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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Heiligenscheins die wirklichen Züge des Menschen noch einiger-
maassen zu erkennen.

Seine Lehre, kraft deren er freilich seine Anhänger zu
einer viel vollständigeren und engeren Lebensgemeinschaft zu-
sammenband als irgend eine orphische Secte, muss in allem
Wesentlichen übereingekommen sein mit dem, was in orphischer
Theologie unmittelbare Beziehung auf religiöses Leben hatte.
Auch er wies den Weg zum Heil der Seele; in der Seelen-
lehre also hat seine Weisheit vornehmlich ihre Wurzeln.

Soweit unsere dürftige und unsichere Kunde reicht, lässt
sich als Kern der pythagoreischen Seelenlehre Folgendes fest-
halten.

Die Seele des Menschen, hier wieder ganz als der
Doppelgänger des sichtbaren Leibes und seiner Kräfte gefasst,
ist ein dämonisch unsterbliches Wesen 1), aus Götterhöhe einst
herabgestürzt, und zur Strafe in die "Haft" des Leibes ein-

1) psukhai von denen die ganze Luft voll ist, von daimones und eroes
nicht unterschieden: Alex. Polyh. bei Laert. D. 8, 32 (in diesem Ab-
schnitt seines Berichtes, § 31 ff., altpythagoreische Vorstellungen wieder-
gebend. -- Wenn bei Posidonius dieselbe Vorstellung ausgesprochen
wird, so folgt noch nicht, dass sie von dem Stoiker überhaupt herstammt.
Posidonius hat vielfach pythagoreische Ansichten seinerseits entlehnt und
ausgeschmückt). -- Subtiler: Die Seele ist athanatos, weil ewig bewegt
wie ta theia panta, Mond, Sonne, Gestirne und Himmel: Alkmaeon bei
Aristot. de an. 405 a, 29 ff. (Vgl. Krische, Theol. Lehr. 75 f.) Hier schon
die Vorstellung dass die Menschenseele eoike tois athanatois. Die Ab-
leitung ihrer Unsterblichkeit und Göttlichkeit aus ihrer Herkunft von der
Weltseele (und Allgottheit), wie sie als pythagoreische Lehre mehrfach
hingestellt wird (Cic. n. d. 1, 27; de senect. 21; Laert. D. 8, 28; Sext.
Emp. math. 9, 127) zeigt zwar die Färbung des stoischen Pantheismus,
kann sich aber ihrem thatsächlichen Gehalt nach doch wohl auf alt-
pythagoreische Lehre zurückleiten (zweifelhaft bleibt freilich die Aecht-
heit des Bruchstückes des Philolaus, bei Stob. ecl. 1, 173, 2 ff. W). Die
Vorstellung, dass Seele und nous des Menschen ihm zukommen aus einem
unpersönlichen theion, einer allverbreiteten en to panti phronesis muss schon
im fünften Jahrhundert eine sehr geläufige gewesen sein. Sie findet sich
ausgesprochen bei Xenophon, Memor. 1, 4, 8. 17; 4, 3, 14, sicherlich ja
nicht als dessen Originalgedanke sondern ihm irgendwoher zugeflossen
(und gewiss nicht von Sokrates her, auch nicht von Plato).

Heiligenscheins die wirklichen Züge des Menschen noch einiger-
maassen zu erkennen.

Seine Lehre, kraft deren er freilich seine Anhänger zu
einer viel vollständigeren und engeren Lebensgemeinschaft zu-
sammenband als irgend eine orphische Secte, muss in allem
Wesentlichen übereingekommen sein mit dem, was in orphischer
Theologie unmittelbare Beziehung auf religiöses Leben hatte.
Auch er wies den Weg zum Heil der Seele; in der Seelen-
lehre also hat seine Weisheit vornehmlich ihre Wurzeln.

Soweit unsere dürftige und unsichere Kunde reicht, lässt
sich als Kern der pythagoreischen Seelenlehre Folgendes fest-
halten.

Die Seele des Menschen, hier wieder ganz als der
Doppelgänger des sichtbaren Leibes und seiner Kräfte gefasst,
ist ein dämonisch unsterbliches Wesen 1), aus Götterhöhe einst
herabgestürzt, und zur Strafe in die „Haft“ des Leibes ein-

