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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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heit, die eben darum den Menschen schlechtweg entgegen-
gesetzt werden kann. Die Hauptgestalten, man kann sagen,
die vorbildlichen Vertreter dieser Heroenschaar sind Menschen,
deren Leben Sage oder Geschichte in ferne Vorzeit setzte,
Vorväter der später Lebenden. Nicht also Seelencult ist der
Heroendienst, sondern, in engerer Begrenzung, ein Ahnen-
cult
. Ihr Name schon, so scheint es, bezeichnet die "Heroen"
als Menschen der Vorzeit. In Ilias und Odyssee ist "Heros"
ehrenvolle Benennung der Fürsten, auch freier Männer über-
haupt 1). Die Poesie späterer Jahrhunderte, soweit sie sich
in der Erzählung von Ereignissen der sagenhaften Vorzeit
bewegt, führt auch das Wort Heros in diesem Sinne in ihrem
Sprachgebrauch weiter. Stellt sich aber, in nachhomerischer
Zeit, der Redende, Dichter oder Prosaiker, auf den Standpunct
seiner eigenen Gegenwart, so sind ihm Heroen, soweit er
lebende Menschen mit diesem Namen bezeichnet, Menschen
jener Zeiten, in denen, nach Ausweis der homerischen Ge-
dichte, dieser Ehrentitel unter Lebenden noch üblich gewesen
zu sein schien, d. h. Menschen der von den Dichtern gefeierten
Vergangenheit 2). In der hesiodischen Erzählung von den

1) Aristarchs Beobachtung, dass als eroes bei Homer nicht allein
die Könige, sondern pantes koinos bezeichnet werden, war gegen die
irrige Begrenzung des Namens durch Ister gerichtet: s. Lehrs, Aristarch.s
p. 101. Vor Aristarch scheint aber die irrthümliche Vorstellung, dass oi
egemones ton arkhaion monoi esan eroes, oi de laoi anthropoi allgemein ver-
breitet gewesen zu sein; sie wird geäussert in den Aristotelischen Pro-
blem.
19, 48 p. 922 b, 18, auch Rhianos theilte sie: s. Schol. T 41 (May-
hoff, de Rhiani stud. Homer. p. 46). -- Dass eros in den angeblich
"jüngeren" Theilen der Odyssee nicht mehr den freien Mann überhaupt,
sondern allein den Adlichen bezeichne (Fanta, Der Staat in Il. und Od.
17 f.), trifft nicht zu. d 268, th 242, x 97 ist eroes ehrende Bezeichnung
freier Männer vornehmen Standes, aber eine Beschränkung der An-
wendung dieser Benennung nur auf solche ist mit nichts angedeutet.
Zudem kommt eros in weiterer Bedeutung in eben solchen angeblich und
wirklich jüngeren Theilen des Gedichtes ganz unleugbar vor (a 272;
th 483; o 68 u. s. w.).
2) So z. B. überall, wo Pausanias von den kaloumenoi eroes redet:
5, 6, 2; 6, 5, 1; 7, 17, 1; 8, 12, 2; 10, 10, 1 u. s. w.

heit, die eben darum den Menschen schlechtweg entgegen-
gesetzt werden kann. Die Hauptgestalten, man kann sagen,
die vorbildlichen Vertreter dieser Heroenschaar sind Menschen,
deren Leben Sage oder Geschichte in ferne Vorzeit setzte,
Vorväter der später Lebenden. Nicht also Seelencult ist der
Heroendienst, sondern, in engerer Begrenzung, ein Ahnen-
cult
. Ihr Name schon, so scheint es, bezeichnet die „Heroen“
als Menschen der Vorzeit. In Ilias und Odyssee ist „Heros“
ehrenvolle Benennung der Fürsten, auch freier Männer über-
haupt 1). Die Poesie späterer Jahrhunderte, soweit sie sich
in der Erzählung von Ereignissen der sagenhaften Vorzeit
bewegt, führt auch das Wort Heros in diesem Sinne in ihrem
Sprachgebrauch weiter. Stellt sich aber, in nachhomerischer
Zeit, der Redende, Dichter oder Prosaiker, auf den Standpunct
seiner eigenen Gegenwart, so sind ihm Heroen, soweit er
lebende Menschen mit diesem Namen bezeichnet, Menschen
jener Zeiten, in denen, nach Ausweis der homerischen Ge-
dichte, dieser Ehrentitel unter Lebenden noch üblich gewesen
zu sein schien, d. h. Menschen der von den Dichtern gefeierten
Vergangenheit 2). In der hesiodischen Erzählung von den

