Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

hier der Schlussstein in einem Aufbau des Lebens, dessen
Baumeister alles Irdische, als nur für einstweilen gültig, tief
entwerthet sieht, da ihm allein der Himmel der geistigen Welt
der ewig bleibenden Gesetze und Vorbilder dauernd im Ge-
müthe steht. Ueber das Griechenthum, wie es sich in Staat
und Gesellschaft, in Lebenssitte und Kunst, einer Kunst, die
ewig ist soweit die Menschheit ewig sein mag, entwickelt hatte,
wird hier achtlos hinausgeschritten; eine Aristokratie wird hier
gefordert, nach einem Maassstab dessen, was das "Beste" sei,
angelegt, dem keine unter Menschen denkbare Culturform, und
wäre sie so tief in aristokratischen Gedanken eingewurzelt,
wie die griechische allezeit war, genug thun könnte. Und das
letzte Wunschziel dieser Organisation des irdischen Lebens
wäre die Aufhebung alles Lebens auf Erden. --

Platos in Geben und Empfangen gleich reicher Geist,
nicht dazu angethan, in einem einzigen mystischen Tiefblick zu
erstarren, hat auch nach Vollendung der Bücher vom Staate
nicht abgelassen, das System seiner Gedanken mannichfach
weiterbildend umzugestalten, einzelne Probleme in erneuerter
Forschung und hin- und hergehenden Versuchen auszuführen;
selbst einen zweiten Aufriss eines Staatsgebäudes hat er hinter-
lassen, in dem er, die höchsten Aufgaben menschlichen Be-
strebens fast ausser Augen lassend, die Lebensführung der
Vielen, denen das Reich der ewigen Gestalten stets verschlos-
sen bleiben wird, durch feste Satzungen zum erreichbaren
Besseren zu leiten für seine Pflicht hielt. Er hatte in vielen
Stücken Entsagung gelernt. Aber der tiefe Grund seiner Ge-
danken blieb unbewegt der gleiche, die Forderungen, die er
an Welt und Menschengeist stellt, sind in ihrem innersten
Sinne unverändert geblieben. Mit richtigem Verständniss hat
die Nachwelt sein Bild festgehalten, als das des priesterlichen
Weisen, der mit mahnender Hand dem unsterblichen Menschen-
geiste aufwärts den Weg weisen will, von dieser armen Erde
hinauf zum ewigen Lichte.


hier der Schlussstein in einem Aufbau des Lebens, dessen
Baumeister alles Irdische, als nur für einstweilen gültig, tief
entwerthet sieht, da ihm allein der Himmel der geistigen Welt
der ewig bleibenden Gesetze und Vorbilder dauernd im Ge-
müthe steht. Ueber das Griechenthum, wie es sich in Staat
und Gesellschaft, in Lebenssitte und Kunst, einer Kunst, die
ewig ist soweit die Menschheit ewig sein mag, entwickelt hatte,
wird hier achtlos hinausgeschritten; eine Aristokratie wird hier
gefordert, nach einem Maassstab dessen, was das „Beste“ sei,
angelegt, dem keine unter Menschen denkbare Culturform, und
wäre sie so tief in aristokratischen Gedanken eingewurzelt,
wie die griechische allezeit war, genug thun könnte. Und das
letzte Wunschziel dieser Organisation des irdischen Lebens
wäre die Aufhebung alles Lebens auf Erden. —

