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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.

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in der mehr als 25jährigen Regierung die leitenden Männer mehrfach gewechselt haben. Der Kaiser, der sich wiederholt Vorschläge über den Ausbau des Eisenbahnnetzes ausarbeiten ließ, blieb in den Hauptpunkten des von ihm gebilligten allgemeinen Programms fest. Hiernach sollte, neben der zentralen Bedeutung Moskaus, an folgenden 3 Gesichtspunkten festgehalten werden:

1. Erreichung der westlichen Landesgrenze. Es geschah das bei: Wirballen (1861), Alexandrow (1862), Wolotschisk (1871), Grajewo (1873), Radsiwilow (1874), Ungeni (1875), Mlawa (1877), Reni (1877).

2. Erreichung des Wolgastroms, als der größten Verkehrsstraße des Landes, und dessen Verbindung mit den Hafenplätzen an der Ostsee: St. Petersburg, Riga, Reval. Der Wolgastrom wurde erreicht bei: Nishni-Nowgorod (1862), Rybinsk (1870), Jaroslawl (1870), Ssaratow (1870), Kineschma (1871), Zarizyn (1871), Ssamara (1877), Ssysran (1877).

3. Erreichung des Asowschen und des Schwarzen Meeres, um dem fruchtreichen, süd- und mittelrussischen Steppengebiet Zugang zum Meer zu schaffen. Es geschah das bei: Odessa (1865), Rostow a. D. (1869), Taganrog (1869), Nikolajew (1873), Ssewastopol (1875).

Bei der Ausführung ist im großen und ganzen auf die Herstellung der kürzesten Verbindung Bedacht genommen worden, was man leicht erkennt, wenn man die Eisenbahnkarte vom Anfang des Jahres 1881 zur Hand nimmt. Alle diese Tatsachen sprechen dafür, daß beim Ausbau des europäischen Schienennetzes ein klares Bild von der Notwendigkeit der Erfüllung ganz bestimmter Forderungen vorschwebte. Von einem Zufall bei der Auswahl dieser Verbindungen kann, soweit die großen Bahnverbindungen in Frage kommen, gerechterweise nicht die Rede sein.

Dieser zweite Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte des europäischen Eisenbahnnetzes Rußlands mit seiner ausschließlichen Begünstigung des Privatbahnbaues hatte das Werk Nicolais I., Staatseisenbahnen zu bauen, nicht nur nicht weiter ausgestaltet, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten einen so gewaltigen Druck ausgeübt, daß die vorhandenen Staatsbahnen (954 Werst) sogar der Privatunternehmung abgetreten wurden. Die Nicolai-Bahn (1868)1 und ebenso die kurze Strecke Petersburg-Gatschina (45 Werst, 1857) wurden an die "Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen" verkauft, während die Warschau-Wiener Bahn1 an eine Privatgesellschaft verpachtet wurde (1857). Namentlich der Verkauf der Nicolai-Bahn war ein sehr wichtiger und aus finanzpolitischen Erwägungen ein ebenso richtig gewählter Schritt, denn dadurch wurden Mittel beschafft, um auf dem beschrittenen Weg, die Privatunternehmung zu unterstützen, weiter vorgehen zu können2.

Aber auch die Verpachtung der Warschau-Wiener Bahn wirkte zur Verbesserung der finanziellen Lage wesentlich mit. Es war eine Befreiung von drückender Last, als es gelang für die Bahn eine leistungsfähige Gesellschaft zu finden (1857), die sie in Pacht übernahm. Die Tabelle I (S. 272 u. 273) zeigt deutlich, wie richtig die Mittel gewählt waren, um die Bautätigkeit zu fördern. Erst als sich unerwartet drohende Wolken über dem Balkan zusammenzogen, mußten alle verfügbaren Mittel geschont werden, um für einen möglichen Krieg bereitgehalten zu werden.

Der Krieg brach am 12./24. April 1877 los und währte bis zum 31. Januar/12. Februar 1878. Wenn er auch siegreich beendet worden ist, so hatte er in bezug auf die Eisenbahnen doch mancherlei Bedenken wachgerufen. Schon vor seinem Beginn waren dem Kaiser in einem Bericht die unzureichende Leistungsfähigkeit und die hohen, in der Zersplitterung des Eisenbahnnetzes begründeten Verwaltungskosten vorgetragen worden. Dieser Bericht über das Jahr 1876 weist bereits darauf hin, daß die vorhandenen rd. 18.000 Werst Eisenbahnen unter 43 Gesellschaften verteilt sind, die, jede nur auf ihren Vorteil bedacht, in einen sehr lebhaften Wettbewerb untereinander treten und dabei die Wirtschaftlichkeit im allgemeinen außer acht lassen. Dazu kommt die Behinderung in der schnellen Durchführung des Betriebs, weil jede dieser Bahnen an ihrem Anfangs- und Endpunkt ein förmliches Übergabe- und Übernahmeverfahren der beladenen und leeren Wagen durchführte.

