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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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und durch Herbeiziehung anderer Figuren Deckung suchte 1).
Mit gleicher Kälte konnte hierbei die Unsterblichkeit aufgegeben
oder neu bestätigt werden. Die platonisirende und poetisirende
Ausführung des Posidonius mag weiter verbreiteten Anklang
gefunden haben unter der Mehrzahl der Leser in einer hoch-
gebildeten Gesellschaft, denen der Gedanke der Seelenfortdauer
ein Bedürfniss mehr der Phantasie als des Gemüthes und
tieferen Sinnes war. Cicero, als beredtester Vertreter des hel-
lenisirten Römerthums der Zeit, mag uns die künstlerisch ästhe-
tische Vorliebe, mit der man diesem Gedanken nachhing, ver-
gegenwärtigen in den Ausführungen, die er, wesentlich nach
Posidonius, dem Glauben an ein Fortleben im göttlichen Ele-
ment des Aethers giebt, im Traum des Scipio, und im ersten
Buche der Tusculanen 2). --

5.

Der Stoicismus blieb lange Zeit lebendig. Mehr als je-
mals zuvor hat er während des ersten und zweiten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung seiner wahren Aufgabe genügt, als eine
Lebensweisheit, nicht als todte Gelehrsamkeit zu wirken, in

1) Dass Panaetius zu seinen Aufstellungen in Bezug auf Natur und
Schicksal der Seele wesentlich durch die Polemik des Karneades gegen
die Dogmatiker, speciell der stoischen Schule, veranlasst wurde, macht
Schmekel (D. Philos. der mittleren Stoa. 1892) recht einleuchtend. Weniger
deutlich ist die Rücksicht auf Karneades bei Posidonius und seinen
Heterodoxien. Aber gewiss ist ja, dass dieser sich gegen Chrysipp auf-
lehnt, von Panaetius stark abweicht, und damit ist wenigstens indirect
eine Beziehung auf Karneades, dessen Kritik Panaetius in Hauptpunkten
nachgegeben hatte, auch für Posidonius gegeben.
2) Für das erste Buch der Tusculanen ist Benutzung des Posidonius
(über deren Ausdehnung man freilich verschiedenes vermuthen kann) all-
gemein zugestanden. Für das Somnium Scipionis ist sie wenigstens sehr
glaublich (s. Corssen De Posid. 40 ff.) -- Die Vorliebe für solche Un-
sterblichkeitshoffnungen blieb bei Cicero (und wohl durchweg bei den
Gebildeten seiner Zeit und seiner Gesellschaft) nur eine künstlerische.
Wo er nicht rhetorisirt oder als Schriftsteller sich in Pose setzt, in
seinen Briefen namentlich, zeigt er keine Spur von Ueberzeugungen der
sonst mit Pathos vertretenen Richtung (s. Boissier, la religion rom. d' Aug.
aux Antonins.
1, 58 f.).

und durch Herbeiziehung anderer Figuren Deckung suchte 1).
Mit gleicher Kälte konnte hierbei die Unsterblichkeit aufgegeben
oder neu bestätigt werden. Die platonisirende und poetisirende
Ausführung des Posidonius mag weiter verbreiteten Anklang
gefunden haben unter der Mehrzahl der Leser in einer hoch-
gebildeten Gesellschaft, denen der Gedanke der Seelenfortdauer
ein Bedürfniss mehr der Phantasie als des Gemüthes und
tieferen Sinnes war. Cicero, als beredtester Vertreter des hel-
lenisirten Römerthums der Zeit, mag uns die künstlerisch ästhe-
tische Vorliebe, mit der man diesem Gedanken nachhing, ver-
gegenwärtigen in den Ausführungen, die er, wesentlich nach
Posidonius, dem Glauben an ein Fortleben im göttlichen Ele-
ment des Aethers giebt, im Traum des Scipio, und im ersten
Buche der Tusculanen 2). —

5.

