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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Was uns von einzelnen Gebräuchen der Bestattung be-
kannt ist, weicht in den Grundzügen von dem, was sich im
homerischen Zeitalter als durch den Glauben nicht mehr völlig
erklärte Sitte erhalten hatte, nicht wesentlich ab. Was uns
als Neues entgegentritt, mag zumeist auch nur neubelebter ur-
alter Gebrauch sein. In einzelnen Zügen macht sich die Heilig-
keit des Actes deutlicher bemerkbar.

Der Leichnam wird, nachdem Auge und Mund von der
Hand des nächsten Verwandten geschlossen sind, von den Frauen
aus der Verwandtschaft gewaschen und gesalbt, in reine Ge-
wänder gekleidet und zu feierlicher Ausstellung im Inneren
des Hauses auf dem Lager gebettet. In Athen breitete man,
wohl aus irgend einem superstitiösen Grunde, der Leiche Ori-
ganon und vier gebrochene Weinreben unter1), stellte unter
das Lager Salbgefässe jener schlanken Bildung, wie sie die
Gräber so zahlreich zurückgegeben haben, an die Thüre des
Gemaches zur Reinigung der durch die Annäherung an den
Leichnam religiös Befleckten, wenn sie das Haus wieder ver-
lassen, ein Wassergefäss voll reinen, aus fremdem Hause ent-
lehnten Wassers2). Cypressenzweige, an der Hausthür befestigt,
deuten von Aussen Aengstlichen an, dass eine Leiche drinnen

1) Aristoph., Eccl. 1030 f. Der Grund ist unklar. Möglich wäre,
dass wenigstens das scharf duftende Origanon dem ganz rationellen Zweck,
Ungeziefer fern zu halten, dienen sollte. Nach altem Glauben vertreibt
dies Kraut Ameisen (s. Niclas zu Geopon. 13, 10, 5), auch sagt Dios-
corides (mat. med. 3, 29, I p. 375 Spr.) upostronnumene e poa (Orig.)
erpeta diokei.
2) lekuthoi, toustrakon: Arist. Eccl. 1032 f.; khernips epi phthiton pulais:
Eurip. Alcest. 98 ff. Das Gefäss hiess ardanion: Schol. Arist. Eccl. 1030;
Poll. 8, 65 (vgl. Phot. 346, 1: ordanion). Es enthielt Wasser, aus einem
anderen Hause entliehen: Hesych. s. ostrakon (offenbar, weil das Wasser
des Hauses, in dem die Leiche ruht, für unrein galt. So wird z. B., wo
das Feuer "verunreinigt" ist, von fernher anderes geholt: Plut. Quaest.
Gr.
24; Aristid. 20). Es reinigten sich damit die das Haus wieder Ver-
lassenden: Hesych. s. ardania, s. pegaion, pegaion udor. Ein Lorbeer-
zweig (als Sprengwedel, wie gewöhnlich bei Lustrationen) lag darin: Schol.
Eurip. Alcest. 98.

Was uns von einzelnen Gebräuchen der Bestattung be-
kannt ist, weicht in den Grundzügen von dem, was sich im
homerischen Zeitalter als durch den Glauben nicht mehr völlig
erklärte Sitte erhalten hatte, nicht wesentlich ab. Was uns
als Neues entgegentritt, mag zumeist auch nur neubelebter ur-
alter Gebrauch sein. In einzelnen Zügen macht sich die Heilig-
keit des Actes deutlicher bemerkbar.

Der Leichnam wird, nachdem Auge und Mund von der
Hand des nächsten Verwandten geschlossen sind, von den Frauen
aus der Verwandtschaft gewaschen und gesalbt, in reine Ge-
wänder gekleidet und zu feierlicher Ausstellung im Inneren
des Hauses auf dem Lager gebettet. In Athen breitete man,
wohl aus irgend einem superstitiösen Grunde, der Leiche Ori-
ganon und vier gebrochene Weinreben unter1), stellte unter
das Lager Salbgefässe jener schlanken Bildung, wie sie die
Gräber so zahlreich zurückgegeben haben, an die Thüre des
Gemaches zur Reinigung der durch die Annäherung an den
Leichnam religiös Befleckten, wenn sie das Haus wieder ver-
lassen, ein Wassergefäss voll reinen, aus fremdem Hause ent-
lehnten Wassers2). Cypressenzweige, an der Hausthür befestigt,
deuten von Aussen Aengstlichen an, dass eine Leiche drinnen

