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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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keitsglauben der Thraker und deren Religion und enthusiasti-
schem Gottesdienst sich ein innerer Zusammenhang auffinden
lasse. Einige Spuren weisen auch auf eine engere Verbindung
des thrakischen Dionysoscultes und Seelencultes hin 1). Warum
aber an die Religion des thrakischen Dionysos ein Glaube an
das unvergängliche, selbständige und nicht auf die Dauer des
Aufenthalts in diesem Leibe, der sie gegenwärtig umschliesst,
beschränkte Leben der Seele sich anschloss, das werden wir
nicht sowohl aus der (uns zudem ungenügend bekannten) Natur
des Gottes, dem jener Cult gewidmet war, verstehen wollen
als aus der Art des Cultus selbst. Das Ziel, man kann sagen
die Aufgabe dieses Cultes war es, die Erregung der an ihm
Theilnehmenden bis zur "Ekstasis" zu treiben, ihre "Seelen"
dem gewohnten Kreise ihres menschlich beschränkten Daseins
zu entreissen und als freie Geister in die Gemeinschaft des
Gottes und seines Geisterschwarms zu erheben. Die Ent-
zückungen dieser Orgiasmen schlossen denen die als wahre
"Bakchen" 2) wirklich in den Zustand heiligen Wahnsinns ge-

1) Zusammenhang des thrakischen Dionysoscultes mit dem Unsterb-
lichkeitsglauben und Seelencult findet Rapp, Progr. p. 15 ff. bezeugt durch
die von Heuzey in thrakischen Gegenden gefundenen Inschriften. Ein zu
Doxato (bei Philippi) gefundenes Grabepigramm (C. I. L. III 686) sagt
von einem verstorbenen Jüngling (v. 12 ff.): reparatus vivis in Elysiis.
Sic placitum est divis, aeterna vivere forma qui bene de supero lumine sit
meritus. -- nunc seu te Bromio signatae mystides ad se florigero in
prato congregem uti Satyrum, sive canistriferae poscunt sibi Naides aeque,
qui ducibus taedis agmina festa trahas
u. s. w. Es fehlt freilich alles auf
spezifisch thrakischen Cult hinweisende in dieser merkwürdigen Phantasie.
Dagegen deutet die Schenkung eines Bithus und Rufus an die thiasi Liberi
patris Tasibasteni
von 300 Denaren ex quorum reditu annuo rosalibus
(also an dem jährlichen Seelenfest) ad monimentum eorum vescentur
(C. I. L. III 703) schon durch den localen Beinamen des Dionys (vgl. ib. 704)
auf speciell thrakischen Cult des Gottes und Zusammenhang desselben mit
dem Seelencult hin. Auch die Verbindung, in die Euripides Hec. 1243 ff.
den Glauben an Palingenesie mit dem Orakel des thrakischen Dionys
setzt, scheint einen Zusammenhang dieses Glaubens mit dem Dionysoscult
vorauszusetzen.
2) polloi men narthekophoroi, pauroi de te Bakkhoi. Der orphische Vers
(Lob. Agl. 813 ff.) will, eigentlich verstanden, besagen, dass unter der
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keitsglauben der Thraker und deren Religion und enthusiasti-
schem Gottesdienst sich ein innerer Zusammenhang auffinden
lasse. Einige Spuren weisen auch auf eine engere Verbindung
des thrakischen Dionysoscultes und Seelencultes hin 1). Warum
aber an die Religion des thrakischen Dionysos ein Glaube an
das unvergängliche, selbständige und nicht auf die Dauer des
Aufenthalts in diesem Leibe, der sie gegenwärtig umschliesst,
beschränkte Leben der Seele sich anschloss, das werden wir
nicht sowohl aus der (uns zudem ungenügend bekannten) Natur
des Gottes, dem jener Cult gewidmet war, verstehen wollen
als aus der Art des Cultus selbst. Das Ziel, man kann sagen
die Aufgabe dieses Cultes war es, die Erregung der an ihm
Theilnehmenden bis zur „Ekstasis“ zu treiben, ihre „Seelen“
dem gewohnten Kreise ihres menschlich beschränkten Daseins
zu entreissen und als freie Geister in die Gemeinschaft des
Gottes und seines Geisterschwarms zu erheben. Die Ent-
zückungen dieser Orgiasmen schlossen denen die als wahre
„Bakchen“ 2) wirklich in den Zustand heiligen Wahnsinns ge-

