Die nothwendigen Folgen eines solchen sorglosen in den Tag Hineinlebens blieben nicht aus. Garczynski leitete bereits um die Mitte des Jahrhunderts aus diesem Leben in Müßig- gang und Genußsucht den fast allgemeinen Mangel an Ord- nung und Sparsamkeit her, und tadelte auf das lebhafteste die Verschwendung des Adels, der für seine armen, im bittersten Elend dahin lebenden Bauern auch nicht einen Groschen aus- gäbe, während er alle seine Einkünfte in so maßloser Schwel- gerei vergeude, daß, "wenn der allmächtige Gott solchen Regen auf uns herniederfallen ließe, daß wie viele Tropfen so viele Dukaten herabfielen und Polen bis an die Knöchel mit ihnen bedeckt wäre, dennoch all dieses Geld nicht lange bei uns vor- halten, sondern so wie die Wasser von den Hügeln und Bergen zu den Strömen und Niederungen ihren Fall haben, nach Breslau, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Danzig, Riga und Kö- nigsberg für Silbergeschirr, Wagen, Möbeln u. dgl. rasch ab- fließen würde." Solche tolle Verschwendung, verbunden mit wirthschaftlicher Unordnung, stürzte allmählich selbst die reichsten Familien in riesige Schulden, zog den Verfall der Landwirth- schaft nach sich, und vermehrte den Druck, unter welchem die Bauern ein elendes Leben in tiefer Versunkenheit führten. Die Städte aber, welchen die Rechte und Freiheiten, deren sie sich in früheren Jahrhunderten erfreut hatten, längst entrissen waren, und welche jetzt, jedes Schutzes einer starken Regierungsgewalt entbehrend, der Willkühr und dem Übermuth der Starosten und des Adels überhaupt preisgegeben waren, verblieben in den Trümmern und in der Verarmung, in die sie die Kriege des vorangegangenen Jahrhunderts gestürzt. Denn ihr Handel und ihr Gewerbe, welche nur bei Freiheit und Sicherheit gedeihen, sanken immer tiefer; aller Unternehmungsgeist erstarb, und mit der allgemeinen Verarmung erlosch zugleich auch in ihnen jeg- licher Bürgersinn und jegliche Bürgertugend.
Die Rückwirkung aber, welche dieser Lebenszuschnitt und Lebensgeist nothwendig auf das öffentliche Leben, auf die Re- publik als solche und ihre einzelnen Institutionen ausüben mußte, mußte um so verderblicher sein, je schwächer, wie wir
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 2
Die nothwendigen Folgen eines ſolchen ſorgloſen in den Tag Hineinlebens blieben nicht aus. Garczynski leitete bereits um die Mitte des Jahrhunderts aus dieſem Leben in Müßig- gang und Genußſucht den faſt allgemeinen Mangel an Ord- nung und Sparſamkeit her, und tadelte auf das lebhafteſte die Verſchwendung des Adels, der für ſeine armen, im bitterſten Elend dahin lebenden Bauern auch nicht einen Groſchen aus- gäbe, während er alle ſeine Einkünfte in ſo maßloſer Schwel- gerei vergeude, daß, „wenn der allmächtige Gott ſolchen Regen auf uns herniederfallen ließe, daß wie viele Tropfen ſo viele Dukaten herabfielen und Polen bis an die Knöchel mit ihnen bedeckt wäre, dennoch all dieſes Geld nicht lange bei uns vor- halten, ſondern ſo wie die Waſſer von den Hügeln und Bergen zu den Strömen und Niederungen ihren Fall haben, nach Breslau, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Danzig, Riga und Kö- nigsberg für Silbergeſchirr, Wagen, Möbeln u. dgl. raſch ab- fließen würde.“ Solche tolle Verſchwendung, verbunden mit wirthſchaftlicher Unordnung, ſtürzte allmählich ſelbſt die reichſten Familien in rieſige Schulden, zog den Verfall der Landwirth- ſchaft nach ſich, und vermehrte den Druck, unter welchem die Bauern ein elendes Leben in tiefer Verſunkenheit führten. Die Städte aber, welchen die Rechte und Freiheiten, deren ſie ſich in früheren Jahrhunderten erfreut hatten, längſt entriſſen waren, und welche jetzt, jedes Schutzes einer ſtarken Regierungsgewalt entbehrend, der Willkühr und dem Übermuth der Staroſten und des Adels überhaupt preisgegeben waren, verblieben in den Trümmern und in der Verarmung, in die ſie die Kriege des vorangegangenen Jahrhunderts geſtürzt. Denn ihr Handel und ihr Gewerbe, welche nur bei Freiheit und Sicherheit gedeihen, ſanken immer tiefer; aller Unternehmungsgeiſt erſtarb, und mit der allgemeinen Verarmung erloſch zugleich auch in ihnen jeg- licher Bürgerſinn und jegliche Bürgertugend.
