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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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schen Göttern verwandten Dämons deutlich hervortreten. Auf
den Bildwerken des Altars war denn auch als seine Schwester
dargestellt Polyboia, eine der Persephone ähnliche unterweltliche
Gottheit 1). Hyakinthos war ein alter, unter der Erde hausender
Localgott der Amykläischen Landschaft, sein Dienst in Amyklae
älter als der des Apollo. Aber seine Gestalt ist verblasst, der
olympische Gott, der sich (vielleicht erst nach der dorischen
Eroberung des achäischen Landes) neben und über dem alten
Erdgeiste festgesetzt hat, überstrahlt ihn, ohne doch seine Ver-
ehrung ganz zu verdrängen; sein göttliches Leben in der Tiefe
kann sich die spätere Zeit nur wie das Fortleben der Psyche
eines sterblichen und gestorbenen Heros denken, dessen Leib
im "Grabe" ruht unter dem Bilde des Gottes, den, um die
enge Cultgemeinschaft zu erklären, Dichtersage zu seinem Lieb-
haber macht, wie sie denselben Gott aus ganz ähnlichem Grunde
zum Liebhaber der Daphne gemacht hat 2).

den paian, von dem Xenophon Hell. 4, 5, 11 redet). Den heiteren
Charakter der Festbegehungen an diesem zweiten Tage kann man unmög-
lich mit Ungar, Philol. 37, 30, in der Beschreibung des Polykrates bei
Athen. 139 E. F. verkennen. Allerdings redet Didymus (dessen Worte
Athenaeus ausschreibt) am Anfang (139 D) so, dass man zu dem Glauben
verführt werden könnte, alle drei Tage der ton `Uakinthion thusia seien,
dia to penthos to genomenon (ginomenon?) peri ton `Uakinthon, ohne Lustbar-
keit, ohne Kränze, reicheres Mahl, ohne Päan u. s. w. verflossen. Aber
er widerlegt sich eben selber in der Schilderung des zweiten Tages, an
dem nicht nur bei den Aufführungen, sondern auch bei den Opfern und
Mahlen (139 F) Lust herrscht. Man wird also glauben müssen, dass sein
Ausdruck am Anfang ungenau ist, und er verstanden wissen will, dass,
was er von der Ernsthaftigkeit "wegen der Trauer um Hyakinthos"
sagt, sich, wie jene Trauer selbst, auf den ersten Tag des Festes
beschränke.
1) Hesych. Poluboia ; theos tis up enion men Artemis, upo de allon
Kore. Vgl. K. O. Müller, Dorier 1, 358 (Artemis wohl als Hekate).
2) Eine andere Deutung des in Amyklae vereinigten Cultus des
Apoll und des Hyakinthos giebt Enmann, Kypros u. s. w. p. 35, hier und
anderswo von gewissen, aus H. D. Müllers mythologischen Schriften
übernommenen Anschauungen ausgehend, die man im Allgemeinen für
richtig halten müsste, um ihre Anwendung auf einzelne Fälle einleuchtend
zu finden.
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schen Göttern verwandten Dämons deutlich hervortreten. Auf
den Bildwerken des Altars war denn auch als seine Schwester
dargestellt Polyboia, eine der Persephone ähnliche unterweltliche
Gottheit 1). Hyakinthos war ein alter, unter der Erde hausender
Localgott der Amykläischen Landschaft, sein Dienst in Amyklae
älter als der des Apollo. Aber seine Gestalt ist verblasst, der
olympische Gott, der sich (vielleicht erst nach der dorischen
Eroberung des achäischen Landes) neben und über dem alten
Erdgeiste festgesetzt hat, überstrahlt ihn, ohne doch seine Ver-
ehrung ganz zu verdrängen; sein göttliches Leben in der Tiefe
kann sich die spätere Zeit nur wie das Fortleben der Psyche
eines sterblichen und gestorbenen Heros denken, dessen Leib
im „Grabe“ ruht unter dem Bilde des Gottes, den, um die
enge Cultgemeinschaft zu erklären, Dichtersage zu seinem Lieb-
haber macht, wie sie denselben Gott aus ganz ähnlichem Grunde
zum Liebhaber der Daphne gemacht hat 2).

den παιάν, von dem Xenophon Hell. 4, 5, 11 redet). Den heiteren
Charakter der Festbegehungen an diesem zweiten Tage kann man unmög-
lich mit Ungar, Philol. 37, 30, in der Beschreibung des Polykrates bei
Athen. 139 E. F. verkennen. Allerdings redet Didymus (dessen Worte
Athenaeus ausschreibt) am Anfang (139 D) so, dass man zu dem Glauben
verführt werden könnte, alle drei Tage der τῶν ῾ϒακινϑίων ϑυσία seien,
διὰ τὸ πένϑος τὸ γενόμενον (γινόμενον?) περὶ τὸν ῾ϒάκινϑον, ohne Lustbar-
keit, ohne Kränze, reicheres Mahl, ohne Päan u. s. w. verflossen. Aber
er widerlegt sich eben selber in der Schilderung des zweiten Tages, an
dem nicht nur bei den Aufführungen, sondern auch bei den Opfern und
Mahlen (139 F) Lust herrscht. Man wird also glauben müssen, dass sein
Ausdruck am Anfang ungenau ist, und er verstanden wissen will, dass,
was er von der Ernsthaftigkeit „wegen der Trauer um Hyakinthos“
sagt, sich, wie jene Trauer selbst, auf den ersten Tag des Festes
beschränke.
1) Hesych. Πολύβοια · ϑεός τις ὑπ̕ ἐνίων μὲν Ἄρτεμις, ὑπὸ δὲ ἄλλων
Κόρη. Vgl. K. O. Müller, Dorier 1, 358 (Ἄρτεμις wohl als Hekate).
2) Eine andere Deutung des in Amyklae vereinigten Cultus des
Apoll und des Hyakinthos giebt Enmann, Kypros u. s. w. p. 35, hier und
anderswo von gewissen, aus H. D. Müllers mythologischen Schriften
übernommenen Anschauungen ausgehend, die man im Allgemeinen für
richtig halten müsste, um ihre Anwendung auf einzelne Fälle einleuchtend
zu finden.
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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/147>, abgerufen am 02.05.2024.