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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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sagern kennt die Odyssee und wohl auch schon die Ilias auch
die geschlossenen, durch den Namen des Gottes, mit dessen
Dienst sie verbunden waren, die Bedeutung und Glaubhaftig-
keit ihrer Sprüche verbürgenden Orakelinstitute am Heilig-
thum des Zeus zu Dodona, am Tempel des Apollo zu Pytho 1).
Erst in der Odyssee wird einmal dem apollinischen Orakel ein
Einfluss auf die grossen Angelegenheiten des Völkerlebens zu-
getraut. Aber ob damals bereits in Delphi eine inspirirte
Prophetin weissagte, lassen die Gedichte nicht erkennen. Es
muss dort in alter Zeit ein Loosorakel unter dem Schutze des
Apollo bestanden haben 2); an dieses wird man wohl eher
denken wollen bei der Erwähnung des Orakels in einer Dich-
tung, die von den auffallenden Erscheinungen ekstatischer
Mantik nirgends 3) Kenntniss zeigt 4).

Auf jeden Fall ist dem apollinischen Cult das, was, in
überlegtester Ausbildung, dem delphischen Orakel später eine

lässt sich erst recht nicht (mit Welcker, Götterl. 2, 11) auf Homers Kennt-
niss ekstatischer Wahrsagung schliessen. -- Die Ableitung des W. mantis
von mainesthai, seit Plato oft wiederholt, würde allerdings schon in den Be-
griff des Wahrsagers überhaupt das Ekstatische legen. Aber diese Ableitung
ist ganz unsicher, ein Zusammenhang mit manuo viel wahrscheinlicher.
1) Pytho: Od. 8, 80; Il. 9, 404. Dodona: Il. 16, 234; Od. 14, 327 f.,
19, 296 f. Orakelbefragung wohl auch Od. 16, 402 f. S. Nägelsbach, Hom.
Theol.
2 p. 191 f.
2) S. Lobeck, Aglaoph. 814 f. (schon der stets in Uebung gebliebene
Ausdruck aneilen o theos, e Puthia beweist es). Vgl. auch Bergk, Gr.
Litteraturgesch.
1, 334. -- In seiner Weise berichtet der hymn. in Mercur.
552--566, wie Apollo das Loosorakal zu Delphi, als zu wenig verlässig
und des Gottes unwürdig, aufgegeben habe.
3) Denn auch der Fall des Helenos, Il. 7, 44 ff. (den Psplut. vit.
Hom.
2, 212 hierherzurechnen scheint) giebt hievon kein Beispiel (aus-
drücklich unterscheidet Cic. div. 1, 89 die Weissagung des Helenos von
der enthusiastischen der Kassandra).
4) Selbst der homerische Hymnus auf den pythischen Apollo er-
wähnt, obwohl er doch die Einsetzung des Cultes und Orakels des Apoll
zu Delphi berichtet, nirgends (wie Lobeck, Agl. 264 treffend hervorhebt)
der Pythia. (Nach v. 306 f. sollte man meinen, dass die Wahrsagung
damals noch ausschliesslich männlichen manteis oder prophetai zugefallen
sei).

sagern kennt die Odyssee und wohl auch schon die Ilias auch
die geschlossenen, durch den Namen des Gottes, mit dessen
Dienst sie verbunden waren, die Bedeutung und Glaubhaftig-
keit ihrer Sprüche verbürgenden Orakelinstitute am Heilig-
thum des Zeus zu Dodona, am Tempel des Apollo zu Pytho 1).
Erst in der Odyssee wird einmal dem apollinischen Orakel ein
Einfluss auf die grossen Angelegenheiten des Völkerlebens zu-
getraut. Aber ob damals bereits in Delphi eine inspirirte
Prophetin weissagte, lassen die Gedichte nicht erkennen. Es
muss dort in alter Zeit ein Loosorakel unter dem Schutze des
Apollo bestanden haben 2); an dieses wird man wohl eher
denken wollen bei der Erwähnung des Orakels in einer Dich-
tung, die von den auffallenden Erscheinungen ekstatischer
Mantik nirgends 3) Kenntniss zeigt 4).

