Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

Die E. vermehren die Einnahmen des Staates, u. zw. durch die Erhöhung der Verkehrs-, Einkommen- und Grundsteuern, Patentgebühren, Stempel, Zölle u. s. w. Außerdem ersparen die E. dem Staat Auslagen infolge der Leistungen, die den Bahnen für öffentliche Zwecke auferlegt werden (Post- und Militärbeförderung, unentgeltliche Beförderung von Zoll- und Finanzbeamten).

Schließlich verdankt der Staat den E. auch insofern eine Erhöhung an Einnahmen, als durch die E. die Entwicklung der Industrie gefördert und dadurch die Steuerkraft vermehrt wird.

Es ist kein Zweifel, daß die E. auch die verschiedenen Staaten einander näher bringt und durch die gewaltige Steigerung des Verkehrs, Begünstigung der Industrie, des Handels und des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgleichend wirkt.

Schon der ungehinderte Verkehr auf den Schienenwegen, der Übergang der Fahrzeuge aus einem Reich in ein anderes (bei den "Expreßzügen", wie Paris-Konstantinopel, Petersburg-Nizza, Berlin-Rom u. s. w.) veranlaßte zu einheitlichen internationalen Grundsätzen, wie die verschiedenen internationalen Kongresse, die jetzt auf allen Gebieten stattfinden, beweisen. Sie sind das unmittelbare Ergebnis der ausgleichenden Macht des durch die E. geschaffenen Weltverkehrs, der alle Reichsgrenzen gewaltsam durchbricht.

In sozialer Beziehung ist die E. von besonderer Bedeutung für die unteren Klassen, die erfahrungsmäßig den größten Teil der Reisenden ausmachen. Der nicht seßhafte Arbeiter verdankt dem demokratischen Beförderungsmittel eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse; denn die E. ermöglicht ihm, dort den Erwerb zu suchen, wo er seine Arbeitskraft am besten verwerten kann. Regelmäßige Arbeiterzüge und ermäßigte Fahrpreise gestatten dem Arbeiter, seinen Wohnort außerhalb seines Beschäftigungsortes da zu nehmen, wo er billigere Lebensbedingungen vorfindet. Im Zusammenhang damit sind ganze Arbeiterkolonien zufällig oder planmäßig angelegt worden.

Hiermit mildern die E. auch eine ihrer schädlichen Wirkungen, die darin liegt, daß sie den Zuzug zu den großen Städten fort während vermehren (Landflucht) und daher mit dazu beitragen, die sozialen Schäden zu steigern, die der Verminderung der ackerbautreibenden Bevölkerung und einer übermäßigen Anhäufung der Bevölkerung in den Städten anhaften. Es ist nicht zu verkennen, daß die vielfache Berührung der Bevölkerung, die die E. ermöglichen, auch so manche andere geistige und sittliche Schäden mit sich bringt (Herumtreiben von Hochstaplern, Verbreitung gemeingefährlicher Bestrebungen).

Auch auf die Volksgesundheit sind die E. nicht ohne Einfluß, indem sie die Gefahr einer raschen Verbreitung von Epidemien und Tierseuchen heraufbeschwören. Aber gerade dadurch haben sie wieder das Bestreben gesteigert, der Verbreitung solcher Krankheiten nachdrücklich entgegenzuwirken und haben so neue große Erfolge der medizinischen Wissenschaft indirekt herbeigeführt. Nie vorher war es möglich, den Epidemien so wirksam Einhalt zu tun wie jetzt.

III. Einfluß der E. auf Volksbildung, Wissenschaften und Künste.

Die E. sind ein hervorragendes Bildungs- und Erziehungsmittel; sie erleichtern mit der Beseitigung der Entfernung das Studium fremder Kultur und gestatten die Benutzung der Lehranstalten und Kunstschätze in großen Zentren. Die Kunst- und Studienreisen haben ihren gegenwärtigen Umfang erst durch die E. erreicht. Der Besuch höherer Lehranstalten hat erst durch die E. seine jetzige Ausbildung erfahren, weil die Fahrpreisermäßigungen für Schüler auch minder bemittelte Eltern in den Stand setzen, ihren Kindern die Vorteile einer guten wissenschaftlichen Bildung zu teil werden zu lassen; auch steigerte der Eisenbahnbau und Eisenbahnbetrieb den Bedarf nach höher gebildeten Fachleuten. Die Benutzung der Bildungsmittel aller Art, der Zeitungen, Bücher u. s. w., wird durch die E. stark gefördert.

