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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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der Katharina herrschen würde 1). Jetzt, nach den Vorgängen
in Wilna, konnten sie und alle ihre Anhänger in Lithauen nur
die bitterste Verfolgung durch ihre mit dem Hofe verbundnen
Gegner erwarten, und schon ließ sich Radzivil vernehmen, daß
er im Herbst nach Petrikau ziehen wolle, um auch dort ein
Tribunal nach seinem Willen durchzusetzen. Glückte ihm das,
so kamen sie im Kronlande genau in dieselbe Lage, in welcher
sie sich jetzt bereits in Lithauen befanden. Ihr ganzer Credit
im Lande stand auf dem Spiel, wenn sie ihre Parthei, selbst
nachdem Rußland seine Gunst ihnen wieder zugewendet, nicht
zu schützen vermochten. Grade die schroffe Haltung, welche
Katharina von Anfang an gegen den Hof eingenommen, hatte
alle lauen, ängstlichen und schwankenden Elemente ihrer Parthei
mit neuem Eifer und neuer Zuversicht belebt, und als nun
die Declaration allgemein bekannt ward, welche die Kaiserin
in Folge der Wilnaer Ereignisse dem Geschäftsträger August III.
Prasse hatte übergeben lassen, erfuhr jedermann, was bisher nur
die Eingeweihtern gewußt hatten, daß sie entschlossen sei die Parthei
mit all ihrer Macht zu unterstützen 2). Die Wirkung dieser
gedruckten und überall im Lande verbreiteten Proclamation war
auf beide Partheien gleich groß. Die einen ließen ihren
Übermuth sinken, die andern glaubten allgemein endlich den
Moment zur Bildung einer Conföderation gekommen und
drängten die Führer zur That.

Gewiß, hätten die Czartoryski nicht bereits seit dem Herbst
sich mit der Idee einer Conföderation getragen, die Verhältnisse,
wie sie jetzt lagen, hätten sie dazu gedrängt. Nach Katharina's
Depesche an Keyserling vom 3. April konnten sie auf deren

1) Sie sprechen das selbst in der Denkschrift vom 21. August aus.
Schmitt a. a. O., S. 364.
2) In dieser Declaration vom 2./13. Mai forderte sie den König auf,
Recht und Gesetz wieder herzustellen, widrigenfalls sie den Wünschen und
Bitten der wohlgesinnten und patriotischen Polen nachgebend sich ge-
zwungen sehen würde "d'employer pour cet objet les moyens efficaces
que la puissance que dieu lui a mise en main et les droits de son
empire lui dont pour l'avantage et le bonheur general".

der Katharina herrſchen würde 1). Jetzt, nach den Vorgängen
in Wilna, konnten ſie und alle ihre Anhänger in Lithauen nur
die bitterſte Verfolgung durch ihre mit dem Hofe verbundnen
Gegner erwarten, und ſchon ließ ſich Radzivil vernehmen, daß
er im Herbſt nach Petrikau ziehen wolle, um auch dort ein
Tribunal nach ſeinem Willen durchzuſetzen. Glückte ihm das,
ſo kamen ſie im Kronlande genau in dieſelbe Lage, in welcher
ſie ſich jetzt bereits in Lithauen befanden. Ihr ganzer Credit
im Lande ſtand auf dem Spiel, wenn ſie ihre Parthei, ſelbſt
nachdem Rußland ſeine Gunſt ihnen wieder zugewendet, nicht
zu ſchützen vermochten. Grade die ſchroffe Haltung, welche
Katharina von Anfang an gegen den Hof eingenommen, hatte
alle lauen, ängſtlichen und ſchwankenden Elemente ihrer Parthei
mit neuem Eifer und neuer Zuverſicht belebt, und als nun
die Declaration allgemein bekannt ward, welche die Kaiſerin
in Folge der Wilnaer Ereigniſſe dem Geſchäftsträger Auguſt III.
Praſſe hatte übergeben laſſen, erfuhr jedermann, was bisher nur
die Eingeweihtern gewußt hatten, daß ſie entſchloſſen ſei die Parthei
mit all ihrer Macht zu unterſtützen 2). Die Wirkung dieſer
gedruckten und überall im Lande verbreiteten Proclamation war
auf beide Partheien gleich groß. Die einen ließen ihren
Übermuth ſinken, die andern glaubten allgemein endlich den
Moment zur Bildung einer Conföderation gekommen und
drängten die Führer zur That.

