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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.

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zu seiner Fortbildung. (Generalkonferenz. Ständige Tarifkommission. Ausschuß der Verkehrsinteressenten.) Ein im Jahre 1879 vom Reichskanzler unternommener Versuch, eine Regelung der Gütertarife durch Reichsgesetz zu stande zu bringen, wurde nicht weiter verfolgt, weil die deutschen Mittelstaaten unter Führung von Württemberg und Baden verfassungsmäßige Bedenken erhoben. In den Jahren 1875 und 1876 stellte der Reichskanzler den Plan zur öffentlichen Erörterung, die Schwierigkeiten einer reichsgesetzlichen Regelung der Eisenbahnfrage dadurch zu beseitigen, daß das Reich sich in den Besitz der Hauptbahnen Deutschlands setze. Der Gedanke führte zunächst zu dem preußischen Ges. vom 4. Juni 1876 (GS. S. 161), in dem die preußische Regierung ermächtigt wird, den gesamten Eisenbahnbesitz Preußens gegen Entschädigung an das Reich zu übertragen. Das Reich sollte in den Stand gesetzt werden, durch Verwaltung und Betrieb eines umfassenden Eisenbahnnetzes seinen Einfluß auch auf die übrigen Eisenbahnen zu betätigen. Die Ausführung des Ges. vom 4. Juni 1876 begegnete indes bei den übrigen deutschen Regierungen unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Verhandlungen über alle diese Fragen reiften beim Reichskanzler die Überzeugung, daß eine gesunde, den wirtschaftlichen und militärischen Interessen des Landes dienende Regelung des Eisenbahnwesens bei dem Fortbestehen mächtiger Privatbahnen nicht durchzuführen sei und daß daher der Übergang zum reinen Staatsbahnsystem in Preußen in Erwägung gezogen werden müsse.

In der Begründung des Ges. vom 4. Juni 1876 war daher schon ausgesprochen, daß, wenn das Reich ablehnen sollte, den vorgeschlagenen Weg zu betreten, Preußen genötigt sein werde, den dem Reich zugedachten Einfluß auf das Eisenbahnwesen seinerseits auszuüben, daß dann Preußen allein an die Lösung der Eisenbahnfrage mit aller Energie herantreten und vor allem die Erweiterung und die Konsolidation seines eigenen Staatsbahnbesitzes als das nächste Ziel seiner Eisenbahnpolitik betrachten werde.

5. Der Minister Achenbach trat mit einigen kleinen Privatbahnen in Ankaufsverhandlungen die nicht zum Ziel führten. Er schied am 1. April 1878 aus seinem Amt und der Unterstaatssekretär Maybach wurde zum Handelsminister ernannt. Diesem gelang es, im Jahre 1879 mit einer Anzahl größerer Privatbahnen Verträge über den Erwerb ihrer Linien für der Staat abzuschließen, deren Genehmigung in einer Vorlage vom 29. Oktober 1879 an den Landtag nachgesucht wurde. Eine ausführliche, dieser Vorlage beigegebene Denkschrift begründete die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Übergangs von dem sog. gemischten zum reinen Staatsbahn System (Nr. 5 der Drucksachen des Abgeordnetenhauses, H. Legislaturperiode, 1. Session 1879/80). Nach eingehender Beratung genehmigte der Landtag diese Verträge, gab also grundsätzlich seine Zustimmung zu der neuen Richtung der preußischen Eisenbahnpolitik. Die erste Vorlage der Regierung wurde als Ges. vom 20. Dezember 1879 (GS. S. 635) veröffentlicht. Die Mehrzahl der Verträge war in der Weise abgeschlossen, daß der Staat die sämtlichen Verbindlichkeiten der Bahnen übernahm, den Aktionären einstweilen eine feste Rente zahlte und sich verpflichtete, bei Erwerb des Eigentums die Aktien gegen eine bestimmte Summe von preußischen Konsols umzutauschen. Bei einzelnen Bahnen erfolgte der Eigentumserwerb und der Umtausch der Aktien in Konsols sofort, andere erhielten neben der Rente noch eine feste Zuzahlung. Die Verwaltung aller Bahnen übernahm der Staat sogleich für eigene Rechnung. In der nachfolgenden Übersicht sind die vom Jahre 1872 bis zum 31. März 1914 vom Staat angekauften Privatbahnen und die finanziellen Bedingungen des Ankaufs zusammengestellt1. Es ergibt sich daraus, daß der Staat in dieser Zeit, ausschließlich der früher zur hessischen Ludwigsbahn gehörigen 146·42 km, 15.666·69 km Privatbahnen für einen Kaufpreis von 4.394,711.968 M. erworben hat Mit den Bahnen sind dem Staat 5314 Lokomotiven und 129.336 Wagen sowie Aktivfonds im Gesamtbetrag von 210,843.571 M. zugefallen. Durch Ges. vom 10. Juni 1914 hat der Staat auch die kleine, 9·62 km lange, in den Frankfurter Bahnhof einmündende Cronberger Eisenbahn (Nebenbahn) erworben. Das Aktienkapital von 1·2 Mill. M. ist gegen 3%ige Staatsschuldverschreibungen umgetauscht. Der Staat hat die zur Deckung einer schwebenden Schuld und Umbauten erforderliche Summe von 650.000 M. aus seinen Mitteln aufzubringen.

