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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 9. Berlin, Wien, 1921.

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Sibirische Eisenbahn (s. Karte Abb. 85).

Inhaltsübersicht: I. Geschichte. - II. Bau und Ausrüstung. - III. Finanzierung. - IV. Verkehr.

I. Geschichte.

Schon in den Fünfzigerjahren wurde im fernen Osten die erste Anregung zum Bau von Eisenbahnen in Sibirien gegeben. Damals (1857) erteilte der Generalgouverneur von Ostsibirien den Auftrag, eine Kunststraße zu erbauen, die den Ort Ssophiisk (am Amur) mit dem Hafen Alexandrowsk (an der Tatarenstraße) verbinden und so hergestellt werden sollte, daß sie jederzeit als Damm für eine Eisenbahn gebraucht werden könne. Die Straße ist im Laufe der Jahre erbaut worden, mit der Eisenbahn dauerte es länger. Immerhin gab dieser Auftrag die erste Anregung für die Erbauung von Eisenbahnen in Sibirien, namentlich aber zum Bau der ersten dortigen Eisenbahn - der Ussuribahn - von Wladiwostok-Chabarowsk (1893-1897). Seit jener Anregung ist die Erörterung und Förderung der Frage, Sibirien in seiner ganzen Ausdehnung vom Ural bis zum Stillen Ozean durch eine Eisenbahn zu erschließen, nicht von der Tagesordnung abgesetzt worden. Eine tatkräftige Förderung ließen jedoch die Zeitverhältnisse nicht zu. Der Orientkrieg hatte die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Baues von Eisenbahnen mit zwingender Gewalt aufgedrängt. Kaiser Alexander II. (1855-1881) richtete indes sein Augenmerk auf das europäische Rußland. Jahrelang wurde darüber gestritten, ob die Verbindung einer S. mit dem europäischen Eisenbahnnetz in nördlicher Linienführung, d. h. St. Petersburg-Rybinsk-Wjätka-Perm, oder in südlicher Richtung, d. h. Moskau-Nishni-Nowgorod-Kasan-Jekaterinburg erfolgen solle. 1875 trat zum ersten Mal das Ministerium der Verkehrsanstalten mit einem Entwurf hervor. Darnach sollte die S. zunächst nur bis Irkutsk, u. zw. "auf dem mathematisch kürzesten Weg" geführt werden. Es blieben hierbei sämtliche Städte bis zu 105 Werst (111 km) seitlich liegen. Dieser Entwurf schlug vor, die Bahn im Anschluß an Ssamara über Ufa-Slatoust-Tscheljäbinsk bis Irkutsk (3043 Werst = 3247 km) weiter zu bauen. Die Verhandlungen zogen sich jahrelang hin. Inzwischen war der Zar Alexander III (1881 bis 1894) zur Regierung gekommen, dessen Interesse sich ganz besonders den asiatischen Besitzungen zuwandte.

Das änderte die Stellungnahme der Regierung. Es wurde von Ssamara aus zunächst weiter gebaut, so daß die Teilstrecken bis Ufa (453 Werst = 483 km) 1888, bis Slatoust (299 Werst = 319 km) 1890 und bis Tscheljäbinsk (148 Werst = 158 km) 1892 für den Verkehr eröffnet werden konnten. Damit war der Ausgangspunkt der S. erreicht, wenngleich der Punkt Tscheljäbinsk immer noch etwa 200 Werst von der geographischen Grenze Sibiriens entfernt liegt.

Inzwischen wurden die Vorarbeiten gefördert. Namentlich wurden geologische Untersuchungen gemacht, um die Fundstätten von Gold, Kupfer, Eisen, Steinkohle abzugrenzen, auch die für Besiedlungszwecke geeigneten, in großem Umfang vorhandenen Ländergebiete festzustellen und so die Punkte zu finden, die bei der Linienführung der Bahn berücksichtigt werden mußten, abgesehen von den spärlich gesäten, wenigen größeren Städten, an die, entgegen den früheren Absichten, die Bahn möglichst herangeführt werden sollte. Unter dem Druck des Zaren entschloß sich dann das Ministerkomitee, zu bestimmen, daß der Bau mit der Ussuribahn begonnen werden solle. Am 17. März 1891 erließ der Zar ein Handschreiben an den Thronfolger, durch das dieser beauftragt wurde, bei seiner Rückkehr von der Weltreise in Wladiwostok den ersten Spatenstich zu tun und zu verkünden, daß es des Zaren Wille sei, daß eine ununterbrochene Eisenbahn vom Stillen Ozean zum Ural geführt werde, um hier Anschluß an das europäische Eisenbahnnetz zu finden. Gleichzeitig bestimmte der Zar, daß die Bahn für Rechnung und unter Leitung der Regierung erbaut werden soll. Der Thronfolger erfüllte den Befehl am 19. Mai 1891. Gleich darauf wurde der Bau der Ussuribahn in Angriff genommen. Ebenso wurde mit den Vorarbeiten für die Strecke Tscheljäbinsk-Tomsk begonnen. Nach Rückkehr des Thronfolgers wurde das Komitee für den Bau der S. eingesetzt. Zum Vorsitzenden wurde der Thronfolger ernannt und das Komitee mit ganz besonderen Vollmachten ausgestattet.

