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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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des Ziels gewinnt, so bedarf sie auch der Anweisung auf eine
Vollendung des Strebens in jenseitigem Leben des Geistes
nicht. In dieser Welt liegt der ganze Umfang ihrer Aufgaben.
Der alte stoische Glaube an die Fortdauer der Einzelseele bis
zu der Vernichtung aller Einzelgebilde im Weltbrande 1) gilt
höchstens als eine Vermuthung neben anderen 2); vielleicht ist
dies nur ein "schöner Traum" 3). Mag nun der Tod ein Ueber-
gang sein zu einem anderen Dasein, oder ein letztes Ende des
persönlichen Lebens: dem Weisen ist er gleich willkommen,
der nicht nach der Dauer, sondern nach der Fülle des Inhalts
seines Lebens Werth ermisst. Im Grunde neigt Seneca doch
zu der Ansicht, dass der Tod dem Menschen ein Ende bringe,
nach dem der "ewige Friede" den unruhigen Geist erwarte 4).

1) nos quoque felices animae et aeterna sortitae, sagt die Seele des
Vaters der Marcia, Sen. cons. ad Marc. 26, 7, in antiqua elementa ver-
temur
bei der ekpurosis.
2) Sen. epist. 88, 34.
3) bellum somnium. Seneca ep. 102, 2.
4) Wo Seneca positivere Vorstellungen von einem Leben nach dem
Tode gelten lässt, kommt er doch nicht hinaus über ein: fortasse, si modo
vera sapientium fama est
(ep. 63, 16) ein absichtliches Geltenlassen des
consensus hominum (ep. 117, 6) der opiniones magnorum virorum rem
gratissimam promittentium magis quam probantium
(ep. 102, 2). Dem Stil
der Trostreden entsprechend, lässt er solche Hoffnungen in den Conso-
lationes allenfalls eine lebhaftere Farbe gewinnen: ad Marc. 25, 1 ff.; ad
Helv.
11, 7; ad Polyb. 9, 8. Aber auch dort ist von persönlicher
Fortdauer kaum ernstlich die Rede. Und in denselben Schriften wird
der Tod auch einfach als Ende aller Schmerzen, aller Empfindung über-
haupt gepriesen: ad Marc. 19, 4. 5. Wir werden im Tode wieder sein,
wie vor der Geburt (ad Marc. 19, 5. epist. 54, 4: mors est non esse.
id quale sit, iam scio. hoc erit post me, quod ante me fuit. ep.
77, 11:
non eris: nec fuisti). Ob nun der Tod finis ist oder transitus (de prov.
6, 6; ep. 65, 24), er ist dem Weisen willkommen, der seine Lebenszeit,
wenn sie auch kurz war, wohl ausgefüllt hat; gehe er nun zu den Göttern
ein, oder bleibt nichts vom Menschen nach dem Tode, aeque magnum
animum habebit
(ep. 93, 10). nunquam magis divinum est (pectus huma-
num) quam ubi mortalitatem suam cogitat, et scit, in hoc natum hominem
ut vita defungeretur
cet. (ep. 120, 14) ipsum perire non est magnum. anima
in expedito est habenda
(Quaest. nat. 6, 32, 5). Bereit sein ist Alles. --
Fest zu stehn scheint dem Seneca von altstoischen Dogmen allein das

des Ziels gewinnt, so bedarf sie auch der Anweisung auf eine
Vollendung des Strebens in jenseitigem Leben des Geistes
nicht. In dieser Welt liegt der ganze Umfang ihrer Aufgaben.
Der alte stoische Glaube an die Fortdauer der Einzelseele bis
zu der Vernichtung aller Einzelgebilde im Weltbrande 1) gilt
höchstens als eine Vermuthung neben anderen 2); vielleicht ist
dies nur ein „schöner Traum“ 3). Mag nun der Tod ein Ueber-
gang sein zu einem anderen Dasein, oder ein letztes Ende des
persönlichen Lebens: dem Weisen ist er gleich willkommen,
der nicht nach der Dauer, sondern nach der Fülle des Inhalts
seines Lebens Werth ermisst. Im Grunde neigt Seneca doch
zu der Ansicht, dass der Tod dem Menschen ein Ende bringe,
nach dem der „ewige Friede“ den unruhigen Geist erwarte 4).

