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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Schooss der Herrin der Unterwelt. Vermuthlich diese ist es,
die zuletzt die erlöste Seele mit den Worten begrüsst: Glück-
liche, Seligzupreisende du, nun wirst du statt eines Sterblichen
ein Gott sein.

Viel weniger hoch fliegen die Hoffnungen in den zwei an-
deren, wesentlich einander gleichen Fassungen der mystischen
Urkunde. Die Seele versichert dort, Busse gezahlt zu haben
für ungerechte Werke; nun komme sie flehend zur hehren
Persephoneia, dass diese sie gnädig sende zu den Wohnplätzen
der Reinen und Heiligen1).

Wie soll man diese Unterschiede verstehn? Möglich
wäre ja, dass die bescheidenere Fassung den Glauben einer
weniger kühn der eigenen Gottnatur und der Nothwendigkeit
endlicher Rückkehr der Seele zu freiem Gottesdasein ver-
trauenden Secte ausspräche. Viel wahrscheinlicher ist aber
doch, -- da zumal die Voraussetzung göttlicher Natur der
Seele und ihrer Gottesverwandtschaft in beiden Fällen die

Solche Acte zu bezeichnen, wären die Worte u. k. edun zu kurz und un-
genügend (auch fiele die Symbolik fort, wo die Göttin in Person an-
wesend ist). -- Im Uebrigen ist es richtig, dass die Weihe gelegentlich
betrachtet wird wie eine Adoption von Seiten der Göttin oder des
Gottes, eine Aufnehmung des Geweiheten in das göttliche genos. So
lässt sich z. B. im Axiochus 371 E die Bezeichnung des Axiochos als
gennetes ton theon, dem Zusammenhang nach, kaum anders verstehn, als
dass man annimmt, Ax. sei als einer der memuemenoi (371 D) in das genos
der Göttinnen aufgenommen worden. Ob die Seele des Geweiheten in
unsern Gedichten mit dem kai gar egon umon genos olbion eukhomai eimen
auch eben dieses sagen will: durch den, in der muesis liegenden Adoptions-
act bin ich in euer göttliches genos aufgenommen worden?
1) os me prophron pempse edras es euageon. Die edrai euageon ent-
sprechen dem khoros eusebon bei anderen Dichtern und Fabulisten. Aber
in dem eigenthümlichen Ausdruck liegt abermals eine Hindeutung darauf,
dass dieser Wonnesitz den "Reinen", in den Mysterien Geweiheten vor-
behalten sei: euages, der von jedem agos befreite, ist ein osios (osios esto
kai euages: Gesetz bei Andocid. de myst. 96). Auch im profanen Ge-
brauch behält das Wort seinen ursprünglichen Sinn: vielfach bedeutet es
(im Gegensatz zu skotodes u. dgl.) hell, rein, klar (wo man denn, nach
dem Vorgang des Hemsterhus. zu Eurip. Supplic. 662, euauges einzu-
setzen pflegt, ohne hinreichenden Grund).

Schooss der Herrin der Unterwelt. Vermuthlich diese ist es,
die zuletzt die erlöste Seele mit den Worten begrüsst: Glück-
liche, Seligzupreisende du, nun wirst du statt eines Sterblichen
ein Gott sein.

Viel weniger hoch fliegen die Hoffnungen in den zwei an-
deren, wesentlich einander gleichen Fassungen der mystischen
Urkunde. Die Seele versichert dort, Busse gezahlt zu haben
für ungerechte Werke; nun komme sie flehend zur hehren
Persephoneia, dass diese sie gnädig sende zu den Wohnplätzen
der Reinen und Heiligen1).

Wie soll man diese Unterschiede verstehn? Möglich
wäre ja, dass die bescheidenere Fassung den Glauben einer
weniger kühn der eigenen Gottnatur und der Nothwendigkeit
endlicher Rückkehr der Seele zu freiem Gottesdasein ver-
trauenden Secte ausspräche. Viel wahrscheinlicher ist aber
doch, — da zumal die Voraussetzung göttlicher Natur der
Seele und ihrer Gottesverwandtschaft in beiden Fällen die