Der Stoicismus blieb lange Zeit lebendig. Mehr als je-
mals zuvor hat er während des ersten und zweiten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung seiner wahren Aufgabe genügt, als eine
Lebensweisheit, nicht als todte Gelehrsamkeit zu wirken, in

1) Dass Panaetius zu seinen Aufstellungen in Bezug auf Natur und
Schicksal der Seele wesentlich durch die Polemik des Karneades gegen
die Dogmatiker, speciell der stoischen Schule, veranlasst wurde, macht
Schmekel (D. Philos. der mittleren Stoa. 1892) recht einleuchtend. Weniger
deutlich ist die Rücksicht auf Karneades bei Posidonius und seinen
Heterodoxien. Aber gewiss ist ja, dass dieser sich gegen Chrysipp auf-
lehnt, von Panaetius stark abweicht, und damit ist wenigstens indirect
eine Beziehung auf Karneades, dessen Kritik Panaetius in Hauptpunkten
nachgegeben hatte, auch für Posidonius gegeben.
2) Für das erste Buch der Tusculanen ist Benutzung des Posidonius
(über deren Ausdehnung man freilich verschiedenes vermuthen kann) all-
gemein zugestanden. Für das Somnium Scipionis ist sie wenigstens sehr
glaublich (s. Corssen De Posid. 40 ff.) — Die Vorliebe für solche Un-
sterblichkeitshoffnungen blieb bei Cicero (und wohl durchweg bei den
Gebildeten seiner Zeit und seiner Gesellschaft) nur eine künstlerische.
Wo er nicht rhetorisirt oder als Schriftsteller sich in Pose setzt, in
seinen Briefen namentlich, zeigt er keine Spur von Ueberzeugungen der
sonst mit Pathos vertretenen Richtung (s. Boissier, la religion rom. d’ Aug.
aux Antonins.
1, 58 f.).
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[616/0632] und durch Herbeiziehung anderer Figuren Deckung suchte 1). Mit gleicher Kälte konnte hierbei die Unsterblichkeit aufgegeben oder neu bestätigt werden. Die platonisirende und poetisirende Ausführung des Posidonius mag weiter verbreiteten Anklang gefunden haben unter der Mehrzahl der Leser in einer hoch- gebildeten Gesellschaft, denen der Gedanke der Seelenfortdauer ein Bedürfniss mehr der Phantasie als des Gemüthes und tieferen Sinnes war. Cicero, als beredtester Vertreter des hel- lenisirten Römerthums der Zeit, mag uns die künstlerisch ästhe- tische Vorliebe, mit der man diesem Gedanken nachhing, ver- gegenwärtigen in den Ausführungen, die er, wesentlich nach Posidonius, dem Glauben an ein Fortleben im göttlichen Ele- ment des Aethers giebt, im Traum des Scipio, und im ersten Buche der Tusculanen 2). — 5. Der Stoicismus blieb lange Zeit lebendig. Mehr als je- mals zuvor hat er während des ersten und zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung seiner wahren Aufgabe genügt, als eine Lebensweisheit, nicht als todte Gelehrsamkeit zu wirken, in 1) Dass Panaetius zu seinen Aufstellungen in Bezug auf Natur und Schicksal der Seele wesentlich durch die Polemik des Karneades gegen die Dogmatiker, speciell der stoischen Schule, veranlasst wurde, macht Schmekel (D. Philos. der mittleren Stoa. 1892) recht einleuchtend. Weniger deutlich ist die Rücksicht auf Karneades bei Posidonius und seinen Heterodoxien. Aber gewiss ist ja, dass dieser sich gegen Chrysipp auf- lehnt, von Panaetius stark abweicht, und damit ist wenigstens indirect eine Beziehung auf Karneades, dessen Kritik Panaetius in Hauptpunkten nachgegeben hatte, auch für Posidonius gegeben. 2) Für das erste Buch der Tusculanen ist Benutzung des Posidonius (über deren Ausdehnung man freilich verschiedenes vermuthen kann) all- gemein zugestanden. Für das Somnium Scipionis ist sie wenigstens sehr glaublich (s. Corssen De Posid. 40 ff.) — Die Vorliebe für solche Un- sterblichkeitshoffnungen blieb bei Cicero (und wohl durchweg bei den Gebildeten seiner Zeit und seiner Gesellschaft) nur eine künstlerische. Wo er nicht rhetorisirt oder als Schriftsteller sich in Pose setzt, in seinen Briefen namentlich, zeigt er keine Spur von Ueberzeugungen der sonst mit Pathos vertretenen Richtung (s. Boissier, la religion rom. d’ Aug. aux Antonins. 1, 58 f.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/632>, abgerufen am 23.11.2024.