Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

sie benannt sein wollen, die Angehörigen solcher Gemein-
schaften. Immer sind es mächtig hervorragende, vor anderen
ausgezeichnete Gestorbene, die nach dem Tode in heroisches
Leben eingegangen gedacht werden. Auch Heroen einer
jüngeren Prägung sind, wiewohl nicht mehr die Führer ihnen
angeschlossener Reihen von Nachkommen, doch aus der Masse
des Volkes, das sie verehrt, durch hohe Tugend und Trefflich-
keit ausgesondert. Heros zu werden nach dem Tode war ein
Vorrecht grosser und seltener Naturen, die schon zu Lebzeiten
nicht mit der Menge der Menschen verwechselt werden konnten.

Die Schaaren dieser alten auserlesenen Heroen verfielen
nicht der Vergessenheit, die ihr zweiter und wahrer Tod ge-
wesen wäre. Die Liebe zu Vaterland und Vaterstadt, unver-
welklich unter Griechen, fasste sich in verehrendem Gedächt-
niss der verklärten Helden zusammen, die jene einst befestigt
und beschirmt hatten. Als Messene im vierten Jahrhundert
neu gegründet wurde, wurden die Landesheroen feierlich herbei-
gerufen, dass sie wieder Mitbewohner der Stadt würden, vor
allen anderen Aristomenes, der unvergessliche Vorkämpfer
messenischer Freiheit 1). Noch bei Leuktra war er im Schlacht-
getümmel, den Thebanern vorstreitend, erschienen 2). Vor der
Schlacht hatte Epaminondes Heroinen des Ortes, die Töchter
des Skedasos, durch Gebet und Opfer sich gewonnen 3). Dies
war noch im letzten Heldenalter des Griechenthums. Aber
viel tiefer herunter erhielt sich Andenken und Cult der Landes-
heroen. Bis in späte Zeit verehrten die Bewohner von Sparta
ihren Leonidas 4). Die Helden der Perserkriege, die Erretter

1) Pausan. 4, 27, 6.
2) Pausan. 4, 32, 4.
3) Paus. 9, 13, 5. 6. Opfer (entemnein) einer weissen Stute für die
Heroinen: Plut. Pelop. 20. 21. 22. Kurz angedeutet wird der Vorfall
schon bei Xenoph. Hell. 6, 4, 7. S. auch Diodor. 15, 54. Ausführliche
Erzählung von dem Schicksal der Mädchen bei Plutarch. narr. amat. 3.
Hieronym. adv. Jovin. 1, 41 (II 1, 308 D. Vall.). -- ai Leuktrou thugateres
Plut. Herod. mal. 11 p. 856 F.
4) Leonideia in Sparta. C. I. Gr. 1421. Dabei (in dieser späten Zeit

sie benannt sein wollen, die Angehörigen solcher Gemein-
schaften. Immer sind es mächtig hervorragende, vor anderen
ausgezeichnete Gestorbene, die nach dem Tode in heroisches
Leben eingegangen gedacht werden. Auch Heroen einer
jüngeren Prägung sind, wiewohl nicht mehr die Führer ihnen
angeschlossener Reihen von Nachkommen, doch aus der Masse
des Volkes, das sie verehrt, durch hohe Tugend und Trefflich-
keit ausgesondert. Heros zu werden nach dem Tode war ein
Vorrecht grosser und seltener Naturen, die schon zu Lebzeiten
nicht mit der Menge der Menschen verwechselt werden konnten.

Die Schaaren dieser alten auserlesenen Heroen verfielen
nicht der Vergessenheit, die ihr zweiter und wahrer Tod ge-
wesen wäre. Die Liebe zu Vaterland und Vaterstadt, unver-
welklich unter Griechen, fasste sich in verehrendem Gedächt-
niss der verklärten Helden zusammen, die jene einst befestigt
und beschirmt hatten. Als Messene im vierten Jahrhundert
neu gegründet wurde, wurden die Landesheroen feierlich herbei-
gerufen, dass sie wieder Mitbewohner der Stadt würden, vor
allen anderen Aristomenes, der unvergessliche Vorkämpfer
messenischer Freiheit 1). Noch bei Leuktra war er im Schlacht-
getümmel, den Thebanern vorstreitend, erschienen 2). Vor der
Schlacht hatte Epaminondes Heroinen des Ortes, die Töchter
des Skedasos, durch Gebet und Opfer sich gewonnen 3). Dies
war noch im letzten Heldenalter des Griechenthums. Aber
viel tiefer herunter erhielt sich Andenken und Cult der Landes-
heroen. Bis in späte Zeit verehrten die Bewohner von Sparta
ihren Leonidas 4). Die Helden der Perserkriege, die Erretter