1) Aristarchs Beobachtung, dass als ἥρωες bei Homer nicht allein
die Könige, sondern πάντες κοινῶς bezeichnet werden, war gegen die
irrige Begrenzung des Namens durch Ister gerichtet: s. Lehrs, Aristarch.s
p. 101. Vor Aristarch scheint aber die irrthümliche Vorstellung, dass οἱ
ἡγεμόνες τῶν ἀρχαίων μόνοι ἦσαν ἥρωες, οἱ δὲ λαοὶ ἄνϑρωποι allgemein ver-
breitet gewesen zu sein; sie wird geäussert in den Aristotelischen Pro-
blem.
19, 48 p. 922 b, 18, auch Rhianos theilte sie: s. Schol. T 41 (May-
hoff, de Rhiani stud. Homer. p. 46). — Dass ἥρως in den angeblich
„jüngeren“ Theilen der Odyssee nicht mehr den freien Mann überhaupt,
sondern allein den Adlichen bezeichne (Fanta, Der Staat in Il. und Od.
17 f.), trifft nicht zu. δ 268, ϑ 242, ξ 97 ist ἥρωες ehrende Bezeichnung
freier Männer vornehmen Standes, aber eine Beschränkung der An-
wendung dieser Benennung nur auf solche ist mit nichts angedeutet.
Zudem kommt ἥρως in weiterer Bedeutung in eben solchen angeblich und
wirklich jüngeren Theilen des Gedichtes ganz unleugbar vor (α 272;
ϑ 483; ω 68 u. s. w.).
2) So z. B. überall, wo Pausanias von den καλούμενοι ἥρωες redet:
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[144/0160] heit, die eben darum den Menschen schlechtweg entgegen- gesetzt werden kann. Die Hauptgestalten, man kann sagen, die vorbildlichen Vertreter dieser Heroenschaar sind Menschen, deren Leben Sage oder Geschichte in ferne Vorzeit setzte, Vorväter der später Lebenden. Nicht also Seelencult ist der Heroendienst, sondern, in engerer Begrenzung, ein Ahnen- cult. Ihr Name schon, so scheint es, bezeichnet die „Heroen“ als Menschen der Vorzeit. In Ilias und Odyssee ist „Heros“ ehrenvolle Benennung der Fürsten, auch freier Männer über- haupt 1). Die Poesie späterer Jahrhunderte, soweit sie sich in der Erzählung von Ereignissen der sagenhaften Vorzeit bewegt, führt auch das Wort Heros in diesem Sinne in ihrem Sprachgebrauch weiter. Stellt sich aber, in nachhomerischer Zeit, der Redende, Dichter oder Prosaiker, auf den Standpunct seiner eigenen Gegenwart, so sind ihm Heroen, soweit er lebende Menschen mit diesem Namen bezeichnet, Menschen jener Zeiten, in denen, nach Ausweis der homerischen Ge- dichte, dieser Ehrentitel unter Lebenden noch üblich gewesen zu sein schien, d. h. Menschen der von den Dichtern gefeierten Vergangenheit 2). In der hesiodischen Erzählung von den 1) Aristarchs Beobachtung, dass als ἥρωες bei Homer nicht allein die Könige, sondern πάντες κοινῶς bezeichnet werden, war gegen die irrige Begrenzung des Namens durch Ister gerichtet: s. Lehrs, Aristarch.s p. 101. Vor Aristarch scheint aber die irrthümliche Vorstellung, dass οἱ ἡγεμόνες τῶν ἀρχαίων μόνοι ἦσαν ἥρωες, οἱ δὲ λαοὶ ἄνϑρωποι allgemein ver- breitet gewesen zu sein; sie wird geäussert in den Aristotelischen Pro- blem. 19, 48 p. 922 b, 18, auch Rhianos theilte sie: s. Schol. T 41 (May- hoff, de Rhiani stud. Homer. p. 46). — Dass ἥρως in den angeblich „jüngeren“ Theilen der Odyssee nicht mehr den freien Mann überhaupt, sondern allein den Adlichen bezeichne (Fanta, Der Staat in Il. und Od. 17 f.), trifft nicht zu. δ 268, ϑ 242, ξ 97 ist ἥρωες ehrende Bezeichnung freier Männer vornehmen Standes, aber eine Beschränkung der An- wendung dieser Benennung nur auf solche ist mit nichts angedeutet. Zudem kommt ἥρως in weiterer Bedeutung in eben solchen angeblich und wirklich jüngeren Theilen des Gedichtes ganz unleugbar vor (α 272; ϑ 483; ω 68 u. s. w.). 2) So z. B. überall, wo Pausanias von den καλούμενοι ἥρωες redet: 5, 6, 2; 6, 5, 1; 7, 17, 1; 8, 12, 2; 10, 10, 1 u. s. w.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/160>, abgerufen am 24.11.2024.