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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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druck gemacht haben auf die Menschen, unter denen er lebte 1),
und aus deren Mitte er freilich, wie ein Komet entschwindend,
schied, ohne dauernde Nachwirkung. Manche Legenden geben
noch Kunde von der Verwunderung, die seine Erscheinung
begleitete, zumal jene Sagen die, in wechselnder Gestalt, von
seinem Ende berichten 2). Alle wollen ausdrücken, dass er,
wie seine eigenen Verse es verkündet hatten, bei seinem Ab-
scheiden nicht mehr den Tod erlitten habe; er sei verschwun-
den, mit Leib und Seele zugleich entrückt worden zu gött-
lich ewigem Leben, wie einst Menelaos und so manche Helden
des Alterthums, wie einzelne Heroen auch jüngerer Zeit 3).
Wieder einmal zeigt sich in dieser Sage die alte Vorstellung

1) Ein später Nachklang in den begeisterten Versen des Lucrez zum
Preise des Empedokles 1, 717 ff.
2) Die verbreitete Geschichte von dem Sprung des E. in den Krater
des Aetna (um durch völliges Verschwinden den Glauben, dass er nicht
gestorben [Lucian dial. mort. 20, 4] sondern lebendig "entrückt" und
also Gott oder Heros geworden sei, hervorzurufen) setzt, als Parodie einer
ernstlich gemeinten Entrückungssage, bereits das Vorhandensein einer
solchen Sage voraus. Und der parodischen Erzählung widersprach schon
Pausanias, der Arzt, der Anhänger des Empedokles: Laert. D. 8, 69
(dies nicht aus der märchenhaften Erzählung des Heraklides Pont. Dass
P. vor Emp. gestorben sei, folgt noch nicht aus dem Epigramm bei
Laert. 8, 61, dessen Urheber ungewiss und jedenfalls wenig glaubwürdig ist).
Die ernst gemeinte Sage wird also gleich nach dem Abscheiden des E.
entstanden sein; sie nährte sich daran, dass man in der That nicht
wusste, wo E. gestorben sei (thanatos adelos Timaeus bei Laert. 8, 71)
und kein Grabmal das seine Leiche barg zeigen konnte. (Dies bezeugt
ausdrücklich Timaeus, der im übrigen die Entrückungsfabel so gut wie
die Geschichte vom Sprung in den Aetna leugnete: Laert. 8, 72 p. 221,
19 f. Dem gegenüber hat es nichts zu bedeuten, dass irgend Jemand
[wie es scheint, Neanthes] bei Laert. 8, 73 behauptet, es gebe ein Grab
des E. in Megara). Freie Ausschmückung der Entrückungssage durch
Heraklides Ponticus peri noson: Laert. D. 8, 67. 68. (zur Vergeltung hing
der Hohn philosophischer Concurrenten dem Heraklides selbst eine bos-
haft gewendete Geschichte von künstlicher Entrückung an, durch die
auch er sich als Gott oder Heros legitimiren wollte: Laert. 5, 89 ff. Aus
andrer Quelle Suidas s. Erakl. Euthuphronos. Vgl. A. Marx, Griech.
Märchen von dankb. Thieren
p. 97 ff.). Allerlei flaue Varianten der Ge-
schichte vom Ende des E. bei Laert. 8, 74.
3) S. oben p. 63 ff., 167 ff.
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druck gemacht haben auf die Menschen, unter denen er lebte 1),
und aus deren Mitte er freilich, wie ein Komet entschwindend,
schied, ohne dauernde Nachwirkung. Manche Legenden geben
noch Kunde von der Verwunderung, die seine Erscheinung
begleitete, zumal jene Sagen die, in wechselnder Gestalt, von
seinem Ende berichten 2). Alle wollen ausdrücken, dass er,
wie seine eigenen Verse es verkündet hatten, bei seinem Ab-
scheiden nicht mehr den Tod erlitten habe; er sei verschwun-
den, mit Leib und Seele zugleich entrückt worden zu gött-
lich ewigem Leben, wie einst Menelaos und so manche Helden
des Alterthums, wie einzelne Heroen auch jüngerer Zeit 3).
Wieder einmal zeigt sich in dieser Sage die alte Vorstellung

1) Ein später Nachklang in den begeisterten Versen des Lucrez zum
Preise des Empedokles 1, 717 ff.
2) Die verbreitete Geschichte von dem Sprung des E. in den Krater
des Aetna (um durch völliges Verschwinden den Glauben, dass er nicht
gestorben [Lucian dial. mort. 20, 4] sondern lebendig „entrückt“ und
also Gott oder Heros geworden sei, hervorzurufen) setzt, als Parodie einer
ernstlich gemeinten Entrückungssage, bereits das Vorhandensein einer
solchen Sage voraus. Und der parodischen Erzählung widersprach schon
Pausanias, der Arzt, der Anhänger des Empedokles: Laert. D. 8, 69
(dies nicht aus der märchenhaften Erzählung des Heraklides Pont. Dass
P. vor Emp. gestorben sei, folgt noch nicht aus dem Epigramm bei
Laert. 8, 61, dessen Urheber ungewiss und jedenfalls wenig glaubwürdig ist).
Die ernst gemeinte Sage wird also gleich nach dem Abscheiden des E.
entstanden sein; sie nährte sich daran, dass man in der That nicht
wusste, wo E. gestorben sei (ϑάνατος ἄδηλος Timaeus bei Laert. 8, 71)
und kein Grabmal das seine Leiche barg zeigen konnte. (Dies bezeugt
ausdrücklich Timaeus, der im übrigen die Entrückungsfabel so gut wie
die Geschichte vom Sprung in den Aetna leugnete: Laert. 8, 72 p. 221,
19 f. Dem gegenüber hat es nichts zu bedeuten, dass irgend Jemand
[wie es scheint, Neanthes] bei Laert. 8, 73 behauptet, es gebe ein Grab
des E. in Megara). Freie Ausschmückung der Entrückungssage durch
Heraklides Ponticus περὶ νόσων: Laert. D. 8, 67. 68. (zur Vergeltung hing
der Hohn philosophischer Concurrenten dem Heraklides selbst eine bos-
haft gewendete Geschichte von künstlicher Entrückung an, durch die
auch er sich als Gott oder Heros legitimiren wollte: Laert. 5, 89 ff. Aus
andrer Quelle Suidas s. Ἡρακλ. Εὐϑύφρονος. Vgl. A. Marx, Griech.
Märchen von dankb. Thieren
p. 97 ff.). Allerlei flaue Varianten der Ge-
schichte vom Ende des E. bei Laert. 8, 74.
3) S. oben p. 63 ff., 167 ff.
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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/483>, abgerufen am 22.11.2024.