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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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sich lag in alledem kein Unrecht. Wurde doch jedem polnischen
Edelmann von Kindesbeinen an gesagt, daß auch er dermaleinst
König werden könne, daß die Kronwahl das größte Palladium
der nationalen Freiheit sei.

Die ganze Generation aber der anderen großen Familien,
die sie umgab, stand an Geist und Talent, an Wissen und
Können, an politischer und sittlicher Bildung, tief unter ihnen,
und während die Potocki und Radzivil u. s. w. vor allem nur
an sich und ihre selbstsüchtigen Interessen dachten, verbanden
sie mit ihrem Interesse doch auch zugleich das Interesse des
Vaterlandes, dessen heillose Schäden und Gebrechen sie durch
eine durchgreifende Reform zu heilen gedachten. Wer ihr
Leben und Wirken als Ganzes betrachtet und wägt, kann
schwerlich sagen, daß sie die Macht nur um der Macht willen
erstrebt, und ebenso wenig, daß sie ihnen nur Mittel zum
Zweck war. Wie einmal die Lage der Dinge in Polen, die
Stellung ihrer Familie in der Republik waren, blieb ihnen in
der That nur die Wahl, Hammer oder Ambos zu sein. Ist
es ihnen als Schuld anzurechnen, daß sie lieber das Erstere
als das Letztere sein wollten? daß sie hiezu die Wege ein-
schlugen und die Mittel ergriffen, ohne welche sie bei der ge-
samten Natur der Republik, bei dem Character, der Denk-
und Lebensweise ihrer Nation auf diese nicht einzuwirken, ihrer
Gegner nicht Herr zu werden vermocht hätten? Gewiß, es
ist wahr, daß sie ganz eben so wie die Anderen, in ihrem Kampf
auch ihrerseits die Mittel der Bestechung und Gewalt nicht ver-
schmähten, daß sie die schlagfertigsten und verrufensten Rauf-
bolde, die sogenannten Wolczynskischen Wölfe 1), in ihrem Dienst
hielten, so oft es ihnen nothwendig schien, die Land- und Reichs-
tage sprengen, die Tribunale mit Gewalt einsetzen ließen, und
sich auf die russische Macht stützten. Aber nicht sie zuerst haben
die Russen nach Polen gerufen. Bevor sie sich ihnen anschlossen,
hatten sie bereits zweimal die Erfahrung gemacht (1717 und
1733), daß sich in Polen gegen den Willen Rußlands dauernd

1) Sie hatten ihren Namen von einem der Czartoryskischen Güter.

ſich lag in alledem kein Unrecht. Wurde doch jedem polniſchen
Edelmann von Kindesbeinen an geſagt, daß auch er dermaleinſt
König werden könne, daß die Kronwahl das größte Palladium
der nationalen Freiheit ſei.