Die Rückwirkung aber, welche dieſer Lebenszuſchnitt und Lebensgeiſt nothwendig auf das öffentliche Leben, auf die Re- publik als ſolche und ihre einzelnen Inſtitutionen ausüben mußte, mußte um ſo verderblicher ſein, je ſchwächer, wie wir
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 2
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Die nothwendigen Folgen eines ſolchen ſorgloſen in den
Tag Hineinlebens blieben nicht aus. Garczynski leitete bereits
um die Mitte des Jahrhunderts aus dieſem Leben in Müßig-
gang und Genußſucht den faſt allgemeinen Mangel an Ord-
nung und Sparſamkeit her, und tadelte auf das lebhafteſte die
Verſchwendung des Adels, der für ſeine armen, im bitterſten
Elend dahin lebenden Bauern auch nicht einen Groſchen aus-
gäbe, während er alle ſeine Einkünfte in ſo maßloſer Schwel-
gerei vergeude, daß, „wenn der allmächtige Gott ſolchen Regen
auf uns herniederfallen ließe, daß wie viele Tropfen ſo viele
Dukaten herabfielen und Polen bis an die Knöchel mit ihnen
bedeckt wäre, dennoch all dieſes Geld nicht lange bei uns vor-
halten, ſondern ſo wie die Waſſer von den Hügeln und Bergen
zu den Strömen und Niederungen ihren Fall haben, nach
Breslau, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Danzig, Riga und Kö-
nigsberg für Silbergeſchirr, Wagen, Möbeln u. dgl. raſch ab-
fließen würde.“ Solche tolle Verſchwendung, verbunden mit
wirthſchaftlicher Unordnung, ſtürzte allmählich ſelbſt die reichſten
Familien in rieſige Schulden, zog den Verfall der Landwirth-
ſchaft nach ſich, und vermehrte den Druck, unter welchem die
Bauern ein elendes Leben in tiefer Verſunkenheit führten. Die Städte
aber, welchen die Rechte und Freiheiten, deren ſie ſich in
früheren Jahrhunderten erfreut hatten, längſt entriſſen waren,
und welche jetzt, jedes Schutzes einer ſtarken Regierungsgewalt
entbehrend, der Willkühr und dem Übermuth der Staroſten
und des Adels überhaupt preisgegeben waren, verblieben in den
Trümmern und in der Verarmung, in die ſie die Kriege des
vorangegangenen Jahrhunderts geſtürzt. Denn ihr Handel und
ihr Gewerbe, welche nur bei Freiheit und Sicherheit gedeihen,
ſanken immer tiefer; aller Unternehmungsgeiſt erſtarb, und mit
der allgemeinen Verarmung erloſch zugleich auch in ihnen jeg-
licher Bürgerſinn und jegliche Bürgertugend.
Die Rückwirkung aber, welche dieſer Lebenszuſchnitt und
Lebensgeiſt nothwendig auf das öffentliche Leben, auf die Re-
publik als ſolche und ihre einzelnen Inſtitutionen ausüben
mußte, mußte um ſo verderblicher ſein, je ſchwächer, wie wir
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 2
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/31>, abgerufen am 16.07.2024.
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