Noch neuerlich vertheidigt der Verfasser des Lehrbegriffs der Cameral-Wissenschaften die Möglichkeit der Verwandlung in seinen ver- mischten Verbesserungsvorschlägen und freyen Gedanken über den Nahrungsstand: allein er hälts für unnütz; unstreitig hat er den blos et- was veränderten Hafer für Korn gehalten.
Man hat Hafer, welchen man so gleich wie Korn mahlen kann, ohne ihn erst von Spelzen und Spitzen zu befreyen nöthig zu haben. Die größten Naturforscher sind gegen die Verwand- lung, weil sich kein Grund der Möglichkeit ein- sehen läßt, und die Versuche, so wahr sie auch immer seyn können, nicht genug beweisen; im- mer hat man vielleicht mehr daraus gefolgert als man sollte. Das Samenkorn enthält alle wesentliche Theile der Frucht; wie kann hier eine Verwandlung blos durch die vermehrte Nahrung geschehen? sollen sich alle kleine Ge- fäße die der Saft und dichten Theile bilden hierdurch ändern, um eine andere Frucht her- vor zu bringen? Ich berufe mich hier auf den Ausspruch eines der ersten Naturforscher, des Hrn. Bonnet. "Man hat, sagt er, in seinen Be- trachtungen über die Natur, die Ausartung verschiedener Gattungen behauptet; man ist so- gar so weit gegangen, und hat angenommen, daß sich gewisse Arten in andere, der Weizen in Spelt, der Hafer in Roggen verwandele. Man hat sich auf die Erfahrung berufen, und einige Physiker von Profeßion haben ohne Erröthung
Ver-
Noch neuerlich vertheidigt der Verfaſſer des Lehrbegriffs der Cameral-Wiſſenſchaften die Moͤglichkeit der Verwandlung in ſeinen ver- miſchten Verbeſſerungsvorſchlaͤgen und freyen Gedanken uͤber den Nahrungsſtand: allein er haͤlts fuͤr unnuͤtz; unſtreitig hat er den blos et- was veraͤnderten Hafer fuͤr Korn gehalten.
Man hat Hafer, welchen man ſo gleich wie Korn mahlen kann, ohne ihn erſt von Spelzen und Spitzen zu befreyen noͤthig zu haben. Die groͤßten Naturforſcher ſind gegen die Verwand- lung, weil ſich kein Grund der Moͤglichkeit ein- ſehen laͤßt, und die Verſuche, ſo wahr ſie auch immer ſeyn koͤnnen, nicht genug beweiſen; im- mer hat man vielleicht mehr daraus gefolgert als man ſollte. Das Samenkorn enthaͤlt alle weſentliche Theile der Frucht; wie kann hier eine Verwandlung blos durch die vermehrte Nahrung geſchehen? ſollen ſich alle kleine Ge- faͤße die der Saft und dichten Theile bilden hierdurch aͤndern, um eine andere Frucht her- vor zu bringen? Ich berufe mich hier auf den Ausſpruch eines der erſten Naturforſcher, des Hrn. Bonnet. „Man hat, ſagt er, in ſeinen Be- trachtungen uͤber die Natur, die Ausartung verſchiedener Gattungen behauptet; man iſt ſo- gar ſo weit gegangen, und hat angenommen, daß ſich gewiſſe Arten in andere, der Weizen in Spelt, der Hafer in Roggen verwandele. Man hat ſich auf die Erfahrung berufen, und einige Phyſiker von Profeßion haben ohne Erroͤthung
Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0160"n="134"/><p>Noch neuerlich vertheidigt der Verfaſſer des<lb/>
Lehrbegriffs der Cameral-Wiſſenſchaften die<lb/>
Moͤglichkeit der Verwandlung in ſeinen ver-<lb/>
miſchten Verbeſſerungsvorſchlaͤgen und freyen<lb/>
Gedanken uͤber den Nahrungsſtand: allein er<lb/>