Solche Acte zu bezeichnen, wären die Worte ὑ. κ. ἔδυν zu kurz und un-
genügend (auch fiele die Symbolik fort, wo die Göttin in Person an-
wesend ist). — Im Uebrigen ist es richtig, dass die Weihe gelegentlich
betrachtet wird wie eine Adoption von Seiten der Göttin oder des
Gottes, eine Aufnehmung des Geweiheten in das göttliche γένος. So
lässt sich z. B. im Axiochus 371 E die Bezeichnung des Axiochos als
γεννήτης τῶν ϑεῶν, dem Zusammenhang nach, kaum anders verstehn, als
dass man annimmt, Ax. sei als einer der μεμυημένοι (371 D) in das γένος
der Göttinnen aufgenommen worden. Ob die Seele des Geweiheten in
unsern Gedichten mit dem καὶ γὰρ ἐγὼν ὑμῶν γένος ὄλβιον εὔχομαι εἶμεν
auch eben dieses sagen will: durch den, in der μύησις liegenden Adoptions-
act bin ich in euer göttliches γένος aufgenommen worden?
1) ὥς με πρόφρων πέμψῃ ἕδρας ἐς εὐαγέων. Die ἕδραι εὐαγέων ent-
sprechen dem χῶρος εὐσεβῶν bei anderen Dichtern und Fabulisten. Aber
in dem eigenthümlichen Ausdruck liegt abermals eine Hindeutung darauf,
dass dieser Wonnesitz den „Reinen“, in den Mysterien Geweiheten vor-
behalten sei: εὐαγής, der von jedem ἄγος befreite, ist ein ὅσιος (ὅσιος ἔστω
καὶ εὐαγής: Gesetz bei Andocid. de myst. 96). Auch im profanen Ge-
brauch behält das Wort seinen ursprünglichen Sinn: vielfach bedeutet es
(im Gegensatz zu σκοτώδης u. dgl.) hell, rein, klar (wo man denn, nach
dem Vorgang des Hemsterhus. zu Eurip. Supplic. 662, εὐαυγής einzu-
setzen pflegt, ohne hinreichenden Grund).
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[511/0527] Schooss der Herrin der Unterwelt. Vermuthlich diese ist es, die zuletzt die erlöste Seele mit den Worten begrüsst: Glück- liche, Seligzupreisende du, nun wirst du statt eines Sterblichen ein Gott sein. Viel weniger hoch fliegen die Hoffnungen in den zwei an- deren, wesentlich einander gleichen Fassungen der mystischen Urkunde. Die Seele versichert dort, Busse gezahlt zu haben für ungerechte Werke; nun komme sie flehend zur hehren Persephoneia, dass diese sie gnädig sende zu den Wohnplätzen der Reinen und Heiligen 1). Wie soll man diese Unterschiede verstehn? Möglich wäre ja, dass die bescheidenere Fassung den Glauben einer weniger kühn der eigenen Gottnatur und der Nothwendigkeit endlicher Rückkehr der Seele zu freiem Gottesdasein ver- trauenden Secte ausspräche. Viel wahrscheinlicher ist aber doch, — da zumal die Voraussetzung göttlicher Natur der Seele und ihrer Gottesverwandtschaft in beiden Fällen die 4) 1) ὥς με πρόφρων πέμψῃ ἕδρας ἐς εὐαγέων. Die ἕδραι εὐαγέων ent- sprechen dem χῶρος εὐσεβῶν bei anderen Dichtern und Fabulisten. Aber in dem eigenthümlichen Ausdruck liegt abermals eine Hindeutung darauf, dass dieser Wonnesitz den „Reinen“, in den Mysterien Geweiheten vor- behalten sei: εὐαγής, der von jedem ἄγος befreite, ist ein ὅσιος (ὅσιος ἔστω καὶ εὐαγής: Gesetz bei Andocid. de myst. 96). Auch im profanen Ge- brauch behält das Wort seinen ursprünglichen Sinn: vielfach bedeutet es (im Gegensatz zu σκοτώδης u. dgl.) hell, rein, klar (wo man denn, nach dem Vorgang des Hemsterhus. zu Eurip. Supplic. 662, εὐαυγής einzu- setzen pflegt, ohne hinreichenden Grund). 4) Solche Acte zu bezeichnen, wären die Worte ὑ. κ. ἔδυν zu kurz und un- genügend (auch fiele die Symbolik fort, wo die Göttin in Person an- wesend ist). — Im Uebrigen ist es richtig, dass die Weihe gelegentlich betrachtet wird wie eine Adoption von Seiten der Göttin oder des Gottes, eine Aufnehmung des Geweiheten in das göttliche γένος. So lässt sich z. B. im Axiochus 371 E die Bezeichnung des Axiochos als γεννήτης τῶν ϑεῶν, dem Zusammenhang nach, kaum anders verstehn, als dass man annimmt, Ax. sei als einer der μεμυημένοι (371 D) in das γένος der Göttinnen aufgenommen worden. Ob die Seele des Geweiheten in unsern Gedichten mit dem καὶ γὰρ ἐγὼν ὑμῶν γένος ὄλβιον εὔχομαι εἶμεν auch eben dieses sagen will: durch den, in der μύησις liegenden Adoptions- act bin ich in euer göttliches γένος aufgenommen worden?

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/527>, abgerufen am 22.11.2024.