Nicht nur die bauliche Durchführung des ganzen Unternehmens ruhte in erster Linie in der Hand des Komitees, sondern namentlich auch die sämtlichen zahlreichen Hilfsunternehmungen, die für die gedeihliche Entwicklung der Bahn und des Landes sehr wichtig waren.

Die Linienführung verursachte zunächst in dem wenig erforschten, wenig bekannten Lande außerordentliche Schwierigkeiten. Allerdings waren bei der Ussuribahn in dieser Beziehung wenig Bedenken; denn sie war durch den Flußlauf auf der einen und den Ozean auf der andern Seite von selbst gegeben. Anders lagen die Verhältnisse auf dem westlichen Teil des großen Schienenwegs. Hier wuchsen die Schwierigkeiten beim Vorschreiten nach Osten ständig und machten zunächst eine Unterbrechung des Bahnbaues mit Erreichung des Baikalsees notwendig, weil die Baikal-Umgehungsbahn


Sibirische Eisenbahn (s. Karte Abb. 85).

Inhaltsübersicht: I. Geschichte. – II. Bau und Ausrüstung. – III. Finanzierung. – IV. Verkehr.

I. Geschichte.

Schon in den Fünfzigerjahren wurde im fernen Osten die erste Anregung zum Bau von Eisenbahnen in Sibirien gegeben. Damals (1857) erteilte der Generalgouverneur von Ostsibirien den Auftrag, eine Kunststraße zu erbauen, die den Ort Ssophiisk (am Amur) mit dem Hafen Alexandrowsk (an der Tatarenstraße) verbinden und so hergestellt werden sollte, daß sie jederzeit als Damm für eine Eisenbahn gebraucht werden könne. Die Straße ist im Laufe der Jahre erbaut worden, mit der Eisenbahn dauerte es länger. Immerhin gab dieser Auftrag die erste Anregung für die Erbauung von Eisenbahnen in Sibirien, namentlich aber zum Bau der ersten dortigen Eisenbahn – der Ussuribahn – von Wladiwostok-Chabarowsk (1893–1897). Seit jener Anregung ist die Erörterung und Förderung der Frage, Sibirien in seiner ganzen Ausdehnung vom Ural bis zum Stillen Ozean durch eine Eisenbahn zu erschließen, nicht von der Tagesordnung abgesetzt worden. Eine tatkräftige Förderung ließen jedoch die Zeitverhältnisse nicht zu. Der Orientkrieg hatte die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Baues von Eisenbahnen mit zwingender Gewalt aufgedrängt. Kaiser Alexander II. (1855–1881) richtete indes sein Augenmerk auf das europäische Rußland. Jahrelang wurde darüber gestritten, ob die Verbindung einer S. mit dem europäischen Eisenbahnnetz in nördlicher Linienführung, d. h. St. Petersburg-Rybinsk-Wjätka-Perm, oder in südlicher Richtung, d. h. Moskau-Nishni-Nowgorod-Kasan-Jekaterinburg erfolgen solle. 1875 trat zum ersten Mal das Ministerium der Verkehrsanstalten mit einem Entwurf hervor. Darnach sollte die S. zunächst nur bis Irkutsk, u. zw. „auf dem mathematisch kürzesten Weg“ geführt werden. Es blieben hierbei sämtliche Städte bis zu 105 Werst (111 km) seitlich liegen. Dieser Entwurf schlug vor, die Bahn im Anschluß an Ssamara über Ufa-Slatoust-Tscheljäbinsk bis Irkutsk (3043 Werst = 3247 km) weiter zu bauen. Die Verhandlungen zogen sich jahrelang hin. Inzwischen war der Zar Alexander III (1881 bis 1894) zur Regierung gekommen, dessen Interesse sich ganz besonders den asiatischen Besitzungen zuwandte.