Die Kongresse und Zusammenkünfte zur Förderung wissenschaftlicher, politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Zwecke verdanken - wie schon erwähnt - ihr Dasein den E. Sie führten endlich in den Ausstellungen zu förmlichen Wettkämpfen in den Bestrebungen des Friedens. Diese stellten die vorzüglichsten Erzeugnisse der Industrie und Gewerbe, die verschiedenen gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste vor Augen, veranlaßten zum Prüfen und Vergleichen der Leistungen und Einrichtungen und geben zu weiteren Fortschritten auf allen Gebieten des Lebens Anstoß. Kein Vorteil, den Erfindungen und Fortschritte bieten, bleibt so Eigentum eines Volkes; er wird bald Gemeingut der ganzen Welt.

Man kann wohl behaupten, daß die wissenschaftliche Forschung und die Kunstpflege erst vermöge des durch die E. erleichterten Verkehrs im Eisenbahnzeitalter einen besonderen Aufschwung nahmen.

Die Blüte der Ingenieurwissenschaften und fast aller anderen technischen Wissenschaften ist vor allem den E. zu verdanken.

Die E. vermehren die Einnahmen des Staates, u. zw. durch die Erhöhung der Verkehrs-, Einkommen- und Grundsteuern, Patentgebühren, Stempel, Zölle u. s. w. Außerdem ersparen die E. dem Staat Auslagen infolge der Leistungen, die den Bahnen für öffentliche Zwecke auferlegt werden (Post- und Militärbeförderung, unentgeltliche Beförderung von Zoll- und Finanzbeamten).

Schließlich verdankt der Staat den E. auch insofern eine Erhöhung an Einnahmen, als durch die E. die Entwicklung der Industrie gefördert und dadurch die Steuerkraft vermehrt wird.

Es ist kein Zweifel, daß die E. auch die verschiedenen Staaten einander näher bringt und durch die gewaltige Steigerung des Verkehrs, Begünstigung der Industrie, des Handels und des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgleichend wirkt.

Schon der ungehinderte Verkehr auf den Schienenwegen, der Übergang der Fahrzeuge aus einem Reich in ein anderes (bei den „Expreßzügen“, wie Paris-Konstantinopel, Petersburg-Nizza, Berlin-Rom u. s. w.) veranlaßte zu einheitlichen internationalen Grundsätzen, wie die verschiedenen internationalen Kongresse, die jetzt auf allen Gebieten stattfinden, beweisen. Sie sind das unmittelbare Ergebnis der ausgleichenden Macht des durch die E. geschaffenen Weltverkehrs, der alle Reichsgrenzen gewaltsam durchbricht.

In sozialer Beziehung ist die E. von besonderer Bedeutung für die unteren Klassen, die erfahrungsmäßig den größten Teil der Reisenden ausmachen. Der nicht seßhafte Arbeiter verdankt dem demokratischen Beförderungsmittel eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse; denn die E. ermöglicht ihm, dort den Erwerb zu suchen, wo er seine Arbeitskraft am besten verwerten kann. Regelmäßige Arbeiterzüge und ermäßigte Fahrpreise gestatten dem Arbeiter, seinen Wohnort außerhalb seines Beschäftigungsortes da zu nehmen, wo er billigere Lebensbedingungen vorfindet. Im Zusammenhang damit sind ganze Arbeiterkolonien zufällig oder planmäßig angelegt worden.

Hiermit mildern die E. auch eine ihrer schädlichen Wirkungen, die darin liegt, daß sie den Zuzug zu den großen Städten fort während vermehren (Landflucht) und daher mit dazu beitragen, die sozialen Schäden zu steigern, die der Verminderung der ackerbautreibenden Bevölkerung und einer übermäßigen Anhäufung der Bevölkerung in den Städten anhaften. Es ist nicht zu verkennen, daß die vielfache Berührung der Bevölkerung, die die E. ermöglichen, auch so manche andere geistige und sittliche Schäden mit sich bringt (Herumtreiben von Hochstaplern, Verbreitung gemeingefährlicher Bestrebungen).

Auch auf die Volksgesundheit sind die E. nicht ohne Einfluß, indem sie die Gefahr einer raschen Verbreitung von Epidemien und Tierseuchen heraufbeschwören. Aber gerade dadurch haben sie wieder das Bestreben gesteigert, der Verbreitung solcher Krankheiten nachdrücklich entgegenzuwirken und haben so neue große Erfolge der medizinischen Wissenschaft indirekt herbeigeführt. Nie vorher war es möglich, den Epidemien so wirksam Einhalt zu tun wie jetzt.

