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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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so weniger fand sich der großpolnische Adel, welcher am meisten
unter dem Kriege litt, durch diese Maaßregel befriedigt. Die
Woiwodschaften Posen und Kalisch, Sieradz und Kujawien
sandten eine eigne Deputation nach Warschau, um ihre Klagen
dem König persönlich vorzubringen und den Abzug der rus-
sischen Truppen zu fordern. Sie erhielten zur Antwort, Se.
Majestät selbst würden höchst gern die Befreiung des Bodens
der Republik von den Russen bis auf den letzten Mann sehen;
da aber die Erreichung dieses Wunsches nicht in ihrer Macht
liege, so wolle sie wenigstens einen Beweis ihrer väterlichen
Gesinnung für Polen dadurch geben, daß sie sich bei der rus-
sischen Kaiserin um den Ersatz aller von den Polen erlittnen
Schäden und Gewaltthätigkeiten bemühen werde. In der That
bemühte sich Brühl zu wiederholtenmalen hierum, zumal ihn
die Furcht beunruhigte, der großpolnische Adel könne sich "gar
leicht zu Extremitäten verleiten lassen, wenn ein feindliches
Corps dort einrücken sollte. Allein seine Klagen blieben that-
sächlich unberücksichtigt; noch im Jahre 1762, als die Russen
nach ihrem Frieden mit Friedrich II. heimmarschirten, be-
zahlten sie im preußischen Gebiet die Lieferungen, in Polen
nicht 1).

Natürlich wurde die Stimmung des Adels gegen den Hof
und die Russen je länger je bitterer. Bereits im Herbst 1759

1) Kitowicz, Pam., p. 36. 44. 45; doch ist aus ihm nicht genau
zu ersehen, in welcher Zeit die Deputation nach Warschau kam. Dem
Zusammenhang seiner Erzählung nach scheint sie erst nach der Reduction
der Münze (October 1761) abgesandt zu sein. -- Brühl schrieb schon am
8. Juni 1760 an Riedesel über die "immer mehr zunehmende Fermen-
tation der großpolnischen Noblesse" und daß nicht zu leugnen sei, daß
durch das bisherige Benehmen [der Russen] und zurückgebliebene Ver-
gütung der erfolgten Lieferungen und veranlaßten Schäden, gedachte
Noblesse sehr aufgebracht ist, -- wegen des eignen Interesses der russischen
Armee und zu Beförderung ihres Verproviantirungswerkes sei es allemal
so billig als nöthig, Polen zu menagiren und durch ein freundschaftliches
Betragen und so viel als möglich richtige Bezahlung derer Lieferungen
bei guter Gesinnung zu erhalten. -- Im October 1761 klagte er mehr-
mals über diese Zustände in Petersburg. S. v. Eelking, Corresp.,
S. 20. 321. 416.

ſo weniger fand ſich der großpolniſche Adel, welcher am meiſten
unter dem Kriege litt, durch dieſe Maaßregel befriedigt. Die
Woiwodſchaften Poſen und Kaliſch, Sieradz und Kujawien
ſandten eine eigne Deputation nach Warſchau, um ihre Klagen
dem König perſönlich vorzubringen und den Abzug der ruſ-
ſiſchen Truppen zu fordern. Sie erhielten zur Antwort, Se.
Majeſtät ſelbſt würden höchſt gern die Befreiung des Bodens
der Republik von den Ruſſen bis auf den letzten Mann ſehen;
da aber die Erreichung dieſes Wunſches nicht in ihrer Macht
liege, ſo wolle ſie wenigſtens einen Beweis ihrer väterlichen
Geſinnung für Polen dadurch geben, daß ſie ſich bei der ruſ-
ſiſchen Kaiſerin um den Erſatz aller von den Polen erlittnen
Schäden und Gewaltthätigkeiten bemühen werde. In der That
bemühte ſich Brühl zu wiederholtenmalen hierum, zumal ihn
die Furcht beunruhigte, der großpolniſche Adel könne ſich „gar
leicht zu Extremitäten verleiten laſſen, wenn ein feindliches
Corps dort einrücken ſollte. Allein ſeine Klagen blieben that-
ſächlich unberückſichtigt; noch im Jahre 1762, als die Ruſſen
nach ihrem Frieden mit Friedrich II. heimmarſchirten, be-
zahlten ſie im preußiſchen Gebiet die Lieferungen, in Polen
nicht 1).

