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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Ewigkeit erstreckender Bestimmung der Seele Plato erst ge-
wann, als die grosse Wendung seiner Philosophie sich vollendete.
Ueber der Welt der, im Ab- und Zuströmen des Werdens
schwankenden, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen, deren
unfassbare Wesenlosigkeit er dem Heraklit preisgab, erhob
sich ihm, was sein eigenstes Verlangen forderte und die so-
kratische Forderung nach begrifflichem Wissen als ihren realen
Gegenstand bereits vorauszusetzen schien, -- eine Welt des
unentstandenen, unvergänglichen, unveränderlichen Seins, aus
der alle Erscheinung dieser unteren Welt, was sie an Sein in
sich hat, zu Lehen trägt. Selbst bleibt das Sein, die Ge-
sammtheit der Ideen, unvermischt mit dem Werdenden und

Denkens hingestellt hat, als eine Einheit gelten lasse, weil er doch, selbst
auf der sublimsten Höhe der Mystik, in VI und VII, den Unterbau der
kallipolis in II--V keineswegs verwerfen will, sondern nur ihn eben zu
einem (freilich ursprünglich nicht als solchen gedachten und bezeichneten)
Unterbau herabsetzt, der sogar für die mystische Spitze die einzig er-
möglichende Voraussetzung bleibt, und für die grosse Mehrheit der Bür-
ger der kallipolis (denn der philosophoi werden immer nur ganz wenige
sein) seine Geltung, als eine Erziehungsanstalt für die Darstellung der
bürgerlichen Tugenden, behalten soll. -- In dem ersten Entwurf nun ist
von einer eigentlich so zu nennenden Unsterblichkeitslehre keine Spur
zu finden, und auch die populärere Gestaltung des Glaubens an Fort-
leben der Seele nach dem Tode des Leibes hat dem Plato dort mindestens
keine Wichtigkeit und erhebliche Bedeutung. Was nach dem Tode kom-
men möge, sollen die phulakes nicht beachten (III. cap. 1 ff.); zu zeigen,
dass die dikaiosune in sich selbst ihren Lohn trage, ist Hauptaufgabe, die
Belohnungen, die nach dem Tode ihr in Aussicht gestellt werden, werden
nur ironisch erwähnt, II 363 C/D (366 A/B). Sokrates will ohne solche
Hoffnungen auskommen: 366 E ff. Die athanasia psukhes wird, wie ein
Paradoxon, erst X 608 D eingeführt (in der Fortführung des ersten Ent-
wurfes) und zu beweisen versucht, und nun ergiebt sich denn auch die
Wichtigkeit der Frage nach dem was nach dem Tode der Seele warte
(614 A. ff.), und die Nothwendigkeit, nicht für dieses kurze Leben sondern
uper tou apantos khronou zu sorgen (608 C), wovon in III--V keine Rede
war noch sein konnte. Endlich in VI. VII. ist die Unvergänglichkeit der
Seele in ihrer sublimsten Form Voraussetzung. Es ist klar, dass Platos
eigene Ansichten in diesem Punkte im Lauf der Zeit Wandlungen durch-
gemacht haben, die sich in den verschiedenen Schichten der Politeia auch
nach deren Schlussredaction noch abspiegeln (vgl. Krohn, Der Platon.
Staat
p. 265; Pfleiderer, Platon. Frage [1888] p. 23 f.; 35 ff.).

Ewigkeit erstreckender Bestimmung der Seele Plato erst ge-
wann, als die grosse Wendung seiner Philosophie sich vollendete.
Ueber der Welt der, im Ab- und Zuströmen des Werdens
schwankenden, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen, deren
unfassbare Wesenlosigkeit er dem Heraklit preisgab, erhob
sich ihm, was sein eigenstes Verlangen forderte und die so-
kratische Forderung nach begrifflichem Wissen als ihren realen
Gegenstand bereits vorauszusetzen schien, — eine Welt des
unentstandenen, unvergänglichen, unveränderlichen Seins, aus
der alle Erscheinung dieser unteren Welt, was sie an Sein in
sich hat, zu Lehen trägt. Selbst bleibt das Sein, die Ge-
sammtheit der Ideen, unvermischt mit dem Werdenden und

