Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.dem sie eben darum, vom öffentlichen Cult abgesondert, einen 1) Die Bendidien sind früh (schon im 5. Jahrh.: C. I. A. 1, 210, fr. k [p. 93]) in Athen Staatsfest geworden. Wie sich aber die Thraker (die offenbar den Cult der Bendis in Athen -- oder doch im Piraieus, dem Sitz der meisten thiasoi -- eingeführt hatten) auch dann eine be- sondere Weise der Verehrung ihrer Göttin neben dem hellenisirten Cultus bewahrten, lehrt die Andeutung des Plato, Rep. 1, 327 A. Jedenfalls schien ihnen der griechisch gemodelte Dienst nicht mehr der rechte zu sein. (Auch Bendis, gleich Dionysos, ist Gottheit des Diesseits und des Jenseits. S. Hesych. s. dilogkhon). 2) Angebliche Spuren orphischen Einflusses auf einzelne Abschnitte
der Ilias (Dios apate) oder der Odyssee sind vollkommen trüglich. Auf die hesiodische Theogonie hat orphische Lehre keinerlei Einfluss gehabt, wohl aber ist umgekehrt die orphische Lehre durch die altgriechische Theologie, deren Bruchstücke in dem hesiodischen Gedichte zusammen- geordnet sind, stark beeinflusst worden. dem sie eben darum, vom öffentlichen Cult abgesondert, einen 1) Die Bendidien sind früh (schon im 5. Jahrh.: C. I. A. 1, 210, fr. k [p. 93]) in Athen Staatsfest geworden. Wie sich aber die Thraker (die offenbar den Cult der Bendis in Athen — oder doch im Piraieus, dem Sitz der meisten ϑίασοι — eingeführt hatten) auch dann eine be- sondere Weise der Verehrung ihrer Göttin neben dem hellenisirten Cultus bewahrten, lehrt die Andeutung des Plato, Rep. 1, 327 A. Jedenfalls schien ihnen der griechisch gemodelte Dienst nicht mehr der rechte zu sein. (Auch Bendis, gleich Dionysos, ist Gottheit des Diesseits und des Jenseits. S. Hesych. s. δίλογχον). 2) Angebliche Spuren orphischen Einflusses auf einzelne Abschnitte
der Ilias (Διὸς ἀπάτη) oder der Odyssee sind vollkommen trüglich. Auf die hesiodische Theogonie hat orphische Lehre keinerlei Einfluss gehabt, wohl aber ist umgekehrt die orphische Lehre durch die altgriechische Theologie, deren Bruchstücke in dem hesiodischen Gedichte zusammen- geordnet sind, stark beeinflusst worden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0413" n="397"/> dem sie eben darum, vom öffentlichen Cult abgesondert, einen<lb/> eigenen Dienst zu widmen sich zusammenschlossen, in dem alle<lb/> Gedanken der heimischen Religion sich ungeschwächt ausprägen<lb/> konnten. Eine nachströmende Welle brachte noch einmal aus<lb/> Norden zu dem längst hellenisirten Dionysos den thrakischen<lb/> Gott nach Griechenland, den jetzt der öffentliche Cult noch-<lb/> mals sich zu assimiliren nicht die Kraft oder den Willen hatte.<lb/> So suchte er seine Verehrung in Secten, die nach eigenem<lb/> Gesetz die Gottheit ehrten. Ob es <hi rendition="#g">Thraker</hi> waren, die,<lb/> gleich dem ungemilderten Culte der Bendis <note place="foot" n="1)">Die Bendidien sind früh (schon im 5. Jahrh.: <hi rendition="#i">C. I. A.</hi> 1, 210, fr.<lb/> k [p. 93]) in Athen Staatsfest geworden. Wie sich aber die Thraker<lb/> (die offenbar den Cult der Bendis in Athen — oder doch im Piraieus,<lb/> dem Sitz der meisten ϑίασοι — eingeführt hatten) auch dann eine be-<lb/> sondere Weise der Verehrung ihrer Göttin neben dem hellenisirten Cultus<lb/> bewahrten, lehrt die Andeutung des Plato, <hi rendition="#i">Rep.</hi> 1, 327 A. Jedenfalls schien<lb/> ihnen der griechisch gemodelte Dienst nicht mehr der rechte zu sein.<lb/> (Auch Bendis, gleich Dionysos, ist Gottheit des Diesseits und des Jenseits.<lb/> S. Hesych. s. δίλογχον).