III. Einfluß der E. auf Volksbildung, Wissenschaften und Künste.

Die E. sind ein hervorragendes Bildungs- und Erziehungsmittel; sie erleichtern mit der Beseitigung der Entfernung das Studium fremder Kultur und gestatten die Benutzung der Lehranstalten und Kunstschätze in großen Zentren. Die Kunst- und Studienreisen haben ihren gegenwärtigen Umfang erst durch die E. erreicht. Der Besuch höherer Lehranstalten hat erst durch die E. seine jetzige Ausbildung erfahren, weil die Fahrpreisermäßigungen für Schüler auch minder bemittelte Eltern in den Stand setzen, ihren Kindern die Vorteile einer guten wissenschaftlichen Bildung zu teil werden zu lassen; auch steigerte der Eisenbahnbau und Eisenbahnbetrieb den Bedarf nach höher gebildeten Fachleuten. Die Benutzung der Bildungsmittel aller Art, der Zeitungen, Bücher u. s. w., wird durch die E. stark gefördert.

Die Kongresse und Zusammenkünfte zur Förderung wissenschaftlicher, politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Zwecke verdanken – wie schon erwähnt – ihr Dasein den E. Sie führten endlich in den Ausstellungen zu förmlichen Wettkämpfen in den Bestrebungen des Friedens. Diese stellten die vorzüglichsten Erzeugnisse der Industrie und Gewerbe, die verschiedenen gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste vor Augen, veranlaßten zum Prüfen und Vergleichen der Leistungen und Einrichtungen und geben zu weiteren Fortschritten auf allen Gebieten des Lebens Anstoß. Kein Vorteil, den Erfindungen und Fortschritte bieten, bleibt so Eigentum eines Volkes; er wird bald Gemeingut der ganzen Welt.

Man kann wohl behaupten, daß die wissenschaftliche Forschung und die Kunstpflege erst vermöge des durch die E. erleichterten Verkehrs im Eisenbahnzeitalter einen besonderen Aufschwung nahmen.

