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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Partheigängern besetzt. Unter diesen ragte in mehr als einer
Beziehung Branicki hervor. Der letzte männliche Sproß
seiner Familie, persönlich mehrere Jahre älter als die
Brüder Czartoryski (geboren 1688) und reich begütert, hatte er
seine gewöhnliche Residenz in Bialystock, wo er in prachtvollem
Schloß mit fürstlichem Glanze lebte 1). In seiner Jugend
hatte er in französischen Kriegsdiensten sich Ruf erworben,
und bewahrte seitdem sein Lebenlang eine entschiedene Vorliebe
für Frankreich und die Franzosen. Nach Polen zurückgekehrt, stieg
er dann auf der Stufenleiter der Würden der Republik empor
und stand, obwohl er dem Luxus aller Art, auch dem Genuß der
Frauen lebhaft ergeben war, in allgemeiner Achtung und hohem
Ansehen. Er galt lange als einer der besten Patrioten und
als reiner und fester Character. In der That und Wahrheit
aber war er eben so wenig frei von Eitelkeit und Eigensucht
als von Schwäche. Der Schmeichelei zugänglich, unterlag er
um so mehr ihrer Verführung, je weniger scharf sein Blick
für Menschen und Dinge war. Noch als 75 jähriger ließ er
sich nach dem Tode August III. zu dem Glauben verleiten, er
könne dessen Nachfolger auf dem Throne werden, zeigte sich
aber während der ganzen Krisis des Interregnums durchaus
ohne Entschiedenheit, in seinem Wollen und Thun schwankend
und durchaus untauglich zum politischen und militärischen
Führer, zu welchem ihn die Gegner der Czartoryski damals
erhoben. Gewiß trug hiezu sein hohes Alter wesentlich bei;
aber auch bereits früher hatte sich bei ihm der Mangel an
Entschiedenheit wie seine Eigensucht offenbart. Als im Jahre
1749 die "Familie" dem fast 60 jährigen die junge und
schöne Isabella Poniatowska zur Frau gab, hofften sie wohl eben
deshalb ihn dauernd leiten zu können. Nur zu bald aber
machten sie die Erfahrung, daß auf ihn kein sicherer Verlaß sei 2).

1) Graf Broglie, der als französischer Gesandter im Jahre 1752 und
öfter in Bialystock war, schätzte die Einkünfte Branicki's auf 1,200000
Livres jährlich. Revue des deux mondes 1870, Vol. 87.
2) Rulhiere's Characteristik I, 214 ist stark partheiisch. Viel
unpartheiischer hat ihn Nabielak, selbst ein entschiedener Gegner der
6*

Partheigängern beſetzt. Unter dieſen ragte in mehr als einer
Beziehung Branicki hervor. Der letzte männliche Sproß
ſeiner Familie, perſönlich mehrere Jahre älter als die
Brüder Czartoryski (geboren 1688) und reich begütert, hatte er
ſeine gewöhnliche Reſidenz in Bialyſtock, wo er in prachtvollem
Schloß mit fürſtlichem Glanze lebte 1). In ſeiner Jugend
hatte er in franzöſiſchen Kriegsdienſten ſich Ruf erworben,
und bewahrte ſeitdem ſein Lebenlang eine entſchiedene Vorliebe
für Frankreich und die Franzoſen. Nach Polen zurückgekehrt, ſtieg
er dann auf der Stufenleiter der Würden der Republik empor
und ſtand, obwohl er dem Luxus aller Art, auch dem Genuß der
Frauen lebhaft ergeben war, in allgemeiner Achtung und hohem
Anſehen. Er galt lange als einer der beſten Patrioten und
als reiner und feſter Character. In der That und Wahrheit
aber war er eben ſo wenig frei von Eitelkeit und Eigenſucht
als von Schwäche. Der Schmeichelei zugänglich, unterlag er
um ſo mehr ihrer Verführung, je weniger ſcharf ſein Blick
für Menſchen und Dinge war. Noch als 75 jähriger ließ er
ſich nach dem Tode Auguſt III. zu dem Glauben verleiten, er
könne deſſen Nachfolger auf dem Throne werden, zeigte ſich
aber während der ganzen Kriſis des Interregnums durchaus
ohne Entſchiedenheit, in ſeinem Wollen und Thun ſchwankend
und durchaus untauglich zum politiſchen und militäriſchen
Führer, zu welchem ihn die Gegner der Czartoryski damals
erhoben. Gewiß trug hiezu ſein hohes Alter weſentlich bei;
aber auch bereits früher hatte ſich bei ihm der Mangel an
Entſchiedenheit wie ſeine Eigenſucht offenbart. Als im Jahre
1749 die „Familie“ dem faſt 60 jährigen die junge und
ſchöne Iſabella Poniatowska zur Frau gab, hofften ſie wohl eben
deshalb ihn dauernd leiten zu können. Nur zu bald aber
machten ſie die Erfahrung, daß auf ihn kein ſicherer Verlaß ſei 2).

