Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.nauer betrachtet ist die "Psyche" dieser Philosophen eine zu- Archiloch. 23; Tyrtaeus 10, 14; 11, 5; Solon 13, 46; Theognis 568 f.; 730 (Hipponax 43, 1?). -- psukhe = Leben in der sprüchwörtl. Redensart peri psukhes trekhein (s. Wessel. und Valck. zu Herodot 7, 57. Jacobs zu Achill. Tat. p. 896). Oft ps. = Leben im Sprachgebrauch der attischen Redner (vgl. Meuss, Jahrb. f. Philol. 1889 p. 803). 1) S. oben p. 4. 42. -- Schon die homerischen Gedichte lassen in einem einzelnen Fall ein leises Schwanken im Ausdruck und der psychologischen Vorstellung erkennen, indem thumos, die höchste und allgemeinste der dem sichtbaren und lebendigen Menschen innewohnenden Lebenskräfte, fast als Synonymon der psukhe, des im lebendigen Menschen, abgetrennt und an dessen gewöhnlichen Lebensthätigkeiten unbetheiligt, hausenden Doppelgängers verwendet wird. Der thumos, im Lebenden thätig, in den phrenes beschlossen (en phresi thumos), und mit deren Untergang im Tode (ps 104) ebenfalls dem Untergang verfallen, verlässt bei Eintritt des Todes den Leib, vergeht, während die psukhe unversehrt davonschwebt. Deut- lich wird der Unterschied festgehalten z. B. l 220 ff (den Leib zerstört das Feuer, epei ken prota lipe leuk ostea thumos. psukhe d eut oneiros apoptamene pepotetai). Gleichzeitig also verlassen thumos und psukhe den Getödteten (thumou kai psukhes kekadon Il. L 334 Od. ph 154), aber in sehr verschiedener Weise. Die Verbindung wird aber zu einer Verwechslung, wenn von dem thumos einmal gesagt wird, dass im Tode er apo meleon domon Aidos eiso gehe (H 131), was ja in Wahrheit nur von der ganz verschiedenen psukhe gesagt werden kann. (Wenn nach gewichener Ohn- macht gesagt wird, nicht dass die psukhe -- die doch es war, die den Menschen verlassen hatte [s. p. 8, 1] -- sondern dass es phrena thumos agerthe [Il. X 475; Od. e 458; o 349], so ist hier nicht thumos statt psukhe ein- getreten, sondern nur der Ausdruck ein abgekürzter: sowohl psukhe als thumos sind dem Menschen nun wiedergekehrt [vgl. E 696 ff.], nur thumos wird ge- nannt. Eine Art Synekdoche). An jener Stelle, H 131, tritt also wirk- lich thumos statt psukhe ein, sei es in Folge ungenauer Auffassung der wahren Bedeutung beider, oder nur in nachlässiger Ausdrucksweise. Niemals aber (das ist die Hauptsache) steht bei Homer umgekehrt psukhe in dem Sinne von thumos (noos, menos, etor u. s. w.) als eine Bezeichnung geistiger Kraft und deren Bethätigung im lebendigen und wachen Men- schen. Eben dies aber und mehr, die Summe aller Geisteskräfte des Menschen überhaupt, bezeichnet das Wort psukhe im Sprachgebrauch der (nicht theologisch gerichteten) Philosophen, für welche jener seelische Rohde, Seelencult. 28
nauer betrachtet ist die „Psyche“ dieser Philosophen eine zu- Archiloch. 23; Tyrtaeus 10, 14; 11, 5; Solon 13, 46; Theognis 568 f.; 730 (Hipponax 43, 1?). — ψυχή = Leben in der sprüchwörtl. Redensart περὶ ψυχῆς τρέχειν (s. Wessel. und Valck. zu Herodot 7, 57. Jacobs zu Achill. Tat. p. 896). Oft ψ. = Leben im Sprachgebrauch der attischen Redner (vgl. Meuss, Jahrb. f. Philol. 1889 p. 803). 1) S. oben p. 4. 42. — Schon die homerischen Gedichte lassen in einem einzelnen Fall ein leises Schwanken im Ausdruck und der psychologischen Vorstellung erkennen, indem ϑυμός, die höchste und allgemeinste der dem sichtbaren und lebendigen Menschen innewohnenden Lebenskräfte, fast als Synonymon der ψυχή, des im lebendigen Menschen, abgetrennt und an dessen gewöhnlichen Lebensthätigkeiten unbetheiligt, hausenden Doppelgängers verwendet wird. Der ϑυμός, im Lebenden thätig, in den φρένες beschlossen (ἐν φρεσί ϑυμός), und mit deren Untergang im Tode (ψ 104) ebenfalls dem Untergang verfallen, verlässt bei Eintritt des Todes den Leib, vergeht, während die ψυχή unversehrt davonschwebt. Deut- lich wird der Unterschied festgehalten z. B. λ 220 ff (den Leib zerstört das Feuer, ἐπεί κεν πρῶτα λίπῃ λεύκ̕ ὀστέα ϑυμός. ψυχὴ δ̕ ἠύτ̕ ὄνειρος ἀποπταμένη πεπότηται). Gleichzeitig also verlassen ϑυμός und ψυχή den Getödteten (ϑυμοῦ καὶ ψυχῆς κεκαδών Il. Λ 334 Od. φ 154), aber in sehr verschiedener Weise. Die Verbindung wird aber zu einer Verwechslung, wenn von dem ϑυμός einmal