haͤlts fuͤr unnuͤtz; unſtreitig hat er den blos et-<lb/>
was veraͤnderten Hafer fuͤr Korn gehalten.</p><lb/><p>Man hat Hafer, welchen man ſo gleich wie<lb/>
Korn mahlen kann, ohne ihn erſt von Spelzen<lb/>
und Spitzen zu befreyen noͤthig zu haben. Die<lb/>
groͤßten Naturforſcher ſind gegen die Verwand-<lb/>
lung, weil ſich kein Grund der Moͤglichkeit ein-<lb/>ſehen laͤßt, und die Verſuche, ſo wahr ſie auch<lb/>
immer ſeyn koͤnnen, nicht genug beweiſen; im-<lb/>
mer hat man vielleicht mehr daraus gefolgert<lb/>
als man ſollte. Das Samenkorn enthaͤlt alle<lb/>
weſentliche Theile der Frucht; wie kann hier<lb/>
eine Verwandlung blos durch die vermehrte<lb/>
Nahrung geſchehen? ſollen ſich alle kleine Ge-<lb/>
faͤße die der Saft und dichten Theile bilden<lb/>
hierdurch aͤndern, um eine andere Frucht her-<lb/>
vor zu bringen? Ich berufe mich hier auf den<lb/>
Ausſpruch eines der erſten Naturforſcher, des<lb/>
Hrn. Bonnet. „Man hat, ſagt er, in ſeinen Be-<lb/>
trachtungen uͤber die Natur, die Ausartung<lb/>
verſchiedener Gattungen behauptet; man iſt ſo-<lb/>
gar ſo weit gegangen, und hat angenommen,<lb/>
daß ſich gewiſſe Arten in andere, der Weizen in<lb/>
Spelt, der Hafer in Roggen verwandele. Man<lb/>
hat ſich auf die Erfahrung berufen, und einige<lb/>
Phyſiker von Profeßion haben ohne Erroͤthung<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ver-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[134/0160]
Noch neuerlich vertheidigt der Verfaſſer des
Lehrbegriffs der Cameral-Wiſſenſchaften die
Moͤglichkeit der Verwandlung in ſeinen ver-
miſchten Verbeſſerungsvorſchlaͤgen und freyen
Gedanken uͤber den Nahrungsſtand: allein er
haͤlts fuͤr unnuͤtz; unſtreitig hat er den blos et-
was veraͤnderten Hafer fuͤr Korn gehalten.
Man hat Hafer, welchen man ſo gleich wie
Korn mahlen kann, ohne ihn erſt von Spelzen
und Spitzen zu befreyen noͤthig zu haben. Die
groͤßten Naturforſcher ſind gegen die Verwand-
lung, weil ſich kein Grund der Moͤglichkeit ein-
ſehen laͤßt, und die Verſuche, ſo wahr ſie auch
immer ſeyn koͤnnen, nicht genug beweiſen; im-
mer hat man vielleicht mehr daraus gefolgert
als man ſollte. Das Samenkorn enthaͤlt alle
weſentliche Theile der Frucht; wie kann hier
eine Verwandlung blos durch die vermehrte
Nahrung geſchehen? ſollen ſich alle kleine Ge-
faͤße die der Saft und dichten Theile bilden
hierdurch aͤndern, um eine andere Frucht her-
vor zu bringen? Ich berufe mich hier auf den
Ausſpruch eines der erſten Naturforſcher, des
Hrn. Bonnet. „Man hat, ſagt er, in ſeinen Be-
trachtungen uͤber die Natur, die Ausartung
verſchiedener Gattungen behauptet; man iſt ſo-
gar ſo weit gegangen, und hat angenommen,
daß ſich gewiſſe Arten in andere, der Weizen in
Spelt, der Hafer in Roggen verwandele. Man
hat ſich auf die Erfahrung berufen, und einige
Phyſiker von Profeßion haben ohne Erroͤthung
Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rössig, Carl Gottlob: Versuch einer pragmatischen Geschichte der Ökonomie- Polizey- und Cameralwissenschaften. Deutschland. Bd. 1. Leipzig, 1781, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roessig_oekonomie01_1781/160>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.