Der Bericht gibt dann dem Gedanken Ausdruck, daß eine Besserung dieser Verhältnisse erreichbar wäre durch Vereinigung mehrerer Bahnen und Bildung großer Gruppen. Der Kaiser, der stets ein ganz besonderes Interesse dem Eisenbahnwesen entgegenbrachte, schrieb an den Rand des Berichts, daß dies außerordentlich wünschenswert wäre. Damit war der Weg für die weitere Entwicklung vorgezeichnet, aber auch die Erfahrungen, die während des Krieges 1877/78 gemacht worden waren, trieben zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse.

1 s. Nicolai-Bahn, Bd. VII, S. 345.
1 s. Warschau-Wiener Bahn.
2 s. Finanzierung, S. 267.

in der mehr als 25jährigen Regierung die leitenden Männer mehrfach gewechselt haben. Der Kaiser, der sich wiederholt Vorschläge über den Ausbau des Eisenbahnnetzes ausarbeiten ließ, blieb in den Hauptpunkten des von ihm gebilligten allgemeinen Programms fest. Hiernach sollte, neben der zentralen Bedeutung Moskaus, an folgenden 3 Gesichtspunkten festgehalten werden:

1. Erreichung der westlichen Landesgrenze. Es geschah das bei: Wirballen (1861), Alexandrow (1862), Wolotschisk (1871), Grajewo (1873), Radsiwilow (1874), Ungeni (1875), Mlawa (1877), Reni (1877).

2. Erreichung des Wolgastroms, als der größten Verkehrsstraße des Landes, und dessen Verbindung mit den Hafenplätzen an der Ostsee: St. Petersburg, Riga, Reval. Der Wolgastrom wurde erreicht bei: Nishni-Nowgorod (1862), Rybinsk (1870), Jaroslawl (1870), Ssaratow (1870), Kineschma (1871), Zarizyn (1871), Ssamara (1877), Ssysran (1877).

3. Erreichung des Asowschen und des Schwarzen Meeres, um dem fruchtreichen, süd- und mittelrussischen Steppengebiet Zugang zum Meer zu schaffen. Es geschah das bei: Odessa (1865), Rostow a. D. (1869), Taganrog (1869), Nikolajew (1873), Ssewastopol (1875).

Bei der Ausführung ist im großen und ganzen auf die Herstellung der kürzesten Verbindung Bedacht genommen worden, was man leicht erkennt, wenn man die Eisenbahnkarte vom Anfang des Jahres 1881 zur Hand nimmt. Alle diese Tatsachen sprechen dafür, daß beim Ausbau des europäischen Schienennetzes ein klares Bild von der Notwendigkeit der Erfüllung ganz bestimmter Forderungen vorschwebte. Von einem Zufall bei der Auswahl dieser Verbindungen kann, soweit die großen Bahnverbindungen in Frage kommen, gerechterweise nicht die Rede sein.

Dieser zweite Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte des europäischen Eisenbahnnetzes Rußlands mit seiner ausschließlichen Begünstigung des Privatbahnbaues hatte das Werk Nicolais I., Staatseisenbahnen zu bauen, nicht nur nicht weiter ausgestaltet, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten einen so gewaltigen Druck ausgeübt, daß die vorhandenen Staatsbahnen (954 Werst) sogar der Privatunternehmung abgetreten wurden. Die Nicolai-Bahn (1868)1 und ebenso die kurze Strecke Petersburg-Gatschina (45 Werst, 1857) wurden an die „Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen“ verkauft, während die Warschau-Wiener Bahn1 an eine Privatgesellschaft verpachtet wurde (1857). Namentlich der Verkauf der Nicolai-Bahn war ein sehr wichtiger und aus finanzpolitischen Erwägungen ein ebenso richtig gewählter Schritt, denn dadurch wurden Mittel beschafft, um auf dem beschrittenen Weg, die Privatunternehmung zu unterstützen, weiter vorgehen zu können2.