In der Übersicht sind unter besonderem Buchstaben (b) die Strecken der früheren hessischen Ludwigsbahn, die teils durch Preußen, teils durch das Großherzogtum Hessen angekauft sind, aufgeführt (vgl. S. 126).

1 Die tatsächlichen Angaben und Zahlen in. den nachstehenden sowie in den weiter folgenden Übersichten sind durchweg amtlichen Quellen entnommen. Soweit sie untereinander nicht genau übereinstimmen, liegt das daran, daß diese Quellen nicht immer denselben Zeitraum und dasselbe Gebiet umfassen. In den Überschriften der Tabellen und in den Tabellen selbst ist das Nähere bemerkt.

zu seiner Fortbildung. (Generalkonferenz. Ständige Tarifkommission. Ausschuß der Verkehrsinteressenten.) Ein im Jahre 1879 vom Reichskanzler unternommener Versuch, eine Regelung der Gütertarife durch Reichsgesetz zu stande zu bringen, wurde nicht weiter verfolgt, weil die deutschen Mittelstaaten unter Führung von Württemberg und Baden verfassungsmäßige Bedenken erhoben. In den Jahren 1875 und 1876 stellte der Reichskanzler den Plan zur öffentlichen Erörterung, die Schwierigkeiten einer reichsgesetzlichen Regelung der Eisenbahnfrage dadurch zu beseitigen, daß das Reich sich in den Besitz der Hauptbahnen Deutschlands setze. Der Gedanke führte zunächst zu dem preußischen Ges. vom 4. Juni 1876 (GS. S. 161), in dem die preußische Regierung ermächtigt wird, den gesamten Eisenbahnbesitz Preußens gegen Entschädigung an das Reich zu übertragen. Das Reich sollte in den Stand gesetzt werden, durch Verwaltung und Betrieb eines umfassenden Eisenbahnnetzes seinen Einfluß auch auf die übrigen Eisenbahnen zu betätigen. Die Ausführung des Ges. vom 4. Juni 1876 begegnete indes bei den übrigen deutschen Regierungen unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Verhandlungen über alle diese Fragen reiften beim Reichskanzler die Überzeugung, daß eine gesunde, den wirtschaftlichen und militärischen Interessen des Landes dienende Regelung des Eisenbahnwesens bei dem Fortbestehen mächtiger Privatbahnen nicht durchzuführen sei und daß daher der Übergang zum reinen Staatsbahnsystem in Preußen in Erwägung gezogen werden müsse.

In der Begründung des Ges. vom 4. Juni 1876 war daher schon ausgesprochen, daß, wenn das Reich ablehnen sollte, den vorgeschlagenen Weg zu betreten, Preußen genötigt sein werde, den dem Reich zugedachten Einfluß auf das Eisenbahnwesen seinerseits auszuüben, daß dann Preußen allein an die Lösung der Eisenbahnfrage mit aller Energie herantreten und vor allem die Erweiterung und die Konsolidation seines eigenen Staatsbahnbesitzes als das nächste Ziel seiner Eisenbahnpolitik betrachten werde.