Das änderte die Stellungnahme der Regierung. Es wurde von Ssamara aus zunächst weiter gebaut, so daß die Teilstrecken bis Ufa (453 Werst = 483 km) 1888, bis Slatoust (299 Werst = 319 km) 1890 und bis Tscheljäbinsk (148 Werst = 158 km) 1892 für den Verkehr eröffnet werden konnten. Damit war der Ausgangspunkt der S. erreicht, wenngleich der Punkt Tscheljäbinsk immer noch etwa 200 Werst von der geographischen Grenze Sibiriens entfernt liegt.

Inzwischen wurden die Vorarbeiten gefördert. Namentlich wurden geologische Untersuchungen gemacht, um die Fundstätten von Gold, Kupfer, Eisen, Steinkohle abzugrenzen, auch die für Besiedlungszwecke geeigneten, in großem Umfang vorhandenen Ländergebiete festzustellen und so die Punkte zu finden, die bei der Linienführung der Bahn berücksichtigt werden mußten, abgesehen von den spärlich gesäten, wenigen größeren Städten, an die, entgegen den früheren Absichten, die Bahn möglichst herangeführt werden sollte. Unter dem Druck des Zaren entschloß sich dann das Ministerkomitee, zu bestimmen, daß der Bau mit der Ussuribahn begonnen werden solle. Am 17. März 1891 erließ der Zar ein Handschreiben an den Thronfolger, durch das dieser beauftragt wurde, bei seiner Rückkehr von der Weltreise in Wladiwostok den ersten Spatenstich zu tun und zu verkünden, daß es des Zaren Wille sei, daß eine ununterbrochene Eisenbahn vom Stillen Ozean zum Ural geführt werde, um hier Anschluß an das europäische Eisenbahnnetz zu finden. Gleichzeitig bestimmte der Zar, daß die Bahn für Rechnung und unter Leitung der Regierung erbaut werden soll. Der Thronfolger erfüllte den Befehl am 19. Mai 1891. Gleich darauf wurde der Bau der Ussuribahn in Angriff genommen. Ebenso wurde mit den Vorarbeiten für die Strecke Tscheljäbinsk-Tomsk begonnen. Nach Rückkehr des Thronfolgers wurde das Komitee für den Bau der S. eingesetzt. Zum Vorsitzenden wurde der Thronfolger ernannt und das Komitee mit ganz besonderen Vollmachten ausgestattet.

Nicht nur die bauliche Durchführung des ganzen Unternehmens ruhte in erster Linie in der Hand des Komitees, sondern namentlich auch die sämtlichen zahlreichen Hilfsunternehmungen, die für die gedeihliche Entwicklung der Bahn und des Landes sehr wichtig waren.

Die Linienführung verursachte zunächst in dem wenig erforschten, wenig bekannten Lande außerordentliche Schwierigkeiten. Allerdings waren bei der Ussuribahn in dieser Beziehung wenig Bedenken; denn sie war durch den Flußlauf auf der einen und den Ozean auf der andern Seite von selbst gegeben. Anders lagen die Verhältnisse auf dem westlichen Teil des großen Schienenwegs. Hier wuchsen die Schwierigkeiten beim Vorschreiten nach Osten ständig und machten zunächst eine Unterbrechung des Bahnbaues mit Erreichung des Baikalsees notwendig, weil die Baikal-Umgehungsbahn