1) nos quoque felices animae et aeterna sortitae, sagt die Seele des
Vaters der Marcia, Sen. cons. ad Marc. 26, 7, in antiqua elementa ver-
temur
bei der ἐκπύρωσις.
2) Sen. epist. 88, 34.
3) bellum somnium. Seneca ep. 102, 2.
4) Wo Seneca positivere Vorstellungen von einem Leben nach dem
Tode gelten lässt, kommt er doch nicht hinaus über ein: fortasse, si modo
vera sapientium fama est
(ep. 63, 16) ein absichtliches Geltenlassen des
consensus hominum (ep. 117, 6) der opiniones magnorum virorum rem
gratissimam promittentium magis quam probantium
(ep. 102, 2). Dem Stil
der Trostreden entsprechend, lässt er solche Hoffnungen in den Conso-
lationes allenfalls eine lebhaftere Farbe gewinnen: ad Marc. 25, 1 ff.; ad
Helv.
11, 7; ad Polyb. 9, 8. Aber auch dort ist von persönlicher
Fortdauer kaum ernstlich die Rede. Und in denselben Schriften wird
der Tod auch einfach als Ende aller Schmerzen, aller Empfindung über-
haupt gepriesen: ad Marc. 19, 4. 5. Wir werden im Tode wieder sein,
wie vor der Geburt (ad Marc. 19, 5. epist. 54, 4: mors est non esse.
id quale sit, iam scio. hoc erit post me, quod ante me fuit. ep.
77, 11:
non eris: nec fuisti). Ob nun der Tod finis ist oder transitus (de prov.
6, 6; ep. 65, 24), er ist dem Weisen willkommen, der seine Lebenszeit,
wenn sie auch kurz war, wohl ausgefüllt hat; gehe er nun zu den Göttern
ein, oder bleibt nichts vom Menschen nach dem Tode, aeque magnum
animum habebit
(ep. 93, 10). nunquam magis divinum est (pectus huma-
num) quam ubi mortalitatem suam cogitat, et scit, in hoc natum hominem
ut vita defungeretur
cet. (ep. 120, 14) ipsum perire non est magnum. anima
in expedito est habenda
(Quaest. nat. 6, 32, 5). Bereit sein ist Alles. —
Fest zu stehn scheint dem Seneca von altstoischen Dogmen allein das
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[618/0634] des Ziels gewinnt, so bedarf sie auch der Anweisung auf eine Vollendung des Strebens in jenseitigem Leben des Geistes nicht. In dieser Welt liegt der ganze Umfang ihrer Aufgaben. Der alte stoische Glaube an die Fortdauer der Einzelseele bis zu der Vernichtung aller Einzelgebilde im Weltbrande 1) gilt höchstens als eine Vermuthung neben anderen 2); vielleicht ist dies nur ein „schöner Traum“ 3). Mag nun der Tod ein Ueber- gang sein zu einem anderen Dasein, oder ein letztes Ende des persönlichen Lebens: dem Weisen ist er gleich willkommen, der nicht nach der Dauer, sondern nach der Fülle des Inhalts seines Lebens Werth ermisst. Im Grunde neigt Seneca doch zu der Ansicht, dass der Tod dem Menschen ein Ende bringe, nach dem der „ewige Friede“ den unruhigen Geist erwarte 4). 1) nos quoque felices animae et aeterna sortitae, sagt die Seele des Vaters der Marcia, Sen. cons. ad Marc. 26, 7, in antiqua elementa ver- temur bei der ἐκπύρωσις. 2) Sen. epist. 88, 34. 3) bellum somnium. Seneca ep. 102, 2. 4) Wo Seneca positivere Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode gelten lässt, kommt er doch nicht hinaus über ein: fortasse, si modo vera sapientium fama est (ep. 63, 16) ein absichtliches Geltenlassen des consensus hominum (ep. 117, 6) der opiniones magnorum virorum rem gratissimam promittentium magis quam probantium (ep. 102, 2). Dem Stil der Trostreden entsprechend, lässt er solche Hoffnungen in den Conso- lationes allenfalls eine lebhaftere Farbe gewinnen: ad Marc. 25, 1 ff.; ad Helv. 11, 7; ad Polyb. 9, 8. Aber auch dort ist von persönlicher Fortdauer kaum ernstlich die Rede. Und in denselben Schriften wird der Tod auch einfach als Ende aller Schmerzen, aller Empfindung über- haupt gepriesen: ad Marc. 19, 4. 5. Wir werden im Tode wieder sein, wie vor der Geburt (ad Marc. 19, 5. epist. 54, 4: mors est non esse. id quale sit, iam scio. hoc erit post me, quod ante me fuit. ep. 77, 11: non eris: nec fuisti). Ob nun der Tod finis ist oder transitus (de prov. 6, 6; ep. 65, 24), er ist dem Weisen willkommen, der seine Lebenszeit, wenn sie auch kurz war, wohl ausgefüllt hat; gehe er nun zu den Göttern ein, oder bleibt nichts vom Menschen nach dem Tode, aeque magnum animum habebit (ep. 93, 10). nunquam magis divinum est (pectus huma- num) quam ubi mortalitatem suam cogitat, et scit, in hoc natum hominem ut vita defungeretur cet. (ep. 120, 14) ipsum perire non est magnum. anima in expedito est habenda (Quaest. nat. 6, 32, 5). Bereit sein ist Alles. — Fest zu stehn scheint dem Seneca von altstoischen Dogmen allein das

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/634>, abgerufen am 23.11.2024.