5. Der Minister Achenbach trat mit einigen kleinen Privatbahnen in Ankaufsverhandlungen die nicht zum Ziel führten. Er schied am 1. April 1878 aus seinem Amt und der Unterstaatssekretär Maybach wurde zum Handelsminister ernannt. Diesem gelang es, im Jahre 1879 mit einer Anzahl größerer Privatbahnen Verträge über den Erwerb ihrer Linien für der Staat abzuschließen, deren Genehmigung in einer Vorlage vom 29. Oktober 1879 an den Landtag nachgesucht wurde. Eine ausführliche, dieser Vorlage beigegebene Denkschrift begründete die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Übergangs von dem sog. gemischten zum reinen Staatsbahn System (Nr. 5 der Drucksachen des Abgeordnetenhauses, H. Legislaturperiode, 1. Session 1879/80). Nach eingehender Beratung genehmigte der Landtag diese Verträge, gab also grundsätzlich seine Zustimmung zu der neuen Richtung der preußischen Eisenbahnpolitik. Die erste Vorlage der Regierung wurde als Ges. vom 20. Dezember 1879 (GS. S. 635) veröffentlicht. Die Mehrzahl der Verträge war in der Weise abgeschlossen, daß der Staat die sämtlichen Verbindlichkeiten der Bahnen übernahm, den Aktionären einstweilen eine feste Rente zahlte und sich verpflichtete, bei Erwerb des Eigentums die Aktien gegen eine bestimmte Summe von preußischen Konsols umzutauschen. Bei einzelnen Bahnen erfolgte der Eigentumserwerb und der Umtausch der Aktien in Konsols sofort, andere erhielten neben der Rente noch eine feste Zuzahlung. Die Verwaltung aller Bahnen übernahm der Staat sogleich für eigene Rechnung. In der nachfolgenden Übersicht sind die vom Jahre 1872 bis zum 31. März 1914 vom Staat angekauften Privatbahnen und die finanziellen Bedingungen des Ankaufs zusammengestellt1. Es ergibt sich daraus, daß der Staat in dieser Zeit, ausschließlich der früher zur hessischen Ludwigsbahn gehörigen 146·42 km, 15.666·69 km Privatbahnen für einen Kaufpreis von 4.394,711.968 M. erworben hat Mit den Bahnen sind dem Staat 5314 Lokomotiven und 129.336 Wagen sowie Aktivfonds im Gesamtbetrag von 210,843.571 M. zugefallen. Durch Ges. vom 10. Juni 1914 hat der Staat auch die kleine, 9·62 km lange, in den Frankfurter Bahnhof einmündende Cronberger Eisenbahn (Nebenbahn) erworben. Das Aktienkapital von 1·2 Mill. M. ist gegen 3%ige Staatsschuldverschreibungen umgetauscht. Der Staat hat die zur Deckung einer schwebenden Schuld und Umbauten erforderliche Summe von 650.000 M. aus seinen Mitteln aufzubringen.

In der Übersicht sind unter besonderem Buchstaben (b) die Strecken der früheren hessischen Ludwigsbahn, die teils durch Preußen, teils durch das Großherzogtum Hessen angekauft sind, aufgeführt (vgl. S. 126).