Aber auch die Verpachtung der Warschau-Wiener Bahn wirkte zur Verbesserung der finanziellen Lage wesentlich mit. Es war eine Befreiung von drückender Last, als es gelang für die Bahn eine leistungsfähige Gesellschaft zu finden (1857), die sie in Pacht übernahm. Die Tabelle I (S. 272 u. 273) zeigt deutlich, wie richtig die Mittel gewählt waren, um die Bautätigkeit zu fördern. Erst als sich unerwartet drohende Wolken über dem Balkan zusammenzogen, mußten alle verfügbaren Mittel geschont werden, um für einen möglichen Krieg bereitgehalten zu werden.

Der Krieg brach am 12./24. April 1877 los und währte bis zum 31. Januar/12. Februar 1878. Wenn er auch siegreich beendet worden ist, so hatte er in bezug auf die Eisenbahnen doch mancherlei Bedenken wachgerufen. Schon vor seinem Beginn waren dem Kaiser in einem Bericht die unzureichende Leistungsfähigkeit und die hohen, in der Zersplitterung des Eisenbahnnetzes begründeten Verwaltungskosten vorgetragen worden. Dieser Bericht über das Jahr 1876 weist bereits darauf hin, daß die vorhandenen rd. 18.000 Werst Eisenbahnen unter 43 Gesellschaften verteilt sind, die, jede nur auf ihren Vorteil bedacht, in einen sehr lebhaften Wettbewerb untereinander treten und dabei die Wirtschaftlichkeit im allgemeinen außer acht lassen. Dazu kommt die Behinderung in der schnellen Durchführung des Betriebs, weil jede dieser Bahnen an ihrem Anfangs- und Endpunkt ein förmliches Übergabe- und Übernahmeverfahren der beladenen und leeren Wagen durchführte.

Der Bericht gibt dann dem Gedanken Ausdruck, daß eine Besserung dieser Verhältnisse erreichbar wäre durch Vereinigung mehrerer Bahnen und Bildung großer Gruppen. Der Kaiser, der stets ein ganz besonderes Interesse dem Eisenbahnwesen entgegenbrachte, schrieb an den Rand des Berichts, daß dies außerordentlich wünschenswert wäre. Damit war der Weg für die weitere Entwicklung vorgezeichnet, aber auch die Erfahrungen, die während des Krieges 1877/78 gemacht worden waren, trieben zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse.