Die Blüte der Ingenieurwissenschaften und fast aller anderen technischen Wissenschaften ist vor allem den E. zu verdanken.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="lexiconEntry" n="2">
          <pb facs="#f0043" n="34"/>
          <p>Die E. vermehren die <hi rendition="#g">Einnahmen des Staates</hi>, u. zw. durch die Erhöhung der Verkehrs-, Einkommen- und Grundsteuern, Patentgebühren, Stempel, Zölle u. s. w. Außerdem ersparen die E. dem Staat Auslagen infolge der Leistungen, die den Bahnen für öffentliche Zwecke auferlegt werden (Post- und Militärbeförderung, unentgeltliche Beförderung von Zoll- und Finanzbeamten).</p><lb/>
          <p>Schließlich verdankt der Staat den E. auch insofern eine Erhöhung an Einnahmen, als durch die E. die Entwicklung der Industrie gefördert und dadurch die Steuerkraft vermehrt wird.</p><lb/>
          <p>Es ist kein Zweifel, daß die E. auch die verschiedenen Staaten einander näher bringt und durch die gewaltige Steigerung des Verkehrs, Begünstigung der Industrie, des Handels und des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgleichend wirkt.</p><lb/>
          <p>Schon der ungehinderte Verkehr auf den Schienenwegen, der Übergang der Fahrzeuge aus einem Reich in ein anderes (bei den &#x201E;Expreßzügen&#x201C;, wie Paris-Konstantinopel, Petersburg-Nizza, Berlin-Rom u. s. w.) veranlaßte zu einheitlichen internationalen Grundsätzen, wie die verschiedenen internationalen Kongresse, die jetzt auf allen Gebieten stattfinden, beweisen. Sie sind das unmittelbare Ergebnis der ausgleichenden Macht des durch die E. geschaffenen Weltverkehrs, der alle Reichsgrenzen gewaltsam durchbricht.</p><lb/>
          <p>In <hi rendition="#g">sozialer</hi> Beziehung ist die E. von besonderer Bedeutung für die unteren Klassen, die erfahrungsmäßig den größten Teil der Reisenden ausmachen. Der nicht seßhafte Arbeiter verdankt dem demokratischen Beförderungsmittel eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse; denn die E. ermöglicht ihm, dort den Erwerb zu suchen, wo er seine Arbeitskraft am besten verwerten kann. Regelmäßige Arbeiterzüge und ermäßigte Fahrpreise gestatten dem Arbeiter, seinen Wohnort außerhalb seines Beschäftigungsortes da zu nehmen, wo er billigere Lebensbedingungen vorfindet. Im Zusammenhang damit sind ganze Arbeiterkolonien zufällig oder planmäßig angelegt worden.</p><lb/>
          <p>Hiermit mildern die E. auch eine ihrer schädlichen Wirkungen, die darin liegt, daß sie den Zuzug zu den großen Städten fort während vermehren (Landflucht) und daher mit dazu beitragen, die sozialen Schäden zu steigern, die der Verminderung der ackerbautreibenden Bevölkerung und einer übermäßigen Anhäufung der Bevölkerung in den Städten anhaften. Es ist nicht zu verkennen, daß die vielfache Berührung der Bevölkerung, die die E. ermöglichen, auch so manche andere geistige und sittliche Schäden mit sich bringt (Herumtreiben von Hochstaplern, Verbreitung gemeingefährlicher Bestrebungen).</p><lb/>
          <p>Auch auf die Volksgesundheit sind die E. nicht ohne Einfluß, indem sie die Gefahr einer raschen Verbreitung von Epidemien und Tierseuchen heraufbeschwören. Aber gerade dadurch haben sie wieder das Bestreben gesteigert, der Verbreitung solcher Krankheiten nachdrücklich entgegenzuwirken und haben so neue große Erfolge der medizinischen Wissenschaft indirekt herbeigeführt. Nie vorher war es möglich, den Epidemien so wirksam Einhalt zu tun wie jetzt.</p><lb/>
          <p>III. <hi rendition="#g">Einfluß der E. auf Volksbildung, Wissenschaften und Künste</hi>.</p><lb/>
          <p>Die E. sind ein hervorragendes Bildungs- und Erziehungsmittel; sie erleichtern mit der Beseitigung der Entfernung das Studium fremder Kultur und gestatten die Benutzung der Lehranstalten und Kunstschätze in großen Zentren. Die Kunst- und Studienreisen haben ihren gegenwärtigen Umfang erst durch die E. erreicht. Der Besuch höherer Lehranstalten hat erst durch die E. seine jetzige Ausbildung erfahren, weil die Fahrpreisermäßigungen für Schüler auch minder bemittelte Eltern in den Stand setzen, ihren Kindern die Vorteile einer guten wissenschaftlichen Bildung zu teil werden zu lassen; auch steigerte der Eisenbahnbau und Eisenbahnbetrieb den Bedarf nach höher gebildeten Fachleuten. Die Benutzung der Bildungsmittel aller Art, der Zeitungen, Bücher u. s. w., wird durch die E. stark gefördert.</p><lb/>
          <p>Die Kongresse und Zusammenkünfte zur Förderung wissenschaftlicher, politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Zwecke verdanken &#x2013; wie schon erwähnt &#x2013; ihr Dasein den E. Sie führten endlich in den Ausstellungen zu förmlichen Wettkämpfen in den Bestrebungen des Friedens. Diese stellten die vorzüglichsten Erzeugnisse der Industrie und Gewerbe, die verschiedenen gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste vor Augen, veranlaßten zum Prüfen und Vergleichen der Leistungen und Einrichtungen und geben zu weiteren Fortschritten auf allen Gebieten des Lebens Anstoß. Kein Vorteil, den Erfindungen und Fortschritte bieten, bleibt so Eigentum <hi rendition="#g">eines</hi> Volkes; er wird bald Gemeingut der ganzen Welt.</p><lb/>
