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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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unterscheidet wohl drei Kräfte, aber nicht verschiedene Bestand-
theile in der menschlichen Seele; er hatte somit auch keinen
Anlass mehr, an eine Auflösung der Seele in ihre Bestand-
theile im Tode zu glauben. Auch die Entstehung der einzelnen
Seele in der Zeit, aus der ihre Vergänglichkeit in der Zeit zu
folgen schien, leugnete er; er griff zurück auf die alttheologische
Vorstellung einer Praeexistenz der Seele, ihres Lebens seit An-
beginn der Weltbildung, und konnte so auch ihre Fortdauer,
mindestens bis zur nächsten Weltvernichtung im allbeherrschen-
den Feuer, weiter behaupten 1).

1) Posidonius unterscheidet in der Seele des Menschen nicht drei
Theile aber drei dunameis mias ousias ek tes kardias ormomenes (Galen V
515), nämlich, wie Plato, das logistikon, thumoeides, epithumetikon (ibid. 476 f.
653). Diese beiden letzten sind die dunameis alogoi (nur phantasiai, als
Bestimmungen ihrer Triebe, bilden sich in ihnen: ib. 474. 399); nicht
Urtheile noch Folgen aus Urtheilen sind die pathe, sondern Erregungen
(kineseis) eben dieser dunameis alogoi (ib. 429 f. vgl. 378); so allein erklärt
sich, wie in dem Menschen, dessen Seele eben nicht (wie Chrysipp fest-
hielt) reine Vernunftkraft ist, Leidenschaft und Frevel entstehen kann
(vgl. auch Galen. IV 820). Es giebt somit in der Menschenseele auch
ein alogon kai kakodaimon kai atheon neben dem daimon suggenes to ton
olon kosmon dioikounti (Galen. V 469 f.). Wie das freilich möglich sein
soll, da doch die Seele Eine ousia ist und ganz göttliches pneuma ihrem
Wesen nach, ist schwer zu sagen; ein ungöttliches oder widergöttliches
Princip in der Welt kennt auch Posidonius sonst nicht. Die Ethik der
Stoa hatte von jeher einen Dualismus gezeigt, der sich hier auch auf die
Physik überträgt, der er in stoischer Lehre ursprünglich fremd war. Von
ihm aus stärkere Betonung des (freilich von jeher bei Stoikern angenom-
menen) Gegensatzes zwischen "Seele" und "Leib", der inutilis caro ac
fluida
(Pos. bei Seneca epist. 92, 10). Und diesem Gegensatz entsprechend,
soll denn auch die "Seele" nicht mit dem Leibe zugleich entstanden sein
oder erst nach dem Entstehen des Leibes sich bilden (gegonenai ten psukhen
kai metagenesteran einai [tou somatos]: Chrysipp. bei Plut. Stoic. rep. 1053 D),
sondern sie hat schon vorher gelebt, in göttlichem Sonderleben. Aus-
drücklich überliefert ist es nicht, dass Posidonius Praeexistenz der "Seele"
annahm: aber man giebt ihm diese Lehre, die ganz in der Richtung
seiner Gedanken lag, mit Recht, da sie in Ausführungen, in denen Cicero
oder Seneca dem Posidonius nachsprechen, mehrfach wie selbstverständ-
lich eingeführt wird (s. Corssen, De Posid. Rhod. p. 25 ff. Aus Sext.
phys. 1, 71 lässt sich indessen nicht, wie Heinze, Xenokrates 134, 2 meint,
die Lehre der Praeexistenz herauslesen). War der Seelen-daimon schon
vor seiner Verleiblichung, so kann er wohl nur bei der Zeugung des

unterscheidet wohl drei Kräfte, aber nicht verschiedene Bestand-
theile in der menschlichen Seele; er hatte somit auch keinen
Anlass mehr, an eine Auflösung der Seele in ihre Bestand-
theile im Tode zu glauben. Auch die Entstehung der einzelnen
Seele in der Zeit, aus der ihre Vergänglichkeit in der Zeit zu
folgen schien, leugnete er; er griff zurück auf die alttheologische
Vorstellung einer Praeexistenz der Seele, ihres Lebens seit An-
beginn der Weltbildung, und konnte so auch ihre Fortdauer,
mindestens bis zur nächsten Weltvernichtung im allbeherrschen-
den Feuer, weiter behaupten 1).

