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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Adel auf die verschiedensten Veranlassungen, auch bei den
häufigen kirchlichen Festen, zusammenkam, wo dann nach ge-
wissenhafter Theilnahme am Gottesdienst der heil. Messe reiche
Gastmähler und der Vesperandacht rauschende Trinkgelage und
Tänze erfolgten"1). Solche Gelage, überhaupt die Zusam-

1) Aus Szujski l. c., p. 365--366 übersetzt. Vgl. Kozmian,
Pamietniki I, 111 sqq.
-- Ich füge dieser allgemeinen Schilderung
zwei sie illustrirende concrete Beispiele hinzu. Michael Granowski war
-- wie Kajetan Kozmian in den Denkwürdigkeiten erzählt (I, 51) -- ein
Schwestersohn der Frau des Kanzlers Mich. Czartoryski und hatte selbst
eine Radzivil zur Frau. Er besaß große Güter in Lithauen, war Starost
von Przybyslaw bei Lublin, und von Tarnogrod im Chelmer Lande.
Zugleich beliebt beim Könige und populär bei dem Adel, wurde er mit
dem Starost Ouufricki häufig gebraucht auf die Landtage einzuwirken
oder im Tribunal die Partheien zu unterstützen, die sich zum Hofe haltend
der königlichen Protection genossen. Gut erzogen, hatte er in seiner Ju-
gend bei den Östreichern gedient, war aber von dort irgend eines
Abenteuers halber desertirt. Ein schöner, gut gewachsener, kräftiger Mann,
artig und vornehm; sich auf Pistolen oder Säbel zu schlagen, war ihm
eine Kurzweil, aber vorzüglich war er König beim Humpen. "Wenn er
aber voll Weines war, hatte er die Manie sich halbnackt auszukleiden
und die Genossen auch dazu zu zwingen. Dann wagte niemand dem
von Wein Erhitzten zu widersprechen, und jedermann mußte entweder
gehorchen oder fliehen. ,Wer mich liebt, der thue dasselbe wie ich', sagte
er dann. Einmal ging er in Lublin mit dem Pokal so halb nackt, das
Hemde als Leibbinde (pas) umgeschürzt, auf die Straße. Auf seine Aufforde-
rung ihn zu begleiten, warfen diejenigen, die anständig gekleidet waren, die
Kleider ab. Der kleinere Adel aber, der sich des unter dem langen pol-
nischen Kleide verdeckten Schmutzes bewußt war, wollte sich davon machen,
aber die Lakaien und Haiducken des Herrn hielten die Fliehenden fest und
kleideten sie mit der Beihilfe der anderen Gäste aus. In einem Augen-
blick stand die ganze Gesellschaft halb nackt auf der Straße. Ein Wagen
mit kräftigen Pferden, auf dem 2 Fässer Wein lagen, fuhr vor; Badowski,
ein Advocat beim hohen Tribunal, setzte sich, halbnackt wie er war, gleich
einem Bachus auf eins der Fässer, und die andern gaben ihm einen
großen silbernen Vorlegelöffel in die Hand, womit er die Gläser aus dem
Faß füllt, und so zieht der ganze trunkne Troß in Procession durch die
Straßen der Stadt bis zum Krakauer Thor. Welch ein Anblick! An
80 halbnackte Menschen, viele in schmutzigen Lumpen, welche das lange
Kleid vorher verdeckte, tanzend, springend, taumelnd, lachend und singend,
oder besoffen niederstürzend und das Genossene ausspeiend. ,Gehen wir

Adel auf die verſchiedenſten Veranlaſſungen, auch bei den
häufigen kirchlichen Feſten, zuſammenkam, wo dann nach ge-
wiſſenhafter Theilnahme am Gottesdienſt der heil. Meſſe reiche
Gaſtmähler und der Vesperandacht rauſchende Trinkgelage und
Tänze erfolgten“1). Solche Gelage, überhaupt die Zuſam-