1) ψυχαί von denen die ganze Luft voll ist, von δαίμονες und ἥρωες
nicht unterschieden: Alex. Polyh. bei Laert. D. 8, 32 (in diesem Ab-
schnitt seines Berichtes, § 31 ff., altpythagoreische Vorstellungen wieder-
gebend. — Wenn bei Posidonius dieselbe Vorstellung ausgesprochen
wird, so folgt noch nicht, dass sie von dem Stoiker überhaupt herstammt.
Posidonius hat vielfach pythagoreische Ansichten seinerseits entlehnt und
ausgeschmückt). — Subtiler: Die Seele ist ἀϑάνατος, weil ewig bewegt
wie τὰ ϑεῖα πάντα, Mond, Sonne, Gestirne und Himmel: Alkmaeon bei
Aristot. de an. 405 a, 29 ff. (Vgl. Krische, Theol. Lehr. 75 f.) Hier schon
die Vorstellung dass die Menschenseele ἔοικε τοῖς ἀϑανάτοις. Die Ab-
leitung ihrer Unsterblichkeit und Göttlichkeit aus ihrer Herkunft von der
Weltseele (und Allgottheit), wie sie als pythagoreische Lehre mehrfach
hingestellt wird (Cic. n. d. 1, 27; de senect. 21; Laert. D. 8, 28; Sext.
Emp. math. 9, 127) zeigt zwar die Färbung des stoischen Pantheismus,
kann sich aber ihrem thatsächlichen Gehalt nach doch wohl auf alt-
pythagoreische Lehre zurückleiten (zweifelhaft bleibt freilich die Aecht-
heit des Bruchstückes des Philolaus, bei Stob. ecl. 1, 173, 2 ff. W). Die
Vorstellung, dass Seele und νοῦς des Menschen ihm zukommen aus einem
unpersönlichen ϑεῖον, einer allverbreiteten ἐν τῷ παντὶ φρόνησις muss schon
im fünften Jahrhundert eine sehr geläufige gewesen sein. Sie findet sich
ausgesprochen bei Xenophon, Memor. 1, 4, 8. 17; 4, 3, 14, sicherlich ja
nicht als dessen Originalgedanke sondern ihm irgendwoher zugeflossen
(und gewiss nicht von Sokrates her, auch nicht von Plato).
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[452/0468] Heiligenscheins die wirklichen Züge des Menschen noch einiger- maassen zu erkennen. Seine Lehre, kraft deren er freilich seine Anhänger zu einer viel vollständigeren und engeren Lebensgemeinschaft zu- sammenband als irgend eine orphische Secte, muss in allem Wesentlichen übereingekommen sein mit dem, was in orphischer Theologie unmittelbare Beziehung auf religiöses Leben hatte. Auch er wies den Weg zum Heil der Seele; in der Seelen- lehre also hat seine Weisheit vornehmlich ihre Wurzeln. Soweit unsere dürftige und unsichere Kunde reicht, lässt sich als Kern der pythagoreischen Seelenlehre Folgendes fest- halten. Die Seele des Menschen, hier wieder ganz als der Doppelgänger des sichtbaren Leibes und seiner Kräfte gefasst, ist ein dämonisch unsterbliches Wesen 1), aus Götterhöhe einst herabgestürzt, und zur Strafe in die „Haft“ des Leibes ein- 1) ψυχαί von denen die ganze Luft voll ist, von δαίμονες und ἥρωες nicht unterschieden: Alex. Polyh. bei Laert. D. 8, 32 (in diesem Ab- schnitt seines Berichtes, § 31 ff., altpythagoreische Vorstellungen wieder- gebend. — Wenn bei Posidonius dieselbe Vorstellung ausgesprochen wird, so folgt noch nicht, dass sie von dem Stoiker überhaupt herstammt. Posidonius hat vielfach pythagoreische Ansichten seinerseits entlehnt und ausgeschmückt). — Subtiler: Die Seele ist ἀϑάνατος, weil ewig bewegt wie τὰ ϑεῖα πάντα, Mond, Sonne, Gestirne und Himmel: Alkmaeon bei Aristot. de an. 405 a, 29 ff. (Vgl. Krische, Theol. Lehr. 75 f.) Hier schon die Vorstellung dass die Menschenseele ἔοικε τοῖς ἀϑανάτοις. Die Ab- leitung ihrer Unsterblichkeit und Göttlichkeit aus ihrer Herkunft von der Weltseele (und Allgottheit), wie sie als pythagoreische Lehre mehrfach hingestellt wird (Cic. n. d. 1, 27; de senect. 21; Laert. D. 8, 28; Sext. Emp. math. 9, 127) zeigt zwar die Färbung des stoischen Pantheismus, kann sich aber ihrem thatsächlichen Gehalt nach doch wohl auf alt- pythagoreische Lehre zurückleiten (zweifelhaft bleibt freilich die Aecht- heit des Bruchstückes des Philolaus, bei Stob. ecl. 1, 173, 2 ff. W). Die Vorstellung, dass Seele und νοῦς des Menschen ihm zukommen aus einem unpersönlichen ϑεῖον, einer allverbreiteten ἐν τῷ παντὶ φρόνησις muss schon im fünften Jahrhundert eine sehr geläufige gewesen sein. Sie findet sich ausgesprochen bei Xenophon, Memor. 1, 4, 8. 17; 4, 3, 14, sicherlich ja nicht als dessen Originalgedanke sondern ihm irgendwoher zugeflossen (und gewiss nicht von Sokrates her, auch nicht von Plato).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/468>, abgerufen am 22.11.2024.