perſon, das iſt, ſeinen innerlichen und aͤußerlichen Zuſtand angehen, auf das fleißigſte und ſorgfaͤltigſte examiniren. Be- findet er nun, daß alles dieſes mit ſeinen Umſtaͤn- den ſo genau harmonire, daß ihm durch dieſes oder jenes Prædicat ein hoͤherer Grad der Gemuͤths- Ruhe zuwachſe, als er vorher gehabt, und ihm die- ſelbe, ſo viel er endlich nach ſeiner jetzigen Vermu- thung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende Reue nicht unterbrochen werden moͤchte, ſo kan er im Nahmen GOttes ſich vor dieſe Gnade reſpe- ctive allerunterthaͤnigſt oder unterthaͤnigſt bedan- cken, und die Bedienung oder den Character an- nehmen. §. 28. Nachdem ſich nun die Faͤlle heutiges Tages ſo gar oͤffters nicht zutragen, daß einem die Titul, ohne darum Anſuchung zu thun, von freyen Stuͤcken ſolten angebothen werden, und doch aus einem Prædicat ſo groß Werck gemacht wird, ſo fragt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/104
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/104>, abgerufen am 02.05.2024.