1 Die tatsächlichen Angaben und Zahlen in. den nachstehenden sowie in den weiter folgenden Übersichten sind durchweg amtlichen Quellen entnommen. Soweit sie untereinander nicht genau übereinstimmen, liegt das daran, daß diese Quellen nicht immer denselben Zeitraum und dasselbe Gebiet umfassen. In den Überschriften der Tabellen und in den Tabellen selbst ist das Nähere bemerkt.
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[121/0134] zu seiner Fortbildung. (Generalkonferenz. Ständige Tarifkommission. Ausschuß der Verkehrsinteressenten.) Ein im Jahre 1879 vom Reichskanzler unternommener Versuch, eine Regelung der Gütertarife durch Reichsgesetz zu stande zu bringen, wurde nicht weiter verfolgt, weil die deutschen Mittelstaaten unter Führung von Württemberg und Baden verfassungsmäßige Bedenken erhoben. In den Jahren 1875 und 1876 stellte der Reichskanzler den Plan zur öffentlichen Erörterung, die Schwierigkeiten einer reichsgesetzlichen Regelung der Eisenbahnfrage dadurch zu beseitigen, daß das Reich sich in den Besitz der Hauptbahnen Deutschlands setze. Der Gedanke führte zunächst zu dem preußischen Ges. vom 4. Juni 1876 (GS. S. 161), in dem die preußische Regierung ermächtigt wird, den gesamten Eisenbahnbesitz Preußens gegen Entschädigung an das Reich zu übertragen. Das Reich sollte in den Stand gesetzt werden, durch Verwaltung und Betrieb eines umfassenden Eisenbahnnetzes seinen Einfluß auch auf die übrigen Eisenbahnen zu betätigen. Die Ausführung des Ges. vom 4. Juni 1876 begegnete indes bei den übrigen deutschen Regierungen unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Verhandlungen über alle diese Fragen reiften beim Reichskanzler die Überzeugung, daß eine gesunde, den wirtschaftlichen und militärischen Interessen des Landes dienende Regelung des Eisenbahnwesens bei dem Fortbestehen mächtiger Privatbahnen nicht durchzuführen sei und daß daher der Übergang zum reinen Staatsbahnsystem in Preußen in Erwägung gezogen werden müsse. In der Begründung des Ges. vom 4. Juni 1876 war daher schon ausgesprochen, daß, wenn das Reich ablehnen sollte, den vorgeschlagenen Weg zu betreten, Preußen genötigt sein werde, den dem Reich zugedachten Einfluß auf das Eisenbahnwesen seinerseits auszuüben, daß dann Preußen allein an die Lösung der Eisenbahnfrage mit aller Energie herantreten und vor allem die Erweiterung und die Konsolidation seines eigenen Staatsbahnbesitzes als das nächste Ziel seiner Eisenbahnpolitik betrachten werde. 5. Der Minister Achenbach trat mit einigen kleinen Privatbahnen in Ankaufsverhandlungen die nicht zum Ziel führten. Er schied am 1. April 1878 aus seinem Amt und der Unterstaatssekretär Maybach wurde zum Handelsminister ernannt. Diesem gelang es, im Jahre 1879 mit einer Anzahl größerer Privatbahnen Verträge über den Erwerb ihrer Linien für der Staat abzuschließen, deren Genehmigung in einer Vorlage vom 29. Oktober 1879 an den Landtag nachgesucht wurde. Eine ausführliche, dieser Vorlage beigegebene Denkschrift begründete die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Übergangs von dem sog. gemischten zum reinen Staatsbahn System (Nr. 5 der Drucksachen des Abgeordnetenhauses, H. Legislaturperiode, 1. Session 1879/80). Nach eingehender Beratung genehmigte der Landtag diese Verträge, gab also grundsätzlich seine Zustimmung zu der neuen Richtung der preußischen Eisenbahnpolitik. Die erste Vorlage der Regierung wurde als Ges. vom 20. Dezember 1879 (GS. S. 635) veröffentlicht. Die Mehrzahl der Verträge war in der Weise abgeschlossen, daß der Staat die sämtlichen Verbindlichkeiten der Bahnen übernahm, den Aktionären einstweilen eine feste Rente zahlte und sich verpflichtete, bei Erwerb des Eigentums die Aktien gegen eine bestimmte Summe von preußischen Konsols umzutauschen. Bei einzelnen Bahnen erfolgte der Eigentumserwerb und der Umtausch der Aktien in Konsols sofort, andere erhielten neben der Rente noch eine feste Zuzahlung. Die Verwaltung aller Bahnen übernahm der Staat sogleich für eigene Rechnung. In der nachfolgenden Übersicht sind die vom Jahre 1872 bis zum 31. März 1914 vom Staat angekauften Privatbahnen und die finanziellen Bedingungen des Ankaufs zusammengestellt 1. Es ergibt sich daraus, daß der Staat in dieser Zeit, ausschließlich der früher zur hessischen Ludwigsbahn gehörigen 146·42 km, 15.666·69 km Privatbahnen für einen Kaufpreis von 4.394,711.968 M. erworben hat Mit den Bahnen sind dem Staat 5314 Lokomotiven und 129.336 Wagen sowie Aktivfonds im Gesamtbetrag von 210,843.571 M. zugefallen. Durch Ges. vom 10. Juni 1914 hat der Staat auch die kleine, 9·62 km lange, in den Frankfurter Bahnhof einmündende Cronberger Eisenbahn (Nebenbahn) erworben. Das Aktienkapital von 1·2 Mill. M. ist gegen 3%ige Staatsschuldverschreibungen umgetauscht. Der Staat hat die zur Deckung einer schwebenden Schuld und Umbauten erforderliche Summe von 650.000 M. aus seinen Mitteln aufzubringen. In der Übersicht sind unter besonderem Buchstaben (b) die Strecken der früheren hessischen Ludwigsbahn, die teils durch Preußen, teils durch das Großherzogtum Hessen angekauft sind, aufgeführt (vgl. S. 126). 1 Die tatsächlichen Angaben und Zahlen in. den nachstehenden sowie in den weiter folgenden Übersichten sind durchweg amtlichen Quellen entnommen. Soweit sie untereinander nicht genau übereinstimmen, liegt das daran, daß diese Quellen nicht immer denselben Zeitraum und dasselbe Gebiet umfassen. In den Überschriften der Tabellen und in den Tabellen selbst ist das Nähere bemerkt.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen08_1917/134>, abgerufen am 25.08.2024.