Diese, aus philosophischen Anregungen schwer vereinbarer Art gebildete Ansicht von den Urkräften und Urbestandtheilen des Alls, in der zuletzt doch der dualistische Zug stark über- wiegt, schwebt dem Dichter vor, wo er in gehobener Stimmung von der endlichen Bestimmung der Seele des Menschen redet. Dem "Aether" wird sich die vom Leibe getrennte Seele ge- sellen. Es ist indessen nicht immer die philosophisch-dichte- rische Phantasie, die sich in solchen Ausblicken ergeht. Bis- weilen gesellt sich ihr und vertritt sie, nur äusserlich ähnlich, aber zu gleichem Ziele führend, eine volksthümlichere An- schauung. Wenn hie und da der Aether, der lichte Luftraum oberhalb der Wolken, nur als Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen bezeichnet wird 1), scheint die mehr theologische als philosophische Vorstellung vorzuwalten, dass nach dem Tode die frei gewordene Seele zu dem Sitze der Götter 2), den man längst nicht mehr auf dem Olymp, sondern im "Himmel" oder eben im Aether suchte, aufschweben werde. In keinem andern Sinne wird in einem der, unter Epicharms, des philosophie- kundigen sicilischen Komikers Namen überlieferten Sprüche dem Frommen verheissen, dass er im Tode kein Uebel erleiden werde, denn sein "Geist" werde dauernd "im Himmel" ver- weilen 3). Frühzeitig muss diese, in den Grabgedichten späterer Zeit so häufig hervortretende Vorstellung in Athen volksthüm- liche Verbreitung gefunden haben, wenn doch bereits ein, vom Staate selbst den, im Jahre 432 vor Potidäa gefallenen Athe- nern gewidmetes Grabepigramm die Ueberzeugung, dass die Seelen dieser Tapferen "der Aether" aufgenommen habe, wie die Erde ihre Leiber, wie eine allgemein zugestandene Meinung
1)Suppl. 1148 aither ekhei nin ede ktl. Elektra sucht den todten Vater im Aether: El. 59. Ein Sterbender: pneum apheis eis aithera fr. 971 (anders Or. 1086 f.). Auch Suppl. 532--537 (dem Epicharm nachgeahmt) ist doch wohl nur von dem aither als Wohnplatz, nicht als dem wesens- gleichen Urelement der Seele die Rede.
Diese, aus philosophischen Anregungen schwer vereinbarer Art gebildete Ansicht von den Urkräften und Urbestandtheilen des Alls, in der zuletzt doch der dualistische Zug stark über- wiegt, schwebt dem Dichter vor, wo er in gehobener Stimmung von der endlichen Bestimmung der Seele des Menschen redet. Dem „Aether“ wird sich die vom Leibe getrennte Seele ge- sellen. Es ist indessen nicht immer die philosophisch-dichte- rische Phantasie, die sich in solchen Ausblicken ergeht. Bis- weilen gesellt sich ihr und vertritt sie, nur äusserlich ähnlich, aber zu gleichem Ziele führend, eine volksthümlichere An- schauung. Wenn hie und da der Aether, der lichte Luftraum oberhalb der Wolken, nur als Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen bezeichnet wird 1), scheint die mehr theologische als philosophische Vorstellung vorzuwalten, dass nach dem Tode die frei gewordene Seele zu dem Sitze der Götter 2), den man längst nicht mehr auf dem Olymp, sondern im „Himmel“ oder eben im Aether suchte, aufschweben werde. In keinem andern Sinne wird in einem der, unter Epicharms, des philosophie- kundigen sicilischen Komikers Namen überlieferten Sprüche dem Frommen verheissen, dass er im Tode kein Uebel erleiden werde, denn sein „Geist“ werde dauernd „im Himmel“ ver- weilen 3). Frühzeitig muss diese, in den Grabgedichten späterer Zeit so häufig hervortretende Vorstellung in Athen volksthüm- liche Verbreitung gefunden haben, wenn doch bereits ein, vom Staate selbst den, im Jahre 432 vor Potidäa gefallenen Athe- nern gewidmetes Grabepigramm die Ueberzeugung, dass die Seelen dieser Tapferen „der Aether“ aufgenommen habe, wie die Erde ihre Leiber, wie eine allgemein zugestandene Meinung
1)Suppl. 1148 αἰϑὴρ ἔχει νιν ἤδη κτλ. Elektra sucht den todten Vater im Aether: El. 59. Ein Sterbender: πνεῦμ̕ ἀφεὶς εἰς αἰϑέρα fr. 971 (anders Or. 1086 f.). Auch Suppl. 532—537 (dem Epicharm nachgeahmt) ist doch wohl nur von dem αἰϑήρ als Wohnplatz, nicht als dem wesens- gleichen Urelement der Seele die Rede.
2) αἰϑὴρ οἴκησις Διός Eurip. fr. 487 (Melanippe).
3) Epich. fr. inc. 7 p. 257 Lor.
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von der endlichen Bestimmung der Seele des Menschen redet.
Dem „Aether“ wird sich die vom Leibe getrennte Seele ge-
sellen. Es ist indessen nicht immer die philosophisch-dichte-
rische Phantasie, die sich in solchen Ausblicken ergeht. Bis-
weilen gesellt sich ihr und vertritt sie, nur äusserlich ähnlich,
aber zu gleichem Ziele führend, eine volksthümlichere An-
schauung. Wenn hie und da der Aether, der lichte Luftraum
oberhalb der Wolken, nur als Aufenthaltsort der abgeschiedenen
Seelen bezeichnet wird 1), scheint die mehr theologische als
philosophische Vorstellung vorzuwalten, dass nach dem Tode
die frei gewordene Seele zu dem Sitze der Götter 2), den man
längst nicht mehr auf dem Olymp, sondern im „Himmel“ oder
eben im Aether suchte, aufschweben werde. In keinem andern
Sinne wird in einem der, unter Epicharms, des philosophie-
kundigen sicilischen Komikers Namen überlieferten Sprüche
dem Frommen verheissen, dass er im Tode kein Uebel erleiden
werde, denn sein „Geist“ werde dauernd „im Himmel“ ver-
weilen 3). Frühzeitig muss diese, in den Grabgedichten späterer
Zeit so häufig hervortretende Vorstellung in Athen volksthüm-
liche Verbreitung gefunden haben, wenn doch bereits ein, vom
Staate selbst den, im Jahre 432 vor Potidäa gefallenen Athe-
nern gewidmetes Grabepigramm die Ueberzeugung, dass die
Seelen dieser Tapferen „der Aether“ aufgenommen habe, wie
die Erde ihre Leiber, wie eine allgemein zugestandene Meinung
1) Suppl. 1148 αἰϑὴρ ἔχει νιν ἤδη κτλ. Elektra sucht den todten
Vater im Aether: El. 59. Ein Sterbender: πνεῦμ̕ ἀφεὶς εἰς αἰϑέρα fr. 971
(anders Or. 1086 f.). Auch Suppl. 532—537 (dem Epicharm nachgeahmt)
ist doch wohl nur von dem αἰϑήρ als Wohnplatz, nicht als dem wesens-
gleichen Urelement der Seele die Rede.
2) αἰϑὴρ οἴκησις Διός Eurip. fr. 487 (Melanippe).
3) Epich. fr. inc. 7 p. 257 Lor.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/565>, abgerufen am 28.11.2024.
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