1 s. Nicolai-Bahn, Bd. VII, S. 345.
1 s. Warschau-Wiener Bahn.
2 s. Finanzierung, S. 267.
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          <p>Der Bericht gibt dann dem Gedanken Ausdruck, daß eine Besserung dieser Verhältnisse erreichbar wäre durch Vereinigung mehrerer Bahnen und Bildung großer Gruppen. Der Kaiser, der stets ein ganz besonderes Interesse dem Eisenbahnwesen entgegenbrachte, schrieb an den Rand des Berichts, daß dies außerordentlich wünschenswert wäre. Damit war der Weg für die weitere Entwicklung vorgezeichnet, aber auch die Erfahrungen, die während des Krieges 1877/78 gemacht worden waren, trieben zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse.
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[263/0278] in der mehr als 25jährigen Regierung die leitenden Männer mehrfach gewechselt haben. Der Kaiser, der sich wiederholt Vorschläge über den Ausbau des Eisenbahnnetzes ausarbeiten ließ, blieb in den Hauptpunkten des von ihm gebilligten allgemeinen Programms fest. Hiernach sollte, neben der zentralen Bedeutung Moskaus, an folgenden 3 Gesichtspunkten festgehalten werden: 1. Erreichung der westlichen Landesgrenze. Es geschah das bei: Wirballen (1861), Alexandrow (1862), Wolotschisk (1871), Grajewo (1873), Radsiwilow (1874), Ungeni (1875), Mlawa (1877), Reni (1877). 2. Erreichung des Wolgastroms, als der größten Verkehrsstraße des Landes, und dessen Verbindung mit den Hafenplätzen an der Ostsee: St. Petersburg, Riga, Reval. Der Wolgastrom wurde erreicht bei: Nishni-Nowgorod (1862), Rybinsk (1870), Jaroslawl (1870), Ssaratow (1870), Kineschma (1871), Zarizyn (1871), Ssamara (1877), Ssysran (1877). 3. Erreichung des Asowschen und des Schwarzen Meeres, um dem fruchtreichen, süd- und mittelrussischen Steppengebiet Zugang zum Meer zu schaffen. Es geschah das bei: Odessa (1865), Rostow a. D. (1869), Taganrog (1869), Nikolajew (1873), Ssewastopol (1875). Bei der Ausführung ist im großen und ganzen auf die Herstellung der kürzesten Verbindung Bedacht genommen worden, was man leicht erkennt, wenn man die Eisenbahnkarte vom Anfang des Jahres 1881 zur Hand nimmt. Alle diese Tatsachen sprechen dafür, daß beim Ausbau des europäischen Schienennetzes ein klares Bild von der Notwendigkeit der Erfüllung ganz bestimmter Forderungen vorschwebte. Von einem Zufall bei der Auswahl dieser Verbindungen kann, soweit die großen Bahnverbindungen in Frage kommen, gerechterweise nicht die Rede sein. Dieser zweite Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte des europäischen Eisenbahnnetzes Rußlands mit seiner ausschließlichen Begünstigung des Privatbahnbaues hatte das Werk Nicolais I., Staatseisenbahnen zu bauen, nicht nur nicht weiter ausgestaltet, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten einen so gewaltigen Druck ausgeübt, daß die vorhandenen Staatsbahnen (954 Werst) sogar der Privatunternehmung abgetreten wurden. Die Nicolai-Bahn (1868) 1 und ebenso die kurze Strecke Petersburg-Gatschina (45 Werst, 1857) wurden an die „Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen“ verkauft, während die Warschau-Wiener Bahn 1 an eine Privatgesellschaft verpachtet wurde (1857). Namentlich der Verkauf der Nicolai-Bahn war ein sehr wichtiger und aus finanzpolitischen Erwägungen ein ebenso richtig gewählter Schritt, denn dadurch wurden Mittel beschafft, um auf dem beschrittenen Weg, die Privatunternehmung zu unterstützen, weiter vorgehen zu können 2. Aber auch die Verpachtung der Warschau-Wiener Bahn wirkte zur Verbesserung der finanziellen Lage wesentlich mit. Es war eine Befreiung von drückender Last, als es gelang für die Bahn eine leistungsfähige Gesellschaft zu finden (1857), die sie in Pacht übernahm. Die Tabelle I (S. 272 u. 273) zeigt deutlich, wie richtig die Mittel gewählt waren, um die Bautätigkeit zu fördern. Erst als sich unerwartet drohende Wolken über dem Balkan zusammenzogen, mußten alle verfügbaren Mittel geschont werden, um für einen möglichen Krieg bereitgehalten zu werden. Der Krieg brach am 12./24. April 1877 los und währte bis zum 31. Januar/12. Februar 1878. Wenn er auch siegreich beendet worden ist, so hatte er in bezug auf die Eisenbahnen doch mancherlei Bedenken wachgerufen. Schon vor seinem Beginn waren dem Kaiser in einem Bericht die unzureichende Leistungsfähigkeit und die hohen, in der Zersplitterung des Eisenbahnnetzes begründeten Verwaltungskosten vorgetragen worden. Dieser Bericht über das Jahr 1876 weist bereits darauf hin, daß die vorhandenen rd. 18.000 Werst Eisenbahnen unter 43 Gesellschaften verteilt sind, die, jede nur auf ihren Vorteil bedacht, in einen sehr lebhaften Wettbewerb untereinander treten und dabei die Wirtschaftlichkeit im allgemeinen außer acht lassen. Dazu kommt die Behinderung in der schnellen Durchführung des Betriebs, weil jede dieser Bahnen an ihrem Anfangs- und Endpunkt ein förmliches Übergabe- und Übernahmeverfahren der beladenen und leeren Wagen durchführte. Der Bericht gibt dann dem Gedanken Ausdruck, daß eine Besserung dieser Verhältnisse erreichbar wäre durch Vereinigung mehrerer Bahnen und Bildung großer Gruppen. Der Kaiser, der stets ein ganz besonderes Interesse dem Eisenbahnwesen entgegenbrachte, schrieb an den Rand des Berichts, daß dies außerordentlich wünschenswert wäre. Damit war der Weg für die weitere Entwicklung vorgezeichnet, aber auch die Erfahrungen, die während des Krieges 1877/78 gemacht worden waren, trieben zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse. 1 s. Nicolai-Bahn, Bd. VII, S. 345. 1 s. Warschau-Wiener Bahn. 2 s. Finanzierung, S. 267.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen08_1917/278>, abgerufen am 24.11.2024.