Die ganze Generation aber der anderen großen Familien,
die ſie umgab, ſtand an Geiſt und Talent, an Wiſſen und
Können, an politiſcher und ſittlicher Bildung, tief unter ihnen,
und während die Potocki und Radzivil u. ſ. w. vor allem nur
an ſich und ihre ſelbſtſüchtigen Intereſſen dachten, verbanden
ſie mit ihrem Intereſſe doch auch zugleich das Intereſſe des
Vaterlandes, deſſen heilloſe Schäden und Gebrechen ſie durch
eine durchgreifende Reform zu heilen gedachten. Wer ihr
Leben und Wirken als Ganzes betrachtet und wägt, kann
ſchwerlich ſagen, daß ſie die Macht nur um der Macht willen
erſtrebt, und ebenſo wenig, daß ſie ihnen nur Mittel zum
Zweck war. Wie einmal die Lage der Dinge in Polen, die
Stellung ihrer Familie in der Republik waren, blieb ihnen in
der That nur die Wahl, Hammer oder Ambos zu ſein. Iſt
es ihnen als Schuld anzurechnen, daß ſie lieber das Erſtere
als das Letztere ſein wollten? daß ſie hiezu die Wege ein-
ſchlugen und die Mittel ergriffen, ohne welche ſie bei der ge-
ſamten Natur der Republik, bei dem Character, der Denk-
und Lebensweiſe ihrer Nation auf dieſe nicht einzuwirken, ihrer
Gegner nicht Herr zu werden vermocht hätten? Gewiß, es
iſt wahr, daß ſie ganz eben ſo wie die Anderen, in ihrem Kampf
auch ihrerſeits die Mittel der Beſtechung und Gewalt nicht ver-
ſchmähten, daß ſie die ſchlagfertigſten und verrufenſten Rauf-
bolde, die ſogenannten Wolczynskiſchen Wölfe 1), in ihrem Dienſt
hielten, ſo oft es ihnen nothwendig ſchien, die Land- und Reichs-
tage ſprengen, die Tribunale mit Gewalt einſetzen ließen, und
ſich auf die ruſſiſche Macht ſtützten. Aber nicht ſie zuerſt haben
die Ruſſen nach Polen gerufen. Bevor ſie ſich ihnen anſchloſſen,
hatten ſie bereits zweimal die Erfahrung gemacht (1717 und
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[54/0068] ſich lag in alledem kein Unrecht. Wurde doch jedem polniſchen Edelmann von Kindesbeinen an geſagt, daß auch er dermaleinſt König werden könne, daß die Kronwahl das größte Palladium der nationalen Freiheit ſei. Die ganze Generation aber der anderen großen Familien, die ſie umgab, ſtand an Geiſt und Talent, an Wiſſen und Können, an politiſcher und ſittlicher Bildung, tief unter ihnen, und während die Potocki und Radzivil u. ſ. w. vor allem nur an ſich und ihre ſelbſtſüchtigen Intereſſen dachten, verbanden ſie mit ihrem Intereſſe doch auch zugleich das Intereſſe des Vaterlandes, deſſen heilloſe Schäden und Gebrechen ſie durch eine durchgreifende Reform zu heilen gedachten. Wer ihr Leben und Wirken als Ganzes betrachtet und wägt, kann ſchwerlich ſagen, daß ſie die Macht nur um der Macht willen erſtrebt, und ebenſo wenig, daß ſie ihnen nur Mittel zum Zweck war. Wie einmal die Lage der Dinge in Polen, die Stellung ihrer Familie in der Republik waren, blieb ihnen in der That nur die Wahl, Hammer oder Ambos zu ſein. Iſt es ihnen als Schuld anzurechnen, daß ſie lieber das Erſtere als das Letztere ſein wollten? daß ſie hiezu die Wege ein- ſchlugen und die Mittel ergriffen, ohne welche ſie bei der ge- ſamten Natur der Republik, bei dem Character, der Denk- und Lebensweiſe ihrer Nation auf dieſe nicht einzuwirken, ihrer Gegner nicht Herr zu werden vermocht hätten? Gewiß, es iſt wahr, daß ſie ganz eben ſo wie die Anderen, in ihrem Kampf auch ihrerſeits die Mittel der Beſtechung und Gewalt nicht ver- ſchmähten, daß ſie die ſchlagfertigſten und verrufenſten Rauf- bolde, die ſogenannten Wolczynskiſchen Wölfe 1), in ihrem Dienſt hielten, ſo oft es ihnen nothwendig ſchien, die Land- und Reichs- tage ſprengen, die Tribunale mit Gewalt einſetzen ließen, und ſich auf die ruſſiſche Macht ſtützten. Aber nicht ſie zuerſt haben die Ruſſen nach Polen gerufen. Bevor ſie ſich ihnen anſchloſſen, hatten ſie bereits zweimal die Erfahrung gemacht (1717 und 1733), daß ſich in Polen gegen den Willen Rußlands dauernd 1) Sie hatten ihren Namen von einem der Czartoryskiſchen Güter.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/68>, abgerufen am 27.11.2024.