1) Posidonius unterscheidet in der Seele des Menschen nicht drei
Theile aber drei δυνάμεις μιᾶς οὐσίας ἐκ τῆς καρδίας ὁρμωμένης (Galen V
515), nämlich, wie Plato, das λογιστικόν, ϑυμοειδές, ἐπιϑυμητικόν (ibid. 476 f.
653). Diese beiden letzten sind die δυνάμεις ἄλογοι (nur φαντασίαι, als
Bestimmungen ihrer Triebe, bilden sich in ihnen: ib. 474. 399); nicht
Urtheile noch Folgen aus Urtheilen sind die πάϑη, sondern Erregungen
(κινήσεις) eben dieser δυνάμεις ἄλογοι (ib. 429 f. vgl. 378); so allein erklärt
sich, wie in dem Menschen, dessen Seele eben nicht (wie Chrysipp fest-
hielt) reine Vernunftkraft ist, Leidenschaft und Frevel entstehen kann
(vgl. auch Galen. IV 820). Es giebt somit in der Menschenseele auch
ein ἄλογον καὶ κακόδαιμον καὶ ἄϑεον neben dem δαίμων συγγενὴς τῷ τὸν
ὅλον κόσμον διοικοῦντι (Galen. V 469 f.). Wie das freilich möglich sein
soll, da doch die Seele Eine οὐσία ist und ganz göttliches πνεῦμα ihrem
Wesen nach, ist schwer zu sagen; ein ungöttliches oder widergöttliches
Princip in der Welt kennt auch Posidonius sonst nicht. Die Ethik der
Stoa hatte von jeher einen Dualismus gezeigt, der sich hier auch auf die
Physik überträgt, der er in stoischer Lehre ursprünglich fremd war. Von
ihm aus stärkere Betonung des (freilich von jeher bei Stoikern angenom-
menen) Gegensatzes zwischen „Seele“ und „Leib“, der inutilis caro ac
fluida
(Pos. bei Seneca epist. 92, 10). Und diesem Gegensatz entsprechend,
soll denn auch die „Seele“ nicht mit dem Leibe zugleich entstanden sein
oder erst nach dem Entstehen des Leibes sich bilden (γεγονέναι τὴν ψυχὴν
καὶ μεταγενεστέραν εἶναι [τοῦ σώματος]: Chrysipp. bei Plut. Stoic. rep. 1053 D),
sondern sie hat schon vorher gelebt, in göttlichem Sonderleben. Aus-
drücklich überliefert ist es nicht, dass Posidonius Praeexistenz der „Seele“
annahm: aber man giebt ihm diese Lehre, die ganz in der Richtung
seiner Gedanken lag, mit Recht, da sie in Ausführungen, in denen Cicero
oder Seneca dem Posidonius nachsprechen, mehrfach wie selbstverständ-
lich eingeführt wird (s. Corssen, De Posid. Rhod. p. 25 ff. Aus Sext.
phys. 1, 71 lässt sich indessen nicht, wie Heinze, Xenokrates 134, 2 meint,
die Lehre der Praeexistenz herauslesen). War der Seelen-δαίμων schon
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[614/0630] unterscheidet wohl drei Kräfte, aber nicht verschiedene Bestand- theile in der menschlichen Seele; er hatte somit auch keinen Anlass mehr, an eine Auflösung der Seele in ihre Bestand- theile im Tode zu glauben. Auch die Entstehung der einzelnen Seele in der Zeit, aus der ihre Vergänglichkeit in der Zeit zu folgen schien, leugnete er; er griff zurück auf die alttheologische Vorstellung einer Praeexistenz der Seele, ihres Lebens seit An- beginn der Weltbildung, und konnte so auch ihre Fortdauer, mindestens bis zur nächsten Weltvernichtung im allbeherrschen- den Feuer, weiter behaupten 1). 1) Posidonius unterscheidet in der Seele des Menschen nicht drei Theile aber drei δυνάμεις μιᾶς οὐσίας ἐκ τῆς καρδίας ὁρμωμένης (Galen V 515), nämlich, wie Plato, das λογιστικόν, ϑυμοειδές, ἐπιϑυμητικόν (ibid. 476 f. 653). Diese beiden letzten sind die δυνάμεις ἄλογοι (nur φαντασίαι, als Bestimmungen ihrer Triebe, bilden sich in ihnen: ib. 474. 399); nicht Urtheile noch Folgen aus Urtheilen sind die πάϑη, sondern Erregungen (κινήσεις) eben dieser δυνάμεις ἄλογοι (ib. 429 f. vgl. 378); so allein erklärt sich, wie in dem Menschen, dessen Seele eben nicht (wie Chrysipp fest- hielt) reine Vernunftkraft ist, Leidenschaft und Frevel entstehen kann (vgl. auch Galen. IV 820). Es giebt somit in der Menschenseele auch ein ἄλογον καὶ κακόδαιμον καὶ ἄϑεον neben dem δαίμων συγγενὴς τῷ τὸν ὅλον κόσμον διοικοῦντι (Galen. V 469 f.). Wie das freilich möglich sein soll, da doch die Seele Eine οὐσία ist und ganz göttliches πνεῦμα ihrem Wesen nach, ist schwer zu sagen; ein ungöttliches oder widergöttliches Princip in der Welt kennt auch Posidonius sonst nicht. Die Ethik der Stoa hatte von jeher einen Dualismus gezeigt, der sich hier auch auf die Physik überträgt, der er in stoischer Lehre ursprünglich fremd war. Von ihm aus stärkere Betonung des (freilich von jeher bei Stoikern angenom- menen) Gegensatzes zwischen „Seele“ und „Leib“, der inutilis caro ac fluida (Pos. bei Seneca epist. 92, 10). Und diesem Gegensatz entsprechend, soll denn auch die „Seele“ nicht mit dem Leibe zugleich entstanden sein oder erst nach dem Entstehen des Leibes sich bilden (γεγονέναι τὴν ψυχὴν καὶ μεταγενεστέραν εἶναι [τοῦ σώματος]: Chrysipp. bei Plut. Stoic. rep. 1053 D), sondern sie hat schon vorher gelebt, in göttlichem Sonderleben. Aus- drücklich überliefert ist es nicht, dass Posidonius Praeexistenz der „Seele“ annahm: aber man giebt ihm diese Lehre, die ganz in der Richtung seiner Gedanken lag, mit Recht, da sie in Ausführungen, in denen Cicero oder Seneca dem Posidonius nachsprechen, mehrfach wie selbstverständ- lich eingeführt wird (s. Corssen, De Posid. Rhod. p. 25 ff. Aus Sext. phys. 1, 71 lässt sich indessen nicht, wie Heinze, Xenokrates 134, 2 meint, die Lehre der Praeexistenz herauslesen). War der Seelen-δαίμων schon vor seiner Verleiblichung, so kann er wohl nur bei der Zeugung des

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/630>, abgerufen am 24.11.2024.