Natürlich wurde die Stimmung des Adels gegen den Hof
und die Ruſſen je länger je bitterer. Bereits im Herbſt 1759

1) Kitowicz, Pam., p. 36. 44. 45; doch iſt aus ihm nicht genau
zu erſehen, in welcher Zeit die Deputation nach Warſchau kam. Dem
Zuſammenhang ſeiner Erzählung nach ſcheint ſie erſt nach der Reduction
der Münze (October 1761) abgeſandt zu ſein. — Brühl ſchrieb ſchon am
8. Juni 1760 an Riedeſel über die „immer mehr zunehmende Fermen-
tation der großpolniſchen Nobleſſe“ und daß nicht zu leugnen ſei, daß
durch das bisherige Benehmen [der Ruſſen] und zurückgebliebene Ver-
gütung der erfolgten Lieferungen und veranlaßten Schäden, gedachte
Nobleſſe ſehr aufgebracht iſt, — wegen des eignen Intereſſes der ruſſiſchen
Armee und zu Beförderung ihres Verproviantirungswerkes ſei es allemal
ſo billig als nöthig, Polen zu menagiren und durch ein freundſchaftliches
Betragen und ſo viel als möglich richtige Bezahlung derer Lieferungen
bei guter Geſinnung zu erhalten. — Im October 1761 klagte er mehr-
mals über dieſe Zuſtände in Petersburg. S. v. Eelking, Correſp.,
S. 20. 321. 416.
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[142/0156] ſo weniger fand ſich der großpolniſche Adel, welcher am meiſten unter dem Kriege litt, durch dieſe Maaßregel befriedigt. Die Woiwodſchaften Poſen und Kaliſch, Sieradz und Kujawien ſandten eine eigne Deputation nach Warſchau, um ihre Klagen dem König perſönlich vorzubringen und den Abzug der ruſ- ſiſchen Truppen zu fordern. Sie erhielten zur Antwort, Se. Majeſtät ſelbſt würden höchſt gern die Befreiung des Bodens der Republik von den Ruſſen bis auf den letzten Mann ſehen; da aber die Erreichung dieſes Wunſches nicht in ihrer Macht liege, ſo wolle ſie wenigſtens einen Beweis ihrer väterlichen Geſinnung für Polen dadurch geben, daß ſie ſich bei der ruſ- ſiſchen Kaiſerin um den Erſatz aller von den Polen erlittnen Schäden und Gewaltthätigkeiten bemühen werde. In der That bemühte ſich Brühl zu wiederholtenmalen hierum, zumal ihn die Furcht beunruhigte, der großpolniſche Adel könne ſich „gar leicht zu Extremitäten verleiten laſſen, wenn ein feindliches Corps dort einrücken ſollte. Allein ſeine Klagen blieben that- ſächlich unberückſichtigt; noch im Jahre 1762, als die Ruſſen nach ihrem Frieden mit Friedrich II. heimmarſchirten, be- zahlten ſie im preußiſchen Gebiet die Lieferungen, in Polen nicht 1). Natürlich wurde die Stimmung des Adels gegen den Hof und die Ruſſen je länger je bitterer. Bereits im Herbſt 1759 1) Kitowicz, Pam., p. 36. 44. 45; doch iſt aus ihm nicht genau zu erſehen, in welcher Zeit die Deputation nach Warſchau kam. Dem Zuſammenhang ſeiner Erzählung nach ſcheint ſie erſt nach der Reduction der Münze (October 1761) abgeſandt zu ſein. — Brühl ſchrieb ſchon am 8. Juni 1760 an Riedeſel über die „immer mehr zunehmende Fermen- tation der großpolniſchen Nobleſſe“ und daß nicht zu leugnen ſei, daß durch das bisherige Benehmen [der Ruſſen] und zurückgebliebene Ver- gütung der erfolgten Lieferungen und veranlaßten Schäden, gedachte Nobleſſe ſehr aufgebracht iſt, — wegen des eignen Intereſſes der ruſſiſchen Armee und zu Beförderung ihres Verproviantirungswerkes ſei es allemal ſo billig als nöthig, Polen zu menagiren und durch ein freundſchaftliches Betragen und ſo viel als möglich richtige Bezahlung derer Lieferungen bei guter Geſinnung zu erhalten. — Im October 1761 klagte er mehr- mals über dieſe Zuſtände in Petersburg. S. v. Eelking, Correſp., S. 20. 321. 416.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/156>, abgerufen am 21.11.2024.