</note>, der Kotytto, so<lb/> auch ihren altheimischen Dionysoscult mitten in griechischen<lb/> Ländern aufs Neue aufrichteten, wissen wir nicht. Aber für<lb/><hi rendition="#g">griechisches</hi> Leben hätte dieser Sondercult keine Bedeutung<lb/> gewonnen, wenn nicht griechische Männer, in den Gedanken-<lb/> kreisen griechischer Frömmigkeit heimisch, sich ihm angeschlos-<lb/> sen und unter dem Namen der „Orphiker“ doch wieder, wenn<lb/> auch auf andere Weise als vordem griechischer Staatscult, den<lb/> thrakischen Gott griechischer Empfindungsweise angeeignet<lb/> hätten. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass orphische<lb/> Secten in griechischen Ländern sich gebildet haben vor der<lb/> zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts <note place="foot" n="2)">Angebliche Spuren orphischen Einflusses auf einzelne Abschnitte<lb/> der Ilias (Διὸς ἀπάτη) oder der Odyssee sind vollkommen trüglich. Auf<lb/> die hesiodische Theogonie hat orphische Lehre keinerlei Einfluss gehabt,<lb/> wohl aber ist umgekehrt die orphische Lehre durch die altgriechische<lb/> Theologie, deren Bruchstücke in dem hesiodischen Gedichte zusammen-<lb/> geordnet sind, stark beeinflusst worden.</note>, vor jener Wende-<lb/> zeit, in der an mehr als Einer Stelle aus der mythischen Vor-<lb/> stellungsweise sich eine Theosophie hervorbildete, die zur Philo-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [397/0413]
dem sie eben darum, vom öffentlichen Cult abgesondert, einen
eigenen Dienst zu widmen sich zusammenschlossen, in dem alle
Gedanken der heimischen Religion sich ungeschwächt ausprägen
konnten. Eine nachströmende Welle brachte noch einmal aus
Norden zu dem längst hellenisirten Dionysos den thrakischen
Gott nach Griechenland, den jetzt der öffentliche Cult noch-
mals sich zu assimiliren nicht die Kraft oder den Willen hatte.
So suchte er seine Verehrung in Secten, die nach eigenem
Gesetz die Gottheit ehrten. Ob es Thraker waren, die,
gleich dem ungemilderten Culte der Bendis 1), der Kotytto, so
auch ihren altheimischen Dionysoscult mitten in griechischen
Ländern aufs Neue aufrichteten, wissen wir nicht. Aber für
griechisches Leben hätte dieser Sondercult keine Bedeutung
gewonnen, wenn nicht griechische Männer, in den Gedanken-
kreisen griechischer Frömmigkeit heimisch, sich ihm angeschlos-
sen und unter dem Namen der „Orphiker“ doch wieder, wenn
auch auf andere Weise als vordem griechischer Staatscult, den
thrakischen Gott griechischer Empfindungsweise angeeignet
hätten. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass orphische
Secten in griechischen Ländern sich gebildet haben vor der
zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts 2), vor jener Wende-
zeit, in der an mehr als Einer Stelle aus der mythischen Vor-
stellungsweise sich eine Theosophie hervorbildete, die zur Philo-
1) Die Bendidien sind früh (schon im 5. Jahrh.: C. I. A. 1, 210, fr.
k [p. 93]) in Athen Staatsfest geworden. Wie sich aber die Thraker
(die offenbar den Cult der Bendis in Athen — oder doch im Piraieus,
dem Sitz der meisten ϑίασοι — eingeführt hatten) auch dann eine be-
sondere Weise der Verehrung ihrer Göttin neben dem hellenisirten Cultus
bewahrten, lehrt die Andeutung des Plato, Rep. 1, 327 A. Jedenfalls schien
ihnen der griechisch gemodelte Dienst nicht mehr der rechte zu sein.
(Auch Bendis, gleich Dionysos, ist Gottheit des Diesseits und des Jenseits.
S. Hesych. s. δίλογχον).
2) Angebliche Spuren orphischen Einflusses auf einzelne Abschnitte
der Ilias (Διὸς ἀπάτη) oder der Odyssee sind vollkommen trüglich. Auf
die hesiodische Theogonie hat orphische Lehre keinerlei Einfluss gehabt,
wohl aber ist umgekehrt die orphische Lehre durch die altgriechische
Theologie, deren Bruchstücke in dem hesiodischen Gedichte zusammen-
geordnet sind, stark beeinflusst worden.
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