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[36/0039] Sibirische Eisenbahn (s. Karte Abb. 85). Inhaltsübersicht: I. Geschichte. – II. Bau und Ausrüstung. – III. Finanzierung. – IV. Verkehr. I. Geschichte. Schon in den Fünfzigerjahren wurde im fernen Osten die erste Anregung zum Bau von Eisenbahnen in Sibirien gegeben. Damals (1857) erteilte der Generalgouverneur von Ostsibirien den Auftrag, eine Kunststraße zu erbauen, die den Ort Ssophiisk (am Amur) mit dem Hafen Alexandrowsk (an der Tatarenstraße) verbinden und so hergestellt werden sollte, daß sie jederzeit als Damm für eine Eisenbahn gebraucht werden könne. Die Straße ist im Laufe der Jahre erbaut worden, mit der Eisenbahn dauerte es länger. Immerhin gab dieser Auftrag die erste Anregung für die Erbauung von Eisenbahnen in Sibirien, namentlich aber zum Bau der ersten dortigen Eisenbahn – der Ussuribahn – von Wladiwostok-Chabarowsk (1893–1897). Seit jener Anregung ist die Erörterung und Förderung der Frage, Sibirien in seiner ganzen Ausdehnung vom Ural bis zum Stillen Ozean durch eine Eisenbahn zu erschließen, nicht von der Tagesordnung abgesetzt worden. Eine tatkräftige Förderung ließen jedoch die Zeitverhältnisse nicht zu. Der Orientkrieg hatte die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Baues von Eisenbahnen mit zwingender Gewalt aufgedrängt. Kaiser Alexander II. (1855–1881) richtete indes sein Augenmerk auf das europäische Rußland. Jahrelang wurde darüber gestritten, ob die Verbindung einer S. mit dem europäischen Eisenbahnnetz in nördlicher Linienführung, d. h. St. Petersburg-Rybinsk-Wjätka-Perm, oder in südlicher Richtung, d. h. Moskau-Nishni-Nowgorod-Kasan-Jekaterinburg erfolgen solle. 1875 trat zum ersten Mal das Ministerium der Verkehrsanstalten mit einem Entwurf hervor. Darnach sollte die S. zunächst nur bis Irkutsk, u. zw. „auf dem mathematisch kürzesten Weg“ geführt werden. Es blieben hierbei sämtliche Städte bis zu 105 Werst (111 km) seitlich liegen. Dieser Entwurf schlug vor, die Bahn im Anschluß an Ssamara über Ufa-Slatoust-Tscheljäbinsk bis Irkutsk (3043 Werst = 3247 km) weiter zu bauen. Die Verhandlungen zogen sich jahrelang hin. Inzwischen war der Zar Alexander III (1881 bis 1894) zur Regierung gekommen, dessen Interesse sich ganz besonders den asiatischen Besitzungen zuwandte. Das änderte die Stellungnahme der Regierung. Es wurde von Ssamara aus zunächst weiter gebaut, so daß die Teilstrecken bis Ufa (453 Werst = 483 km) 1888, bis Slatoust (299 Werst = 319 km) 1890 und bis Tscheljäbinsk (148 Werst = 158 km) 1892 für den Verkehr eröffnet werden konnten. Damit war der Ausgangspunkt der S. erreicht, wenngleich der Punkt Tscheljäbinsk immer noch etwa 200 Werst von der geographischen Grenze Sibiriens entfernt liegt. Inzwischen wurden die Vorarbeiten gefördert. Namentlich wurden geologische Untersuchungen gemacht, um die Fundstätten von Gold, Kupfer, Eisen, Steinkohle abzugrenzen, auch die für Besiedlungszwecke geeigneten, in großem Umfang vorhandenen Ländergebiete festzustellen und so die Punkte zu finden, die bei der Linienführung der Bahn berücksichtigt werden mußten, abgesehen von den spärlich gesäten, wenigen größeren Städten, an die, entgegen den früheren Absichten, die Bahn möglichst herangeführt werden sollte. Unter dem Druck des Zaren entschloß sich dann das Ministerkomitee, zu bestimmen, daß der Bau mit der Ussuribahn begonnen werden solle. Am 17. März 1891 erließ der Zar ein Handschreiben an den Thronfolger, durch das dieser beauftragt wurde, bei seiner Rückkehr von der Weltreise in Wladiwostok den ersten Spatenstich zu tun und zu verkünden, daß es des Zaren Wille sei, daß eine ununterbrochene Eisenbahn vom Stillen Ozean zum Ural geführt werde, um hier Anschluß an das europäische Eisenbahnnetz zu finden. Gleichzeitig bestimmte der Zar, daß die Bahn für Rechnung und unter Leitung der Regierung erbaut werden soll. Der Thronfolger erfüllte den Befehl am 19. Mai 1891. Gleich darauf wurde der Bau der Ussuribahn in Angriff genommen. Ebenso wurde mit den Vorarbeiten für die Strecke Tscheljäbinsk-Tomsk begonnen. Nach Rückkehr des Thronfolgers wurde das Komitee für den Bau der S. eingesetzt. Zum Vorsitzenden wurde der Thronfolger ernannt und das Komitee mit ganz besonderen Vollmachten ausgestattet. Nicht nur die bauliche Durchführung des ganzen Unternehmens ruhte in erster Linie in der Hand des Komitees, sondern namentlich auch die sämtlichen zahlreichen Hilfsunternehmungen, die für die gedeihliche Entwicklung der Bahn und des Landes sehr wichtig waren. Die Linienführung verursachte zunächst in dem wenig erforschten, wenig bekannten Lande außerordentliche Schwierigkeiten. Allerdings waren bei der Ussuribahn in dieser Beziehung wenig Bedenken; denn sie war durch den Flußlauf auf der einen und den Ozean auf der andern Seite von selbst gegeben. Anders lagen die Verhältnisse auf dem westlichen Teil des großen Schienenwegs. Hier wuchsen die Schwierigkeiten beim Vorschreiten nach Osten ständig und machten zunächst eine Unterbrechung des Bahnbaues mit Erreichung des Baikalsees notwendig, weil die Baikal-Umgehungsbahn

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 9. Berlin, Wien, 1921, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen09_1921/39>, abgerufen am 21.11.2024.