Platos in Geben und Empfangen gleich reicher Geist,
nicht dazu angethan, in einem einzigen mystischen Tiefblick zu
erstarren, hat auch nach Vollendung der Bücher vom Staate
nicht abgelassen, das System seiner Gedanken mannichfach
weiterbildend umzugestalten, einzelne Probleme in erneuerter
Forschung und hin- und hergehenden Versuchen auszuführen;
selbst einen zweiten Aufriss eines Staatsgebäudes hat er hinter-
lassen, in dem er, die höchsten Aufgaben menschlichen Be-
strebens fast ausser Augen lassend, die Lebensführung der
Vielen, denen das Reich der ewigen Gestalten stets verschlos-
sen bleiben wird, durch feste Satzungen zum erreichbaren
Besseren zu leiten für seine Pflicht hielt. Er hatte in vielen
Stücken Entsagung gelernt. Aber der tiefe Grund seiner Ge-
danken blieb unbewegt der gleiche, die Forderungen, die er
an Welt und Menschengeist stellt, sind in ihrem innersten
Sinne unverändert geblieben. Mit richtigem Verständniss hat
die Nachwelt sein Bild festgehalten, als das des priesterlichen
Weisen, der mit mahnender Hand dem unsterblichen Menschen-
geiste aufwärts den Weg weisen will, von dieser armen Erde
hinauf zum ewigen Lichte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0602" n="586"/>
hier der Schlussstein in einem Aufbau des Lebens, dessen<lb/>
Baumeister alles Irdische, als nur für einstweilen gültig, tief<lb/>
entwerthet sieht, da ihm allein der Himmel der geistigen Welt<lb/>
der ewig bleibenden Gesetze und Vorbilder dauernd im Ge-<lb/>
müthe steht. Ueber das Griechenthum, wie es sich in Staat<lb/>
und Gesellschaft, in Lebenssitte und Kunst, einer Kunst, die<lb/>
ewig ist soweit die Menschheit ewig sein mag, entwickelt hatte,<lb/>
wird hier achtlos hinausgeschritten; eine Aristokratie wird hier<lb/>
gefordert, nach einem Maassstab dessen, was das &#x201E;Beste&#x201C; sei,<lb/>
angelegt, dem keine unter Menschen denkbare Culturform, und<lb/>
wäre sie so tief in aristokratischen Gedanken eingewurzelt,<lb/>
wie die griechische allezeit war, genug thun könnte. Und das<lb/>
letzte Wunschziel dieser Organisation des irdischen Lebens<lb/>
wäre die Aufhebung alles Lebens auf Erden. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Platos in Geben und Empfangen gleich reicher Geist,<lb/>
nicht dazu angethan, in einem einzigen mystischen Tiefblick zu<lb/>
erstarren, hat auch nach Vollendung der Bücher vom Staate<lb/>
nicht abgelassen, das System seiner Gedanken mannichfach<lb/>
weiterbildend umzugestalten, einzelne Probleme in erneuerter<lb/>
Forschung und hin- und hergehenden Versuchen auszuführen;<lb/>
selbst einen zweiten Aufriss eines Staatsgebäudes hat er hinter-<lb/>
lassen, in dem er, die höchsten Aufgaben menschlichen Be-<lb/>
strebens fast ausser Augen lassend, die Lebensführung der<lb/>
Vielen, denen das Reich der ewigen Gestalten stets verschlos-<lb/>
sen bleiben wird, durch feste Satzungen zum erreichbaren<lb/>
Besseren zu leiten für seine Pflicht hielt. Er hatte in vielen<lb/>
Stücken Entsagung gelernt. Aber der tiefe Grund seiner Ge-<lb/>
danken blieb unbewegt der gleiche, die Forderungen, die er<lb/>
an Welt und Menschengeist stellt, sind in ihrem innersten<lb/>
Sinne unverändert geblieben. Mit richtigem Verständniss hat<lb/>
die Nachwelt sein Bild festgehalten, als das des priesterlichen<lb/>
Weisen, der mit mahnender Hand dem unsterblichen Menschen-<lb/>
geiste aufwärts den Weg weisen will, von dieser armen Erde<lb/>
hinauf zum ewigen Lichte.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[586/0602] hier der Schlussstein in einem Aufbau des Lebens, dessen Baumeister alles Irdische, als nur für einstweilen gültig, tief entwerthet sieht, da ihm allein der Himmel der geistigen Welt der ewig bleibenden Gesetze und Vorbilder dauernd im Ge- müthe steht. Ueber das Griechenthum, wie es sich in Staat und Gesellschaft, in Lebenssitte und Kunst, einer Kunst, die ewig ist soweit die Menschheit ewig sein mag, entwickelt hatte, wird hier achtlos hinausgeschritten; eine Aristokratie wird hier gefordert, nach einem Maassstab dessen, was das „Beste“ sei, angelegt, dem keine unter Menschen denkbare Culturform, und wäre sie so tief in aristokratischen Gedanken eingewurzelt, wie die griechische allezeit war, genug thun könnte. Und das letzte Wunschziel dieser Organisation des irdischen Lebens wäre die Aufhebung alles Lebens auf Erden. — Platos in Geben und Empfangen gleich reicher Geist, nicht dazu angethan, in einem einzigen mystischen Tiefblick zu erstarren, hat auch nach Vollendung der Bücher vom Staate nicht abgelassen, das System seiner Gedanken mannichfach weiterbildend umzugestalten, einzelne Probleme in erneuerter Forschung und hin- und hergehenden Versuchen auszuführen; selbst einen zweiten Aufriss eines Staatsgebäudes hat er hinter- lassen, in dem er, die höchsten Aufgaben menschlichen Be- strebens fast ausser Augen lassend, die Lebensführung der Vielen, denen das Reich der ewigen Gestalten stets verschlos- sen bleiben wird, durch feste Satzungen zum erreichbaren Besseren zu leiten für seine Pflicht hielt. Er hatte in vielen Stücken Entsagung gelernt. Aber der tiefe Grund seiner Ge- danken blieb unbewegt der gleiche, die Forderungen, die er an Welt und Menschengeist stellt, sind in ihrem innersten Sinne unverändert geblieben. Mit richtigem Verständniss hat die Nachwelt sein Bild festgehalten, als das des priesterlichen Weisen, der mit mahnender Hand dem unsterblichen Menschen- geiste aufwärts den Weg weisen will, von dieser armen Erde hinauf zum ewigen Lichte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/602
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/602>, abgerufen am 22.11.2024.