1) Graf Broglie, der als franzöſiſcher Geſandter im Jahre 1752 und
öfter in Bialyſtock war, ſchätzte die Einkünfte Branicki’s auf 1,200000
Livres jährlich. Revue des deux mondes 1870, Vol. 87.
2) Rulhiere’s Characteriſtik I, 214 iſt ſtark partheiiſch. Viel
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[83/0097] Partheigängern beſetzt. Unter dieſen ragte in mehr als einer Beziehung Branicki hervor. Der letzte männliche Sproß ſeiner Familie, perſönlich mehrere Jahre älter als die Brüder Czartoryski (geboren 1688) und reich begütert, hatte er ſeine gewöhnliche Reſidenz in Bialyſtock, wo er in prachtvollem Schloß mit fürſtlichem Glanze lebte 1). In ſeiner Jugend hatte er in franzöſiſchen Kriegsdienſten ſich Ruf erworben, und bewahrte ſeitdem ſein Lebenlang eine entſchiedene Vorliebe für Frankreich und die Franzoſen. Nach Polen zurückgekehrt, ſtieg er dann auf der Stufenleiter der Würden der Republik empor und ſtand, obwohl er dem Luxus aller Art, auch dem Genuß der Frauen lebhaft ergeben war, in allgemeiner Achtung und hohem Anſehen. Er galt lange als einer der beſten Patrioten und als reiner und feſter Character. In der That und Wahrheit aber war er eben ſo wenig frei von Eitelkeit und Eigenſucht als von Schwäche. Der Schmeichelei zugänglich, unterlag er um ſo mehr ihrer Verführung, je weniger ſcharf ſein Blick für Menſchen und Dinge war. Noch als 75 jähriger ließ er ſich nach dem Tode Auguſt III. zu dem Glauben verleiten, er könne deſſen Nachfolger auf dem Throne werden, zeigte ſich aber während der ganzen Kriſis des Interregnums durchaus ohne Entſchiedenheit, in ſeinem Wollen und Thun ſchwankend und durchaus untauglich zum politiſchen und militäriſchen Führer, zu welchem ihn die Gegner der Czartoryski damals erhoben. Gewiß trug hiezu ſein hohes Alter weſentlich bei; aber auch bereits früher hatte ſich bei ihm der Mangel an Entſchiedenheit wie ſeine Eigenſucht offenbart. Als im Jahre 1749 die „Familie“ dem faſt 60 jährigen die junge und ſchöne Iſabella Poniatowska zur Frau gab, hofften ſie wohl eben deshalb ihn dauernd leiten zu können. Nur zu bald aber machten ſie die Erfahrung, daß auf ihn kein ſicherer Verlaß ſei 2). 1) Graf Broglie, der als franzöſiſcher Geſandter im Jahre 1752 und öfter in Bialyſtock war, ſchätzte die Einkünfte Branicki’s auf 1,200000 Livres jährlich. Revue des deux mondes 1870, Vol. 87. 2) Rulhiere’s Characteriſtik I, 214 iſt ſtark partheiiſch. Viel unpartheiiſcher hat ihn Nabielak, ſelbſt ein entſchiedener Gegner der 6*

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/97>, abgerufen am 22.11.2024.