1) Aus Szujski l. c., p. 365—366 überſetzt. Vgl. Koz̀mian,
Pamiętniki I, 111 sqq.
— Ich füge dieſer allgemeinen Schilderung
zwei ſie illuſtrirende concrete Beiſpiele hinzu. Michael Granowski war
— wie Kajetan Koz̀mian in den Denkwürdigkeiten erzählt (I, 51) — ein
Schweſterſohn der Frau des Kanzlers Mich. Czartoryski und hatte ſelbſt
eine Radzivil zur Frau. Er beſaß große Güter in Lithauen, war Staroſt
von Przybyslaw bei Lublin, und von Tarnogrod im Chelmer Lande.
Zugleich beliebt beim Könige und populär bei dem Adel, wurde er mit
dem Staroſt Ouufricki häufig gebraucht auf die Landtage einzuwirken
oder im Tribunal die Partheien zu unterſtützen, die ſich zum Hofe haltend
der königlichen Protection genoſſen. Gut erzogen, hatte er in ſeiner Ju-
gend bei den Öſtreichern gedient, war aber von dort irgend eines
Abenteuers halber deſertirt. Ein ſchöner, gut gewachſener, kräftiger Mann,
artig und vornehm; ſich auf Piſtolen oder Säbel zu ſchlagen, war ihm
eine Kurzweil, aber vorzüglich war er König beim Humpen. „Wenn er
aber voll Weines war, hatte er die Manie ſich halbnackt auszukleiden
und die Genoſſen auch dazu zu zwingen. Dann wagte niemand dem
von Wein Erhitzten zu widerſprechen, und jedermann mußte entweder
gehorchen oder fliehen. ‚Wer mich liebt, der thue daſſelbe wie ich‘, ſagte
er dann. Einmal ging er in Lublin mit dem Pokal ſo halb nackt, das
Hemde als Leibbinde (pas) umgeſchürzt, auf die Straße. Auf ſeine Aufforde-
rung ihn zu begleiten, warfen diejenigen, die anſtändig gekleidet waren, die
Kleider ab. Der kleinere Adel aber, der ſich des unter dem langen pol-
niſchen Kleide verdeckten Schmutzes bewußt war, wollte ſich davon machen,
aber die Lakaien und Haiducken des Herrn hielten die Fliehenden feſt und
kleideten ſie mit der Beihilfe der anderen Gäſte aus. In einem Augen-
blick ſtand die ganze Geſellſchaft halb nackt auf der Straße. Ein Wagen
mit kräftigen Pferden, auf dem 2 Fäſſer Wein lagen, fuhr vor; Badowski,
ein Advocat beim hohen Tribunal, ſetzte ſich, halbnackt wie er war, gleich
einem Bachus auf eins der Fäſſer, und die andern gaben ihm einen
großen ſilbernen Vorlegelöffel in die Hand, womit er die Gläſer aus dem
Faß füllt, und ſo zieht der ganze trunkne Troß in Proceſſion durch die
Straßen der Stadt bis zum Krakauer Thor. Welch ein Anblick! An
80 halbnackte Menſchen, viele in ſchmutzigen Lumpen, welche das lange
Kleid vorher verdeckte, tanzend, ſpringend, taumelnd, lachend und ſingend,
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[15/0029] Adel auf die verſchiedenſten Veranlaſſungen, auch bei den häufigen kirchlichen Feſten, zuſammenkam, wo dann nach ge- wiſſenhafter Theilnahme am Gottesdienſt der heil. Meſſe reiche Gaſtmähler und der Vesperandacht rauſchende Trinkgelage und Tänze erfolgten“ 1). Solche Gelage, überhaupt die Zuſam- 1) Aus Szujski l. c., p. 365—366 überſetzt. Vgl. Koz̀mian, Pamiętniki I, 111 sqq. — Ich füge dieſer allgemeinen Schilderung zwei ſie illuſtrirende concrete Beiſpiele hinzu. Michael Granowski war — wie Kajetan Koz̀mian in den Denkwürdigkeiten erzählt (I, 51) — ein Schweſterſohn der Frau des Kanzlers Mich. Czartoryski und hatte ſelbſt eine Radzivil zur Frau. Er beſaß große Güter in Lithauen, war Staroſt von Przybyslaw bei Lublin, und von Tarnogrod im Chelmer Lande. Zugleich beliebt beim Könige und populär bei dem Adel, wurde er mit dem Staroſt Ouufricki häufig gebraucht auf die Landtage einzuwirken oder im Tribunal die Partheien zu unterſtützen, die ſich zum Hofe haltend der königlichen Protection genoſſen. Gut erzogen, hatte er in ſeiner Ju- gend bei den Öſtreichern gedient, war aber von dort irgend eines Abenteuers halber deſertirt. Ein ſchöner, gut gewachſener, kräftiger Mann, artig und vornehm; ſich auf Piſtolen oder Säbel zu ſchlagen, war ihm eine Kurzweil, aber vorzüglich war er König beim Humpen. „Wenn er aber voll Weines war, hatte er die Manie ſich halbnackt auszukleiden und die Genoſſen auch dazu zu zwingen. Dann wagte niemand dem von Wein Erhitzten zu widerſprechen, und jedermann mußte entweder gehorchen oder fliehen. ‚Wer mich liebt, der thue daſſelbe wie ich‘, ſagte er dann. Einmal ging er in Lublin mit dem Pokal ſo halb nackt, das Hemde als Leibbinde (pas) umgeſchürzt, auf die Straße. Auf ſeine Aufforde- rung ihn zu begleiten, warfen diejenigen, die anſtändig gekleidet waren, die Kleider ab. Der kleinere Adel aber, der ſich des unter dem langen pol- niſchen Kleide verdeckten Schmutzes bewußt war, wollte ſich davon machen, aber die Lakaien und Haiducken des Herrn hielten die Fliehenden feſt und kleideten ſie mit der Beihilfe der anderen Gäſte aus. In einem Augen- blick ſtand die ganze Geſellſchaft halb nackt auf der Straße. Ein Wagen mit kräftigen Pferden, auf dem 2 Fäſſer Wein lagen, fuhr vor; Badowski, ein Advocat beim hohen Tribunal, ſetzte ſich, halbnackt wie er war, gleich einem Bachus auf eins der Fäſſer, und die andern gaben ihm einen großen ſilbernen Vorlegelöffel in die Hand, womit er die Gläſer aus dem Faß füllt, und ſo zieht der ganze trunkne Troß in Proceſſion durch die Straßen der Stadt bis zum Krakauer Thor. Welch ein Anblick! An 80 halbnackte Menſchen, viele in ſchmutzigen Lumpen, welche das lange Kleid vorher verdeckte, tanzend, ſpringend, taumelnd, lachend und ſingend, oder beſoffen niederſtürzend und das Genoſſene ausſpeiend. ‚Gehen wir

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/29>, abgerufen am 26.04.2024.