gesagt wird, dass im Tode er ἀπὸ μελέων δόμον Ἄιδος εἴσω gehe (H 131), was ja in Wahrheit nur von der ganz verschiedenen ψυχή gesagt werden kann. (Wenn nach gewichener Ohn- macht gesagt wird, nicht dass die ψυχή — die doch es war, die den Menschen verlassen hatte [s. p. 8, 1] — sondern dass ἐς φρένα ϑυμὸς ἀγέρϑη [Il. X 475; Od. ε 458; ω 349], so ist hier nicht ϑυμός statt ψυχή ein- getreten, sondern nur der Ausdruck ein abgekürzter: sowohl ψυχή als ϑυμός sind dem Menschen nun wiedergekehrt [vgl. E 696 ff.], nur ϑυμός wird ge- nannt. Eine Art Synekdoche). An jener Stelle, H 131, tritt also wirk- lich ϑυμός statt ψυχή ein, sei es in Folge ungenauer Auffassung der wahren Bedeutung beider, oder nur in nachlässiger Ausdrucksweise. Niemals aber (das ist die Hauptsache) steht bei Homer umgekehrt ψυχή in dem Sinne von ϑυμός (νόος, μένος, ἦτορ u. s. w.) als eine Bezeichnung geistiger Kraft und deren Bethätigung im lebendigen und wachen Men- schen. Eben dies aber und mehr, die Summe aller Geisteskräfte des Menschen überhaupt, bezeichnet das Wort ψυχή im Sprachgebrauch der (nicht theologisch gerichteten) Philosophen, für welche jener seelische Rohde, Seelencult. 28
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nauer betrachtet ist die „Psyche“ dieser Philosophen eine zu-
sammenfassende Benennung jener Kräfte des Sinnens, Stre-
bens, Wollens (νόος, μένος, μῆτις, βουλή), zu oberst des mit einem
Worte anderer Sprachen nicht zu bezeichnenden ϑυμός, die
nach homerisch-volksthümlicher Zutheilung ganz dem Bereiche
des sichtbaren Menschen und seines Leibes zufallen 1), Aeus-
1)
1) S. oben p. 4. 42. — Schon die homerischen Gedichte lassen in einem
einzelnen Fall ein leises Schwanken im Ausdruck und der psychologischen
Vorstellung erkennen, indem ϑυμός, die höchste und allgemeinste der
dem sichtbaren und lebendigen Menschen innewohnenden Lebenskräfte,
fast als Synonymon der ψυχή, des im lebendigen Menschen, abgetrennt
und an dessen gewöhnlichen Lebensthätigkeiten unbetheiligt, hausenden
Doppelgängers verwendet wird. Der ϑυμός, im Lebenden thätig, in den
φρένες beschlossen (ἐν φρεσί ϑυμός), und mit deren Untergang im Tode
(ψ 104) ebenfalls dem Untergang verfallen, verlässt bei Eintritt des Todes
den Leib, vergeht, während die ψυχή unversehrt davonschwebt. Deut-
lich wird der Unterschied festgehalten z. B. λ 220 ff (den Leib zerstört
das Feuer, ἐπεί κεν πρῶτα λίπῃ λεύκ̕ ὀστέα ϑυμός. ψυχὴ δ̕ ἠύτ̕ ὄνειρος
ἀποπταμένη πεπότηται). Gleichzeitig also verlassen ϑυμός und ψυχή den
Getödteten (ϑυμοῦ καὶ ψυχῆς κεκαδών Il. Λ 334 Od. φ 154), aber in sehr
verschiedener Weise. Die Verbindung wird aber zu einer Verwechslung,
wenn von dem ϑυμός einmal gesagt wird, dass im Tode er ἀπὸ μελέων
δόμον Ἄιδος εἴσω gehe (H 131), was ja in Wahrheit nur von der ganz
verschiedenen ψυχή gesagt werden kann. (Wenn nach gewichener Ohn-
macht gesagt wird, nicht dass die ψυχή — die doch es war, die den
Menschen verlassen hatte [s. p. 8, 1] — sondern dass ἐς φρένα ϑυμὸς ἀγέρϑη
[Il. X 475; Od. ε 458; ω 349], so ist hier nicht ϑυμός statt ψυχή ein-
getreten, sondern nur der Ausdruck ein abgekürzter: sowohl ψυχή als ϑυμός
sind dem Menschen nun wiedergekehrt [vgl. E 696 ff.], nur ϑυμός wird ge-
nannt. Eine Art Synekdoche). An jener Stelle, H 131, tritt also wirk-
lich ϑυμός statt ψυχή ein, sei es in Folge ungenauer Auffassung der
wahren Bedeutung beider, oder nur in nachlässiger Ausdrucksweise.
Niemals aber (das ist die Hauptsache) steht bei Homer umgekehrt ψυχή
in dem Sinne von ϑυμός (νόος, μένος, ἦτορ u. s. w.) als eine Bezeichnung
geistiger Kraft und deren Bethätigung im lebendigen und wachen Men-
schen. Eben dies aber und mehr, die Summe aller Geisteskräfte des
Menschen überhaupt, bezeichnet das Wort ψυχή im Sprachgebrauch der
(nicht theologisch gerichteten) Philosophen, für welche jener seelische
1) Archiloch. 23; Tyrtaeus 10, 14; 11, 5; Solon 13, 46; Theognis 568 f.; 730
(Hipponax 43, 1?). — ψυχή = Leben in der sprüchwörtl. Redensart
περὶ ψυχῆς τρέχειν (s. Wessel. und Valck. zu Herodot 7, 57. Jacobs zu
Achill. Tat. p. 896). Oft ψ. = Leben im Sprachgebrauch der attischen
Redner (vgl. Meuss, Jahrb. f. Philol. 1889 p. 803).
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