Auf jeden Fall ist dem apollinischen Cult das, was, in
überlegtester Ausbildung, dem delphischen Orakel später eine

lässt sich erst recht nicht (mit Welcker, Götterl. 2, 11) auf Homers Kennt-
niss ekstatischer Wahrsagung schliessen. — Die Ableitung des W. μάντις
von μαίνεσϑαι, seit Plato oft wiederholt, würde allerdings schon in den Be-
griff des Wahrsagers überhaupt das Ekstatische legen. Aber diese Ableitung
ist ganz unsicher, ein Zusammenhang mit μανύω viel wahrscheinlicher.
1) Pytho: Od. 8, 80; Il. 9, 404. Dodona: Il. 16, 234; Od. 14, 327 f.,
19, 296 f. Orakelbefragung wohl auch Od. 16, 402 f. S. Nägelsbach, Hom.
Theol.
2 p. 191 f.
2) S. Lobeck, Aglaoph. 814 f. (schon der stets in Uebung gebliebene
Ausdruck ἀνεῖλεν ὁ ϑεός, ἡ Πυϑία beweist es). Vgl. auch Bergk, Gr.
Litteraturgesch.
1, 334. — In seiner Weise berichtet der hymn. in Mercur.
552—566, wie Apollo das Loosorakal zu Delphi, als zu wenig verlässig
und des Gottes unwürdig, aufgegeben habe.
3) Denn auch der Fall des Helenos, Il. 7, 44 ff. (den Psplut. vit.
Hom.
2, 212 hierherzurechnen scheint) giebt hievon kein Beispiel (aus-
drücklich unterscheidet Cic. div. 1, 89 die Weissagung des Helenos von
der enthusiastischen der Kassandra).
4) Selbst der homerische Hymnus auf den pythischen Apollo er-
wähnt, obwohl er doch die Einsetzung des Cultes und Orakels des Apoll
zu Delphi berichtet, nirgends (wie Lobeck, Agl. 264 treffend hervorhebt)
der Pythia. (Nach v. 306 f. sollte man meinen, dass die Wahrsagung
damals noch ausschliesslich männlichen μάντεις oder προφῆται zugefallen
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[345/0361] sagern kennt die Odyssee und wohl auch schon die Ilias auch die geschlossenen, durch den Namen des Gottes, mit dessen Dienst sie verbunden waren, die Bedeutung und Glaubhaftig- keit ihrer Sprüche verbürgenden Orakelinstitute am Heilig- thum des Zeus zu Dodona, am Tempel des Apollo zu Pytho 1). Erst in der Odyssee wird einmal dem apollinischen Orakel ein Einfluss auf die grossen Angelegenheiten des Völkerlebens zu- getraut. Aber ob damals bereits in Delphi eine inspirirte Prophetin weissagte, lassen die Gedichte nicht erkennen. Es muss dort in alter Zeit ein Loosorakel unter dem Schutze des Apollo bestanden haben 2); an dieses wird man wohl eher denken wollen bei der Erwähnung des Orakels in einer Dich- tung, die von den auffallenden Erscheinungen ekstatischer Mantik nirgends 3) Kenntniss zeigt 4). Auf jeden Fall ist dem apollinischen Cult das, was, in überlegtester Ausbildung, dem delphischen Orakel später eine 3) 1) Pytho: Od. 8, 80; Il. 9, 404. Dodona: Il. 16, 234; Od. 14, 327 f., 19, 296 f. Orakelbefragung wohl auch Od. 16, 402 f. S. Nägelsbach, Hom. Theol.2 p. 191 f. 2) S. Lobeck, Aglaoph. 814 f. (schon der stets in Uebung gebliebene Ausdruck ἀνεῖλεν ὁ ϑεός, ἡ Πυϑία beweist es). Vgl. auch Bergk, Gr. Litteraturgesch. 1, 334. — In seiner Weise berichtet der hymn. in Mercur. 552—566, wie Apollo das Loosorakal zu Delphi, als zu wenig verlässig und des Gottes unwürdig, aufgegeben habe. 3) Denn auch der Fall des Helenos, Il. 7, 44 ff. (den Psplut. vit. Hom. 2, 212 hierherzurechnen scheint) giebt hievon kein Beispiel (aus- drücklich unterscheidet Cic. div. 1, 89 die Weissagung des Helenos von der enthusiastischen der Kassandra). 4) Selbst der homerische Hymnus auf den pythischen Apollo er- wähnt, obwohl er doch die Einsetzung des Cultes und Orakels des Apoll zu Delphi berichtet, nirgends (wie Lobeck, Agl. 264 treffend hervorhebt) der Pythia. (Nach v. 306 f. sollte man meinen, dass die Wahrsagung damals noch ausschliesslich männlichen μάντεις oder προφῆται zugefallen sei). 3) lässt sich erst recht nicht (mit Welcker, Götterl. 2, 11) auf Homers Kennt- niss ekstatischer Wahrsagung schliessen. — Die Ableitung des W. μάντις von μαίνεσϑαι, seit Plato oft wiederholt, würde allerdings schon in den Be- griff des Wahrsagers überhaupt das Ekstatische legen. Aber diese Ableitung ist ganz unsicher, ein Zusammenhang mit μανύω viel wahrscheinlicher.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/361>, abgerufen am 25.11.2024.