Gewiß, hätten die Czartoryski nicht bereits ſeit dem Herbſt
ſich mit der Idee einer Conföderation getragen, die Verhältniſſe,
wie ſie jetzt lagen, hätten ſie dazu gedrängt. Nach Katharina’s
Depeſche an Keyſerling vom 3. April konnten ſie auf deren

1) Sie ſprechen das ſelbſt in der Denkſchrift vom 21. Auguſt aus.
Schmitt a. a. O., S. 364.
2) In dieſer Declaration vom 2./13. Mai forderte ſie den König auf,
Recht und Geſetz wieder herzuſtellen, widrigenfalls ſie den Wünſchen und
Bitten der wohlgeſinnten und patriotiſchen Polen nachgebend ſich ge-
zwungen ſehen würde „d’employer pour cet objet les moyens efficaces
que la puissance que dieu lui a mise en main et les droits de son
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[187/0201] der Katharina herrſchen würde 1). Jetzt, nach den Vorgängen in Wilna, konnten ſie und alle ihre Anhänger in Lithauen nur die bitterſte Verfolgung durch ihre mit dem Hofe verbundnen Gegner erwarten, und ſchon ließ ſich Radzivil vernehmen, daß er im Herbſt nach Petrikau ziehen wolle, um auch dort ein Tribunal nach ſeinem Willen durchzuſetzen. Glückte ihm das, ſo kamen ſie im Kronlande genau in dieſelbe Lage, in welcher ſie ſich jetzt bereits in Lithauen befanden. Ihr ganzer Credit im Lande ſtand auf dem Spiel, wenn ſie ihre Parthei, ſelbſt nachdem Rußland ſeine Gunſt ihnen wieder zugewendet, nicht zu ſchützen vermochten. Grade die ſchroffe Haltung, welche Katharina von Anfang an gegen den Hof eingenommen, hatte alle lauen, ängſtlichen und ſchwankenden Elemente ihrer Parthei mit neuem Eifer und neuer Zuverſicht belebt, und als nun die Declaration allgemein bekannt ward, welche die Kaiſerin in Folge der Wilnaer Ereigniſſe dem Geſchäftsträger Auguſt III. Praſſe hatte übergeben laſſen, erfuhr jedermann, was bisher nur die Eingeweihtern gewußt hatten, daß ſie entſchloſſen ſei die Parthei mit all ihrer Macht zu unterſtützen 2). Die Wirkung dieſer gedruckten und überall im Lande verbreiteten Proclamation war auf beide Partheien gleich groß. Die einen ließen ihren Übermuth ſinken, die andern glaubten allgemein endlich den Moment zur Bildung einer Conföderation gekommen und drängten die Führer zur That. Gewiß, hätten die Czartoryski nicht bereits ſeit dem Herbſt ſich mit der Idee einer Conföderation getragen, die Verhältniſſe, wie ſie jetzt lagen, hätten ſie dazu gedrängt. Nach Katharina’s Depeſche an Keyſerling vom 3. April konnten ſie auf deren 1) Sie ſprechen das ſelbſt in der Denkſchrift vom 21. Auguſt aus. Schmitt a. a. O., S. 364. 2) In dieſer Declaration vom 2./13. Mai forderte ſie den König auf, Recht und Geſetz wieder herzuſtellen, widrigenfalls ſie den Wünſchen und Bitten der wohlgeſinnten und patriotiſchen Polen nachgebend ſich ge- zwungen ſehen würde „d’employer pour cet objet les moyens efficaces que la puissance que dieu lui a mise en main et les droits de son empire lui dont pour l’avantage et le bonheur general“.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/201>, abgerufen am 03.05.2024.