Denkens hingestellt hat, als eine Einheit gelten lasse, weil er doch, selbst
auf der sublimsten Höhe der Mystik, in VI und VII, den Unterbau der
καλλίπολις in II—V keineswegs verwerfen will, sondern nur ihn eben zu
einem (freilich ursprünglich nicht als solchen gedachten und bezeichneten)
Unterbau herabsetzt, der sogar für die mystische Spitze die einzig er-
möglichende Voraussetzung bleibt, und für die grosse Mehrheit der Bür-
ger der καλλίπολις (denn der φιλόσοφοι werden immer nur ganz wenige
sein) seine Geltung, als eine Erziehungsanstalt für die Darstellung der
bürgerlichen Tugenden, behalten soll. — In dem ersten Entwurf nun ist
von einer eigentlich so zu nennenden Unsterblichkeitslehre keine Spur
zu finden, und auch die populärere Gestaltung des Glaubens an Fort-
leben der Seele nach dem Tode des Leibes hat dem Plato dort mindestens
keine Wichtigkeit und erhebliche Bedeutung. Was nach dem Tode kom-
men möge, sollen die φύλακες nicht beachten (III. cap. 1 ff.); zu zeigen,
dass die δικαιοσύνη in sich selbst ihren Lohn trage, ist Hauptaufgabe, die
Belohnungen, die nach dem Tode ihr in Aussicht gestellt werden, werden
nur ironisch erwähnt, II 363 C/D (366 A/B). Sokrates will ohne solche
Hoffnungen auskommen: 366 E ff. Die ἀϑανασία ψυχῆς wird, wie ein
Paradoxon, erst X 608 D eingeführt (in der Fortführung des ersten Ent-
wurfes) und zu beweisen versucht, und nun ergiebt sich denn auch die
Wichtigkeit der Frage nach dem was nach dem Tode der Seele warte
(614 A. ff.), und die Nothwendigkeit, nicht für dieses kurze Leben sondern
ὑπἐρ τοῦ ἅπαντος χρόνου zu sorgen (608 C), wovon in III—V keine Rede
war noch sein konnte. Endlich in VI. VII. ist die Unvergänglichkeit der
Seele in ihrer sublimsten Form Voraussetzung. Es ist klar, dass Platos
eigene Ansichten in diesem Punkte im Lauf der Zeit Wandlungen durch-
gemacht haben, die sich in den verschiedenen Schichten der Πολιτεία auch
nach deren Schlussredaction noch abspiegeln (vgl. Krohn, Der Platon.
Staat
p. 265; Pfleiderer, Platon. Frage [1888] p. 23 f.; 35 ff.).
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[559/0575] Ewigkeit erstreckender Bestimmung der Seele Plato erst ge- wann, als die grosse Wendung seiner Philosophie sich vollendete. Ueber der Welt der, im Ab- und Zuströmen des Werdens schwankenden, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen, deren unfassbare Wesenlosigkeit er dem Heraklit preisgab, erhob sich ihm, was sein eigenstes Verlangen forderte und die so- kratische Forderung nach begrifflichem Wissen als ihren realen Gegenstand bereits vorauszusetzen schien, — eine Welt des unentstandenen, unvergänglichen, unveränderlichen Seins, aus der alle Erscheinung dieser unteren Welt, was sie an Sein in sich hat, zu Lehen trägt. Selbst bleibt das Sein, die Ge- sammtheit der Ideen, unvermischt mit dem Werdenden und 1) 1) Denkens hingestellt hat, als eine Einheit gelten lasse, weil er doch, selbst auf der sublimsten Höhe der Mystik, in VI und VII, den Unterbau der καλλίπολις in II—V keineswegs verwerfen will, sondern nur ihn eben zu einem (freilich ursprünglich nicht als solchen gedachten und bezeichneten) Unterbau herabsetzt, der sogar für die mystische Spitze die einzig er- möglichende Voraussetzung bleibt, und für die grosse Mehrheit der Bür- ger der καλλίπολις (denn der φιλόσοφοι werden immer nur ganz wenige sein) seine Geltung, als eine Erziehungsanstalt für die Darstellung der bürgerlichen Tugenden, behalten soll. — In dem ersten Entwurf nun ist von einer eigentlich so zu nennenden Unsterblichkeitslehre keine Spur zu finden, und auch die populärere Gestaltung des Glaubens an Fort- leben der Seele nach dem Tode des Leibes hat dem Plato dort mindestens keine Wichtigkeit und erhebliche Bedeutung. Was nach dem Tode kom- men möge, sollen die φύλακες nicht beachten (III. cap. 1 ff.); zu zeigen, dass die δικαιοσύνη in sich selbst ihren Lohn trage, ist Hauptaufgabe, die Belohnungen, die nach dem Tode ihr in Aussicht gestellt werden, werden nur ironisch erwähnt, II 363 C/D (366 A/B). Sokrates will ohne solche Hoffnungen auskommen: 366 E ff. Die ἀϑανασία ψυχῆς wird, wie ein Paradoxon, erst X 608 D eingeführt (in der Fortführung des ersten Ent- wurfes) und zu beweisen versucht, und nun ergiebt sich denn auch die Wichtigkeit der Frage nach dem was nach dem Tode der Seele warte (614 A. ff.), und die Nothwendigkeit, nicht für dieses kurze Leben sondern ὑπἐρ τοῦ ἅπαντος χρόνου zu sorgen (608 C), wovon in III—V keine Rede war noch sein konnte. Endlich in VI. VII. ist die Unvergänglichkeit der Seele in ihrer sublimsten Form Voraussetzung. Es ist klar, dass Platos eigene Ansichten in diesem Punkte im Lauf der Zeit Wandlungen durch- gemacht haben, die sich in den verschiedenen Schichten der Πολιτεία auch nach deren Schlussredaction noch abspiegeln (vgl. Krohn, Der Platon. Staat p. 265; Pfleiderer, Platon. Frage [1888] p. 23 f.; 35 ff.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/575>, abgerufen am 21.11.2024.