1) Aristoph., Eccl. 1030 f. Der Grund ist unklar. Möglich wäre,
dass wenigstens das scharf duftende Origanon dem ganz rationellen Zweck,
Ungeziefer fern zu halten, dienen sollte. Nach altem Glauben vertreibt
dies Kraut Ameisen (s. Niclas zu Geopon. 13, 10, 5), auch sagt Dios-
corides (mat. med. 3, 29, I p. 375 Spr.) ὑποστρωννυμένη ἡ πόα (Orig.)
ἑρπετὰ διώκει.
2) λήκυϑοι, τοὔστρακον: Arist. Eccl. 1032 f.; χέρνιψ ἐπὶ φϑιτῶν πύλαις:
Eurip. Alcest. 98 ff. Das Gefäss hiess ἀρδάνιον: Schol. Arist. Eccl. 1030;
Poll. 8, 65 (vgl. Phot. 346, 1: ὀρδάνιον). Es enthielt Wasser, aus einem
anderen Hause entliehen: Hesych. s. ὄστρακον (offenbar, weil das Wasser
des Hauses, in dem die Leiche ruht, für unrein galt. So wird z. B., wo
das Feuer „verunreinigt“ ist, von fernher anderes geholt: Plut. Quaest.
Gr.
24; Aristid. 20). Es reinigten sich damit die das Haus wieder Ver-
lassenden: Hesych. s. ἀρδάνια, s. πηγαῖον, πηγαῖον ὕδωρ. Ein Lorbeer-
zweig (als Sprengwedel, wie gewöhnlich bei Lustrationen) lag darin: Schol.
Eurip. Alcest. 98.
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[203/0219] Was uns von einzelnen Gebräuchen der Bestattung be- kannt ist, weicht in den Grundzügen von dem, was sich im homerischen Zeitalter als durch den Glauben nicht mehr völlig erklärte Sitte erhalten hatte, nicht wesentlich ab. Was uns als Neues entgegentritt, mag zumeist auch nur neubelebter ur- alter Gebrauch sein. In einzelnen Zügen macht sich die Heilig- keit des Actes deutlicher bemerkbar. Der Leichnam wird, nachdem Auge und Mund von der Hand des nächsten Verwandten geschlossen sind, von den Frauen aus der Verwandtschaft gewaschen und gesalbt, in reine Ge- wänder gekleidet und zu feierlicher Ausstellung im Inneren des Hauses auf dem Lager gebettet. In Athen breitete man, wohl aus irgend einem superstitiösen Grunde, der Leiche Ori- ganon und vier gebrochene Weinreben unter 1), stellte unter das Lager Salbgefässe jener schlanken Bildung, wie sie die Gräber so zahlreich zurückgegeben haben, an die Thüre des Gemaches zur Reinigung der durch die Annäherung an den Leichnam religiös Befleckten, wenn sie das Haus wieder ver- lassen, ein Wassergefäss voll reinen, aus fremdem Hause ent- lehnten Wassers 2). Cypressenzweige, an der Hausthür befestigt, deuten von Aussen Aengstlichen an, dass eine Leiche drinnen 1) Aristoph., Eccl. 1030 f. Der Grund ist unklar. Möglich wäre, dass wenigstens das scharf duftende Origanon dem ganz rationellen Zweck, Ungeziefer fern zu halten, dienen sollte. Nach altem Glauben vertreibt dies Kraut Ameisen (s. Niclas zu Geopon. 13, 10, 5), auch sagt Dios- corides (mat. med. 3, 29, I p. 375 Spr.) ὑποστρωννυμένη ἡ πόα (Orig.) ἑρπετὰ διώκει. 2) λήκυϑοι, τοὔστρακον: Arist. Eccl. 1032 f.; χέρνιψ ἐπὶ φϑιτῶν πύλαις: Eurip. Alcest. 98 ff. Das Gefäss hiess ἀρδάνιον: Schol. Arist. Eccl. 1030; Poll. 8, 65 (vgl. Phot. 346, 1: ὀρδάνιον). Es enthielt Wasser, aus einem anderen Hause entliehen: Hesych. s. ὄστρακον (offenbar, weil das Wasser des Hauses, in dem die Leiche ruht, für unrein galt. So wird z. B., wo das Feuer „verunreinigt“ ist, von fernher anderes geholt: Plut. Quaest. Gr. 24; Aristid. 20). Es reinigten sich damit die das Haus wieder Ver- lassenden: Hesych. s. ἀρδάνια, s. πηγαῖον, πηγαῖον ὕδωρ. Ein Lorbeer- zweig (als Sprengwedel, wie gewöhnlich bei Lustrationen) lag darin: Schol. Eurip. Alcest. 98.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/219>, abgerufen am 04.05.2024.