1) Pausan. 4, 27, 6.
2) Pausan. 4, 32, 4.
3) Paus. 9, 13, 5. 6. Opfer (ἐντέμνειν) einer weissen Stute für die
Heroïnen: Plut. Pelop. 20. 21. 22. Kurz angedeutet wird der Vorfall
schon bei Xenoph. Hell. 6, 4, 7. S. auch Diodor. 15, 54. Ausführliche
Erzählung von dem Schicksal der Mädchen bei Plutarch. narr. amat. 3.
Hieronym. adv. Jovin. 1, 41 (II 1, 308 D. Vall.). — αἱ Λεύκτρου ϑυγατέρες
Plut. Herod. mal. 11 p. 856 F.
4) Λεωνίδεια in Sparta. C. I. Gr. 1421. Dabei (in dieser späten Zeit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0653" n="637"/>
sie benannt sein wollen, die Angehörigen solcher Gemein-<lb/>
schaften. Immer sind es mächtig hervorragende, vor anderen<lb/>
ausgezeichnete Gestorbene, die nach dem Tode in heroisches<lb/>
Leben eingegangen gedacht werden. Auch Heroen einer<lb/>
jüngeren Prägung sind, wiewohl nicht mehr die Führer ihnen<lb/>
angeschlossener Reihen von Nachkommen, doch aus der Masse<lb/>
des Volkes, das sie verehrt, durch hohe Tugend und Trefflich-<lb/>
keit ausgesondert. Heros zu werden nach dem Tode war ein<lb/>
Vorrecht grosser und seltener Naturen, die schon zu Lebzeiten<lb/>
nicht mit der Menge der Menschen verwechselt werden konnten.</p><lb/>
            <p>Die Schaaren dieser alten auserlesenen Heroen verfielen<lb/>
nicht der Vergessenheit, die ihr zweiter und wahrer Tod ge-<lb/>
wesen wäre. Die Liebe zu Vaterland und Vaterstadt, unver-<lb/>
welklich unter Griechen, fasste sich in verehrendem Gedächt-<lb/>
niss der verklärten Helden zusammen, die jene einst befestigt<lb/>
und beschirmt hatten. Als Messene im vierten Jahrhundert<lb/>
neu gegründet wurde, wurden die Landesheroen feierlich herbei-<lb/>
gerufen, dass sie wieder Mitbewohner der Stadt würden, vor<lb/>
allen anderen Aristomenes, der unvergessliche Vorkämpfer<lb/>
messenischer Freiheit <note place="foot" n="1)">Pausan. 4, 27, 6.</note>. Noch bei Leuktra war er im Schlacht-<lb/>
getümmel, den Thebanern vorstreitend, erschienen <note place="foot" n="2)">Pausan. 4, 32, 4.</note>. Vor der<lb/>
Schlacht hatte Epaminondes Heroinen des Ortes, die Töchter<lb/>
des Skedasos, durch Gebet und Opfer sich gewonnen <note place="foot" n="3)">Paus. 9, 13, 5. 6. Opfer (&#x1F10;&#x03BD;&#x03C4;&#x03AD;&#x03BC;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;) einer weissen Stute für die<lb/>
Heroïnen: Plut. <hi rendition="#i">Pelop.</hi> 20. 21. 22. Kurz angedeutet wird der Vorfall<lb/>
schon bei Xenoph. <hi rendition="#i">Hell.</hi> 6, 4, 7. S. auch Diodor. 15, 54. Ausführliche<lb/>
Erzählung von dem Schicksal der Mädchen bei Plutarch. <hi rendition="#i">narr. amat.</hi> 3.<lb/>
Hieronym. <hi rendition="#i">adv. Jovin.</hi> 1, 41 (II 1, 308 D. Vall.). &#x2014; &#x03B1;&#x1F31; &#x039B;&#x03B5;&#x03CD;&#x03BA;&#x03C4;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C5; &#x03D1;&#x03C5;&#x03B3;&#x03B1;&#x03C4;&#x03AD;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C2;<lb/>