1) Zusammenhang des thrakischen Dionysoscultes mit dem Unsterb-
lichkeitsglauben und Seelencult findet Rapp, Progr. p. 15 ff. bezeugt durch
die von Heuzey in thrakischen Gegenden gefundenen Inschriften. Ein zu
Doxato (bei Philippi) gefundenes Grabepigramm (C. I. L. III 686) sagt
von einem verstorbenen Jüngling (v. 12 ff.): reparatus vivis in Elysiis.
Sic placitum est divis, aeterna vivere forma qui bene de supero lumine sit
meritus. — nunc seu te Bromio signatae mystides ad se florigero in
prato congregem uti Satyrum, sive canistriferae poscunt sibi Naïdes aeque,
qui ducibus taedis agmina festa trahas
u. s. w. Es fehlt freilich alles auf
spezifisch thrakischen Cult hinweisende in dieser merkwürdigen Phantasie.
Dagegen deutet die Schenkung eines Bithus und Rufus an die thiasi Liberi
patris Tasibasteni
von 300 Denaren ex quorum reditu annuo rosalibus
(also an dem jährlichen Seelenfest) ad monimentum eorum vescentur
(C. I. L. III 703) schon durch den localen Beinamen des Dionys (vgl. ib. 704)
auf speciell thrakischen Cult des Gottes und Zusammenhang desselben mit
dem Seelencult hin. Auch die Verbindung, in die Euripides Hec. 1243 ff.
den Glauben an Palingenesie mit dem Orakel des thrakischen Dionys
setzt, scheint einen Zusammenhang dieses Glaubens mit dem Dionysoscult
vorauszusetzen.
2) πολλοὶ μὲν ναρϑηκοφόροι, παῦροι δέ τε Βάκχοι. Der orphische Vers
(Lob. Agl. 813 ff.) will, eigentlich verstanden, besagen, dass unter der
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[323/0339] keitsglauben der Thraker und deren Religion und enthusiasti- schem Gottesdienst sich ein innerer Zusammenhang auffinden lasse. Einige Spuren weisen auch auf eine engere Verbindung des thrakischen Dionysoscultes und Seelencultes hin 1). Warum aber an die Religion des thrakischen Dionysos ein Glaube an das unvergängliche, selbständige und nicht auf die Dauer des Aufenthalts in diesem Leibe, der sie gegenwärtig umschliesst, beschränkte Leben der Seele sich anschloss, das werden wir nicht sowohl aus der (uns zudem ungenügend bekannten) Natur des Gottes, dem jener Cult gewidmet war, verstehen wollen als aus der Art des Cultus selbst. Das Ziel, man kann sagen die Aufgabe dieses Cultes war es, die Erregung der an ihm Theilnehmenden bis zur „Ekstasis“ zu treiben, ihre „Seelen“ dem gewohnten Kreise ihres menschlich beschränkten Daseins zu entreissen und als freie Geister in die Gemeinschaft des Gottes und seines Geisterschwarms zu erheben. Die Ent- zückungen dieser Orgiasmen schlossen denen die als wahre „Bakchen“ 2) wirklich in den Zustand heiligen Wahnsinns ge- 1) Zusammenhang des thrakischen Dionysoscultes mit dem Unsterb- lichkeitsglauben und Seelencult findet Rapp, Progr. p. 15 ff. bezeugt durch die von Heuzey in thrakischen Gegenden gefundenen Inschriften. Ein zu Doxato (bei Philippi) gefundenes Grabepigramm (C. I. L. III 686) sagt von einem verstorbenen Jüngling (v. 12 ff.): reparatus vivis in Elysiis. Sic placitum est divis, aeterna vivere forma qui bene de supero lumine sit meritus. — nunc seu te Bromio signatae mystides ad se florigero in prato congregem uti Satyrum, sive canistriferae poscunt sibi Naïdes aeque, qui ducibus taedis agmina festa trahas u. s. w. Es fehlt freilich alles auf spezifisch thrakischen Cult hinweisende in dieser merkwürdigen Phantasie. Dagegen deutet die Schenkung eines Bithus und Rufus an die thiasi Liberi patris Tasibasteni von 300 Denaren ex quorum reditu annuo rosalibus (also an dem jährlichen Seelenfest) ad monimentum eorum vescentur (C. I. L. III 703) schon durch den localen Beinamen des Dionys (vgl. ib. 704) auf speciell thrakischen Cult des Gottes und Zusammenhang desselben mit dem Seelencult hin. Auch die Verbindung, in die Euripides Hec. 1243 ff. den Glauben an Palingenesie mit dem Orakel des thrakischen Dionys setzt, scheint einen Zusammenhang dieses Glaubens mit dem Dionysoscult vorauszusetzen. 2) πολλοὶ μὲν ναρϑηκοφόροι, παῦροι δέ τε Βάκχοι. Der orphische Vers (Lob. Agl. 813 ff.) will, eigentlich verstanden, besagen, dass unter der 21*

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/339>, abgerufen am 23.11.2024.