ist der Glaube der sogenannten "Naturvölker" der ganzen Erde 1), wie ihn mit eindringlicher Schärfe namentlich Herbert Spencer ergründet hat. Es hat nichts Auffallendes, auch die Griechen eine Vorstellungsart theilen zu sehen, die dem Sinne uranfäng- licher Menschheit so nahe liegt. Die Beobachtungen, welche auf dem Wege einer phantastischen Logik zu der Annahme des Doppellebens im Menschen führten, können der Vorzeit, welche den Griechen Homers ihren Glauben überlieferte, nicht ferner gelegen haben als anderen Völkern. Nicht aus den Er- scheinungen des Empfindens, Wollens, Wahrnehmens und Denkens im wachen und bewussten Menschen, sondern aus den Erfahrungen eines scheinbaren Doppellebens im Traum, in der Ohnmacht und Ekstase ist der Schluss auf das Dasein eines zwiefachen Lebendigen im Menschen, auf die Existenz eines selbständig ablösbaren "Zweiten Ich" in dem Innern des täg- lich sichtbaren Ich gewonnen worden. Man höre nur die Worte eines griechischen Zeugen, der, in viel späterer Zeit, klarer als Homer irgendwo, das Wesen der Psyche ausspricht und zu- gleich die Herkunft des Glaubens an solches Wesen erkennen lässt. Pindar (fr. 131) lehrt: der Leib folgt dem Tode, dem allgewaltigen. Lebendig aber bleibt das Abbild des Lebenden ("denn dieses allein stammt von den Göttern": das ist freilich nicht homerischer Glaube), es schläft aber (dieses Eidolon) wenn die Glieder thätig sind, aber dem Schlafenden oft im Traume zeigt es Zukünftiges. -- Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass an der Thätigkeit des wachen und vollbewussten Menschen sein Seelenabbild keinen Theil hat. Dessen Reich ist die Traumwelt; wenn das andre Ich, seiner selbst unbewusst, im Schlafe liegt, wirkt und wacht der Doppelgänger. In der That, während der Leib des Schlafenden unbeweglich verharrt, sieht und erlebt Er selbst, im Traume, Vieles und Seltsames --
1) Auch der civilisirten Völker. Nichts anderes als ein solches, das sichtbare Ich des Menschen wiederholendes eidolon und zweites Ich ist, in seiner ursprünglichen Bedeutung, der genius der Römer, die Frava- schi der Perser, das Ka der Aegypter.
ist der Glaube der sogenannten „Naturvölker“ der ganzen Erde 1), wie ihn mit eindringlicher Schärfe namentlich Herbert Spencer ergründet hat. Es hat nichts Auffallendes, auch die Griechen eine Vorstellungsart theilen zu sehen, die dem Sinne uranfäng- licher Menschheit so nahe liegt. Die Beobachtungen, welche auf dem Wege einer phantastischen Logik zu der Annahme des Doppellebens im Menschen führten, können der Vorzeit, welche den Griechen Homers ihren Glauben überlieferte, nicht ferner gelegen haben als anderen Völkern. Nicht aus den Er- scheinungen des Empfindens, Wollens, Wahrnehmens und Denkens im wachen und bewussten Menschen, sondern aus den Erfahrungen eines scheinbaren Doppellebens im Traum, in der Ohnmacht und Ekstase ist der Schluss auf das Dasein eines zwiefachen Lebendigen im Menschen, auf die Existenz eines selbständig ablösbaren „Zweiten Ich“ in dem Innern des täg- lich sichtbaren Ich gewonnen worden. Man höre nur die Worte eines griechischen Zeugen, der, in viel späterer Zeit, klarer als Homer irgendwo, das Wesen der Psyche ausspricht und zu- gleich die Herkunft des Glaubens an solches Wesen erkennen lässt. Pindar (fr. 131) lehrt: der Leib folgt dem Tode, dem allgewaltigen. Lebendig aber bleibt das Abbild des Lebenden („denn dieses allein stammt von den Göttern“: das ist freilich nicht homerischer Glaube), es schläft aber (dieses Eidolon) wenn die Glieder thätig sind, aber dem Schlafenden oft im Traume zeigt es Zukünftiges. — Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass an der Thätigkeit des wachen und vollbewussten Menschen sein Seelenabbild keinen Theil hat. Dessen Reich ist die Traumwelt; wenn das andre Ich, seiner selbst unbewusst, im Schlafe liegt, wirkt und wacht der Doppelgänger. In der That, während der Leib des Schlafenden unbeweglich verharrt, sieht und erlebt Er selbst, im Traume, Vieles und Seltsames —
1) Auch der civilisirten Völker. Nichts anderes als ein solches, das sichtbare Ich des Menschen wiederholendes εἴδωλον und zweites Ich ist, in seiner ursprünglichen Bedeutung, der genius der Römer, die Frava- schi der Perser, das Ka der Aegypter.
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ist der Glaube der sogenannten „Naturvölker“ der ganzen Erde 1),
wie ihn mit eindringlicher Schärfe namentlich Herbert Spencer
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eine Vorstellungsart theilen zu sehen, die dem Sinne uranfäng-
licher Menschheit so nahe liegt. Die Beobachtungen, welche
auf dem Wege einer phantastischen Logik zu der Annahme
des Doppellebens im Menschen führten, können der Vorzeit,
welche den Griechen Homers ihren Glauben überlieferte, nicht
ferner gelegen haben als anderen Völkern. Nicht aus den Er-
scheinungen des Empfindens, Wollens, Wahrnehmens und
Denkens im wachen und bewussten Menschen, sondern aus den
Erfahrungen eines scheinbaren Doppellebens im Traum, in der
Ohnmacht und Ekstase ist der Schluss auf das Dasein eines
zwiefachen Lebendigen im Menschen, auf die Existenz eines
selbständig ablösbaren „Zweiten Ich“ in dem Innern des täg-
lich sichtbaren Ich gewonnen worden. Man höre nur die Worte
eines griechischen Zeugen, der, in viel späterer Zeit, klarer als
Homer irgendwo, das Wesen der Psyche ausspricht und zu-
gleich die Herkunft des Glaubens an solches Wesen erkennen
lässt. Pindar (fr. 131) lehrt: der Leib folgt dem Tode, dem
allgewaltigen. Lebendig aber bleibt das Abbild des Lebenden
(„denn dieses allein stammt von den Göttern“: das ist freilich
nicht homerischer Glaube), es schläft aber (dieses Eidolon)
wenn die Glieder thätig sind, aber dem Schlafenden oft im
Traume zeigt es Zukünftiges. — Deutlicher kann nicht gesagt
werden, dass an der Thätigkeit des wachen und vollbewussten
Menschen sein Seelenabbild keinen Theil hat. Dessen Reich
ist die Traumwelt; wenn das andre Ich, seiner selbst unbewusst,
im Schlafe liegt, wirkt und wacht der Doppelgänger. In der
That, während der Leib des Schlafenden unbeweglich verharrt,
sieht und erlebt Er selbst, im Traume, Vieles und Seltsames —
1) Auch der civilisirten Völker. Nichts anderes als ein solches, das
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/22>, abgerufen am 27.11.2024.
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