Plut. <hi rendition="#i">Herod. mal.</hi> 11 p. 856 F.</note>. Dies<lb/>
war noch im letzten Heldenalter des Griechenthums. Aber<lb/>
viel tiefer herunter erhielt sich Andenken und Cult der Landes-<lb/>
heroen. Bis in späte Zeit verehrten die Bewohner von Sparta<lb/>
ihren Leonidas <note xml:id="seg2pn_227_1" next="#seg2pn_227_2" place="foot" n="4)">&#x039B;&#x03B5;&#x03C9;&#x03BD;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B1; in Sparta. <hi rendition="#i">C. I. Gr.</hi> 1421. Dabei (in dieser späten Zeit</note>. Die Helden der Perserkriege, die Erretter<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[637/0653] sie benannt sein wollen, die Angehörigen solcher Gemein- schaften. Immer sind es mächtig hervorragende, vor anderen ausgezeichnete Gestorbene, die nach dem Tode in heroisches Leben eingegangen gedacht werden. Auch Heroen einer jüngeren Prägung sind, wiewohl nicht mehr die Führer ihnen angeschlossener Reihen von Nachkommen, doch aus der Masse des Volkes, das sie verehrt, durch hohe Tugend und Trefflich- keit ausgesondert. Heros zu werden nach dem Tode war ein Vorrecht grosser und seltener Naturen, die schon zu Lebzeiten nicht mit der Menge der Menschen verwechselt werden konnten. Die Schaaren dieser alten auserlesenen Heroen verfielen nicht der Vergessenheit, die ihr zweiter und wahrer Tod ge- wesen wäre. Die Liebe zu Vaterland und Vaterstadt, unver- welklich unter Griechen, fasste sich in verehrendem Gedächt- niss der verklärten Helden zusammen, die jene einst befestigt und beschirmt hatten. Als Messene im vierten Jahrhundert neu gegründet wurde, wurden die Landesheroen feierlich herbei- gerufen, dass sie wieder Mitbewohner der Stadt würden, vor allen anderen Aristomenes, der unvergessliche Vorkämpfer messenischer Freiheit 1). Noch bei Leuktra war er im Schlacht- getümmel, den Thebanern vorstreitend, erschienen 2). Vor der Schlacht hatte Epaminondes Heroinen des Ortes, die Töchter des Skedasos, durch Gebet und Opfer sich gewonnen 3). Dies war noch im letzten Heldenalter des Griechenthums. Aber viel tiefer herunter erhielt sich Andenken und Cult der Landes- heroen. Bis in späte Zeit verehrten die Bewohner von Sparta ihren Leonidas 4). Die Helden der Perserkriege, die Erretter 1) Pausan. 4, 27, 6. 2) Pausan. 4, 32, 4. 3) Paus. 9, 13, 5. 6. Opfer (ἐντέμνειν) einer weissen Stute für die Heroïnen: Plut. Pelop. 20. 21. 22. Kurz angedeutet wird der Vorfall schon bei Xenoph. Hell. 6, 4, 7. S. auch Diodor. 15, 54. Ausführliche Erzählung von dem Schicksal der Mädchen bei Plutarch. narr. amat. 3. Hieronym. adv. Jovin. 1, 41 (II 1, 308 D. Vall.). — αἱ Λεύκτρου ϑυγατέρες Plut. Herod. mal. 11 p. 856 F. 4) Λεωνίδεια in Sparta. C. I. Gr. 1421. Dabei (in dieser späten Zeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/653
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/653>, abgerufen am 21.11.2024.