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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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in einer Aufzählung der Geschlechter früherer Menschen die
Gestalten der heroischen Dichtung zu übergehen, die durch
die Macht des Gesanges für die Phantasie der Griechen mehr
Realität angenommen hatten als die Erscheinungen der derbsten
Wirklichkeit; oder dass er einer finsteren Abbildung der he-
roischen Periode, wie sie in der Schilderung des ehernen Ge-
schlechts von einem anderen Standpuncte, als dem des adels-
freundlichen Epos entworfen war, jenes verklärte Bild eben
jener Periode an die Seite stellen wollte, wie es ihm vor der
Seele schwebte. Bezieht sich wirklich die Schilderung des
ehernen Zeitalters auf die Heroenzeit, gleichsam deren Kehr-
seite darstellend 1), so scheint doch Hesiod das nicht gemerkt
zu haben. Er hat stärkere Gründe als die angeführten für
die Einschiebung seiner Schilderung gehabt. Er kann nicht
übersehen haben, dass er den folgerechten Gang der moralischen
Entartung durch Einschiebung des heroischen Geschlechts
unterbrach; wenn er diese Einschiebung doch für nothwendig
oder zulässig hielt, so muss er mit seiner Erzählung noch
einen anderen Zweck als die Darlegung der moralischen Ent-
artung verfolgt haben, den er durch Einschiebung dieses neuen
Abschnittes zu fördern meinte. Diesen Zweck wird man er-
kennen, wenn man zusieht, was eigentlich an dem heroischen
Geschlechte den Dichter interessirt. Es ist nicht seine, im
Verlaufe der moralisch immer tiefer absteigenden Geschlechter-
folge nur störende höhere Moralität: sonst würde er diese
nicht mit zwei Worten, die eben nur zur äusserlichen Ein-
fügung dieses Berichtes in die moralische Geschichtsentwicklung
genügen, abgethan haben. Es sind auch nicht die Kämpfe
und Thaten um Theben und Troja, von deren Herrlichkeit er
nichts sagt, während er gleich ankündigt, dass der schlimme
Krieg und das grause Getümmel die Helden vernichtete. Dies

1) Der Gedanke, dass das eherne Zeitalter eigentlich mit dem heroi-
schen identisch sei (so z. B. Steitz, Die W. und T. des Hesiod, p. 61)
hat etwas Frappirendes; man bemerkt aber bald, dass er sich bei ge-
nauerer Betrachtung nicht festhalten und durchführen lässt.

in einer Aufzählung der Geschlechter früherer Menschen die
Gestalten der heroischen Dichtung zu übergehen, die durch
die Macht des Gesanges für die Phantasie der Griechen mehr
Realität angenommen hatten als die Erscheinungen der derbsten
Wirklichkeit; oder dass er einer finsteren Abbildung der he-
roischen Periode, wie sie in der Schilderung des ehernen Ge-
schlechts von einem anderen Standpuncte, als dem des adels-
freundlichen Epos entworfen war, jenes verklärte Bild eben
jener Periode an die Seite stellen wollte, wie es ihm vor der
Seele schwebte. Bezieht sich wirklich die Schilderung des
ehernen Zeitalters auf die Heroenzeit, gleichsam deren Kehr-
seite darstellend 1), so scheint doch Hesiod das nicht gemerkt
zu haben. Er hat stärkere Gründe als die angeführten für
die Einschiebung seiner Schilderung gehabt. Er kann nicht
übersehen haben, dass er den folgerechten Gang der moralischen
Entartung durch Einschiebung des heroischen Geschlechts
unterbrach; wenn er diese Einschiebung doch für nothwendig
oder zulässig hielt, so muss er mit seiner Erzählung noch
einen anderen Zweck als die Darlegung der moralischen Ent-
artung verfolgt haben, den er durch Einschiebung dieses neuen
Abschnittes zu fördern meinte. Diesen Zweck wird man er-
kennen, wenn man zusieht, was eigentlich an dem heroischen
Geschlechte den Dichter interessirt. Es ist nicht seine, im
Verlaufe der moralisch immer tiefer absteigenden Geschlechter-
folge nur störende höhere Moralität: sonst würde er diese
nicht mit zwei Worten, die eben nur zur äusserlichen Ein-
fügung dieses Berichtes in die moralische Geschichtsentwicklung
genügen, abgethan haben. Es sind auch nicht die Kämpfe
und Thaten um Theben und Troja, von deren Herrlichkeit er
nichts sagt, während er gleich ankündigt, dass der schlimme
Krieg und das grause Getümmel die Helden vernichtete. Dies

1) Der Gedanke, dass das eherne Zeitalter eigentlich mit dem heroi-
schen identisch sei (so z. B. Steitz, Die W. und T. des Hesiod, p. 61)
hat etwas Frappirendes; man bemerkt aber bald, dass er sich bei ge-
nauerer Betrachtung nicht festhalten und durchführen lässt.
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[88/0104] in einer Aufzählung der Geschlechter früherer Menschen die Gestalten der heroischen Dichtung zu übergehen, die durch die Macht des Gesanges für die Phantasie der Griechen mehr Realität angenommen hatten als die Erscheinungen der derbsten Wirklichkeit; oder dass er einer finsteren Abbildung der he- roischen Periode, wie sie in der Schilderung des ehernen Ge- schlechts von einem anderen Standpuncte, als dem des adels- freundlichen Epos entworfen war, jenes verklärte Bild eben jener Periode an die Seite stellen wollte, wie es ihm vor der Seele schwebte. Bezieht sich wirklich die Schilderung des ehernen Zeitalters auf die Heroenzeit, gleichsam deren Kehr- seite darstellend 1), so scheint doch Hesiod das nicht gemerkt zu haben. Er hat stärkere Gründe als die angeführten für die Einschiebung seiner Schilderung gehabt. Er kann nicht übersehen haben, dass er den folgerechten Gang der moralischen Entartung durch Einschiebung des heroischen Geschlechts unterbrach; wenn er diese Einschiebung doch für nothwendig oder zulässig hielt, so muss er mit seiner Erzählung noch einen anderen Zweck als die Darlegung der moralischen Ent- artung verfolgt haben, den er durch Einschiebung dieses neuen Abschnittes zu fördern meinte. Diesen Zweck wird man er- kennen, wenn man zusieht, was eigentlich an dem heroischen Geschlechte den Dichter interessirt. Es ist nicht seine, im Verlaufe der moralisch immer tiefer absteigenden Geschlechter- folge nur störende höhere Moralität: sonst würde er diese nicht mit zwei Worten, die eben nur zur äusserlichen Ein- fügung dieses Berichtes in die moralische Geschichtsentwicklung genügen, abgethan haben. Es sind auch nicht die Kämpfe und Thaten um Theben und Troja, von deren Herrlichkeit er nichts sagt, während er gleich ankündigt, dass der schlimme Krieg und das grause Getümmel die Helden vernichtete. Dies 1) Der Gedanke, dass das eherne Zeitalter eigentlich mit dem heroi- schen identisch sei (so z. B. Steitz, Die W. und T. des Hesiod, p. 61) hat etwas Frappirendes; man bemerkt aber bald, dass er sich bei ge- nauerer Betrachtung nicht festhalten und durchführen lässt.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/104>, abgerufen am 23.11.2024.