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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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liberum veto zu verwerfen und nicht minder die Conföderationen,
welche nur ein gewagtes, gewaltsames und zugleich entkräfti-
gendes Gegenmittel gegen das Uebel des Veto wären.
Dabei spricht er es kühn aus, daß die so weit verbreitete
Meinung, daß die Nachbarn den Untergang Polens nicht zu-
geben würden, eine durchaus irrige sei, vielmehr sönnen sie
schon auf Theilung, und hätten daher alle den Wunsch, die
Republik in ihrer Agonie zu erhalten. Ihnen wäre jedes Zer-
reißen der Reichstage gelegen, und schon aus diesem Grunde
sei ein solches, wenn es auch in der besten Absicht erfolge,
ein Verrath am Vaterlande. Das liberum veto sei weder
ein altes historisches Recht, noch, wie man meine, der "Aug-
apfel der Freiheit", es sei vielmehr gerade im Gegentheil die
größte Tyrannei eines Einzelnen gegenüber der Gesamtheit, und
würde nur durch die Selbstsucht und den Ehrgeiz der "Herren" und
der fremden Mächte erhalten. Die große Masse des Adels würde
sich gerade durch die Aufhebung desselben von dem politischen Druck
der "Herren" befreien. Die Entscheidung durch Stimmenmehrheit
sei das einzig Vernünftige, die Einstimmigkeit "erschwere jedes
Gute und befördere das Schlechte". Er widerlegt ferner neben
anderm auch den Einwand der Gegner der Stimmenmehrheit,
daß, wenn sie gelte, der König durch sein Recht der Ver-
leihung der Ämter stets eine Mehrheit im Reichstage sich
schaffen und der Freiheit gefährlich werden würde. Wie vor
ihm Karwicki und Leszczynski, räth auch er, der Krone durch
die Wahlcapitulation bei der nächsten Thronwahl dieses Recht
zu nehmen. Im Vorbeigehen wirft er bereits den Gedanken
hin, den Thron erblich zu machen und das in unzähligen Con-
stitutionen zersplitterte Landrecht zu codificiren. Er schließt
endlich mit einer Schilderung der unausbleiblichen Folgen
der Anarchie, aus welcher eine Absolutie hervorgehen werde,
welcher auch die Nachbarmächte eine etwas geordnetere Regierung
vorziehen dürften. In ihrer Anarchie aber habe die Nation,
obwohl mit allen in Frieden lebend, einige Zehntausende von
Menschen und den Ruhm der Vorfahren verloren; anstatt wie
früher geachtet zu werden, werde sie jetzt nur verachtet.

Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 12

liberum veto zu verwerfen und nicht minder die Conföderationen,
welche nur ein gewagtes, gewaltſames und zugleich entkräfti-
gendes Gegenmittel gegen das Uebel des Veto wären.
Dabei ſpricht er es kühn aus, daß die ſo weit verbreitete
Meinung, daß die Nachbarn den Untergang Polens nicht zu-
geben würden, eine durchaus irrige ſei, vielmehr ſönnen ſie
ſchon auf Theilung, und hätten daher alle den Wunſch, die
Republik in ihrer Agonie zu erhalten. Ihnen wäre jedes Zer-
reißen der Reichstage gelegen, und ſchon aus dieſem Grunde
ſei ein ſolches, wenn es auch in der beſten Abſicht erfolge,
ein Verrath am Vaterlande. Das liberum veto ſei weder
ein altes hiſtoriſches Recht, noch, wie man meine, der „Aug-
apfel der Freiheit“, es ſei vielmehr gerade im Gegentheil die
größte Tyrannei eines Einzelnen gegenüber der Geſamtheit, und
würde nur durch die Selbſtſucht und den Ehrgeiz der „Herren“ und
der fremden Mächte erhalten. Die große Maſſe des Adels würde
ſich gerade durch die Aufhebung deſſelben von dem politiſchen Druck
der „Herren“ befreien. Die Entſcheidung durch Stimmenmehrheit
ſei das einzig Vernünftige, die Einſtimmigkeit „erſchwere jedes
Gute und befördere das Schlechte“. Er widerlegt ferner neben
anderm auch den Einwand der Gegner der Stimmenmehrheit,
daß, wenn ſie gelte, der König durch ſein Recht der Ver-
leihung der Ämter ſtets eine Mehrheit im Reichstage ſich
ſchaffen und der Freiheit gefährlich werden würde. Wie vor
ihm Karwicki und Leszczynski, räth auch er, der Krone durch
die Wahlcapitulation bei der nächſten Thronwahl dieſes Recht
zu nehmen. Im Vorbeigehen wirft er bereits den Gedanken
hin, den Thron erblich zu machen und das in unzähligen Con-
ſtitutionen zerſplitterte Landrecht zu codificiren. Er ſchließt
endlich mit einer Schilderung der unausbleiblichen Folgen
der Anarchie, aus welcher eine Abſolutie hervorgehen werde,
welcher auch die Nachbarmächte eine etwas geordnetere Regierung
vorziehen dürften. In ihrer Anarchie aber habe die Nation,
obwohl mit allen in Frieden lebend, einige Zehntauſende von
Menſchen und den Ruhm der Vorfahren verloren; anſtatt wie
früher geachtet zu werden, werde ſie jetzt nur verachtet.

Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 12
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[177/0191] liberum veto zu verwerfen und nicht minder die Conföderationen, welche nur ein gewagtes, gewaltſames und zugleich entkräfti- gendes Gegenmittel gegen das Uebel des Veto wären. Dabei ſpricht er es kühn aus, daß die ſo weit verbreitete Meinung, daß die Nachbarn den Untergang Polens nicht zu- geben würden, eine durchaus irrige ſei, vielmehr ſönnen ſie ſchon auf Theilung, und hätten daher alle den Wunſch, die Republik in ihrer Agonie zu erhalten. Ihnen wäre jedes Zer- reißen der Reichstage gelegen, und ſchon aus dieſem Grunde ſei ein ſolches, wenn es auch in der beſten Abſicht erfolge, ein Verrath am Vaterlande. Das liberum veto ſei weder ein altes hiſtoriſches Recht, noch, wie man meine, der „Aug- apfel der Freiheit“, es ſei vielmehr gerade im Gegentheil die größte Tyrannei eines Einzelnen gegenüber der Geſamtheit, und würde nur durch die Selbſtſucht und den Ehrgeiz der „Herren“ und der fremden Mächte erhalten. Die große Maſſe des Adels würde ſich gerade durch die Aufhebung deſſelben von dem politiſchen Druck der „Herren“ befreien. Die Entſcheidung durch Stimmenmehrheit ſei das einzig Vernünftige, die Einſtimmigkeit „erſchwere jedes Gute und befördere das Schlechte“. Er widerlegt ferner neben anderm auch den Einwand der Gegner der Stimmenmehrheit, daß, wenn ſie gelte, der König durch ſein Recht der Ver- leihung der Ämter ſtets eine Mehrheit im Reichstage ſich ſchaffen und der Freiheit gefährlich werden würde. Wie vor ihm Karwicki und Leszczynski, räth auch er, der Krone durch die Wahlcapitulation bei der nächſten Thronwahl dieſes Recht zu nehmen. Im Vorbeigehen wirft er bereits den Gedanken hin, den Thron erblich zu machen und das in unzähligen Con- ſtitutionen zerſplitterte Landrecht zu codificiren. Er ſchließt endlich mit einer Schilderung der unausbleiblichen Folgen der Anarchie, aus welcher eine Abſolutie hervorgehen werde, welcher auch die Nachbarmächte eine etwas geordnetere Regierung vorziehen dürften. In ihrer Anarchie aber habe die Nation, obwohl mit allen in Frieden lebend, einige Zehntauſende von Menſchen und den Ruhm der Vorfahren verloren; anſtatt wie früher geachtet zu werden, werde ſie jetzt nur verachtet. Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 12

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/191>, abgerufen am 21.11.2024.