          <p>Man kann wohl behaupten, daß die wissenschaftliche Forschung und die Kunstpflege erst vermöge des durch die E. erleichterten Verkehrs im Eisenbahnzeitalter einen besonderen Aufschwung nahmen.</p><lb/>
          <p>Die Blüte der Ingenieurwissenschaften und fast aller anderen technischen Wissenschaften ist vor allem den E. zu verdanken.</p><lb/>
          <p>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0043] Die E. vermehren die Einnahmen des Staates, u. zw. durch die Erhöhung der Verkehrs-, Einkommen- und Grundsteuern, Patentgebühren, Stempel, Zölle u. s. w. Außerdem ersparen die E. dem Staat Auslagen infolge der Leistungen, die den Bahnen für öffentliche Zwecke auferlegt werden (Post- und Militärbeförderung, unentgeltliche Beförderung von Zoll- und Finanzbeamten). Schließlich verdankt der Staat den E. auch insofern eine Erhöhung an Einnahmen, als durch die E. die Entwicklung der Industrie gefördert und dadurch die Steuerkraft vermehrt wird. Es ist kein Zweifel, daß die E. auch die verschiedenen Staaten einander näher bringt und durch die gewaltige Steigerung des Verkehrs, Begünstigung der Industrie, des Handels und des wirtschaftlichen Wettbewerbs ausgleichend wirkt. Schon der ungehinderte Verkehr auf den Schienenwegen, der Übergang der Fahrzeuge aus einem Reich in ein anderes (bei den „Expreßzügen“, wie Paris-Konstantinopel, Petersburg-Nizza, Berlin-Rom u. s. w.) veranlaßte zu einheitlichen internationalen Grundsätzen, wie die verschiedenen internationalen Kongresse, die jetzt auf allen Gebieten stattfinden, beweisen. Sie sind das unmittelbare Ergebnis der ausgleichenden Macht des durch die E. geschaffenen Weltverkehrs, der alle Reichsgrenzen gewaltsam durchbricht. In sozialer Beziehung ist die E. von besonderer Bedeutung für die unteren Klassen, die erfahrungsmäßig den größten Teil der Reisenden ausmachen. Der nicht seßhafte Arbeiter verdankt dem demokratischen Beförderungsmittel eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse; denn die E. ermöglicht ihm, dort den Erwerb zu suchen, wo er seine Arbeitskraft am besten verwerten kann. Regelmäßige Arbeiterzüge und ermäßigte Fahrpreise gestatten dem Arbeiter, seinen Wohnort außerhalb seines Beschäftigungsortes da zu nehmen, wo er billigere Lebensbedingungen vorfindet. Im Zusammenhang damit sind ganze Arbeiterkolonien zufällig oder planmäßig angelegt worden. Hiermit mildern die E. auch eine ihrer schädlichen Wirkungen, die darin liegt, daß sie den Zuzug zu den großen Städten fort während vermehren (Landflucht) und daher mit dazu beitragen, die sozialen Schäden zu steigern, die der Verminderung der ackerbautreibenden Bevölkerung und einer übermäßigen Anhäufung der Bevölkerung in den Städten anhaften. Es ist nicht zu verkennen, daß die vielfache Berührung der Bevölkerung, die die E. ermöglichen, auch so manche andere geistige und sittliche Schäden mit sich bringt (Herumtreiben von Hochstaplern, Verbreitung gemeingefährlicher Bestrebungen). Auch auf die Volksgesundheit sind die E. nicht ohne Einfluß, indem sie die Gefahr einer raschen Verbreitung von Epidemien und Tierseuchen heraufbeschwören. Aber gerade dadurch haben sie wieder das Bestreben gesteigert, der Verbreitung solcher Krankheiten nachdrücklich entgegenzuwirken und haben so neue große Erfolge der medizinischen Wissenschaft indirekt herbeigeführt. Nie vorher war es möglich, den Epidemien so wirksam Einhalt zu tun wie jetzt. III. Einfluß der E. auf Volksbildung, Wissenschaften und Künste. Die E. sind ein hervorragendes Bildungs- und Erziehungsmittel; sie erleichtern mit der Beseitigung der Entfernung das Studium fremder Kultur und gestatten die Benutzung der Lehranstalten und Kunstschätze in großen Zentren. Die Kunst- und Studienreisen haben ihren gegenwärtigen Umfang erst durch die E. erreicht. Der Besuch höherer Lehranstalten hat erst durch die E. seine jetzige Ausbildung erfahren, weil die Fahrpreisermäßigungen für Schüler auch minder bemittelte Eltern in den Stand setzen, ihren Kindern die Vorteile einer guten wissenschaftlichen Bildung zu teil werden zu lassen; auch steigerte der Eisenbahnbau und Eisenbahnbetrieb den Bedarf nach höher gebildeten Fachleuten. Die Benutzung der Bildungsmittel aller Art, der Zeitungen, Bücher u. s. w., wird durch die E. stark gefördert. Die Kongresse und Zusammenkünfte zur Förderung wissenschaftlicher, politischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Zwecke verdanken – wie schon erwähnt – ihr Dasein den E. Sie führten endlich in den Ausstellungen zu förmlichen Wettkämpfen in den Bestrebungen des Friedens. Diese stellten die vorzüglichsten Erzeugnisse der Industrie und Gewerbe, die verschiedenen gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen, die Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaften und Künste vor Augen, veranlaßten zum Prüfen und Vergleichen der Leistungen und Einrichtungen und geben zu weiteren Fortschritten auf allen Gebieten des Lebens Anstoß. Kein Vorteil, den Erfindungen und Fortschritte bieten, bleibt so Eigentum eines Volkes; er wird bald Gemeingut der ganzen Welt. Man kann wohl behaupten, daß die wissenschaftliche Forschung und die Kunstpflege erst vermöge des durch die E. erleichterten Verkehrs im Eisenbahnzeitalter einen besonderen Aufschwung nahmen. Die Blüte der Ingenieurwissenschaften und fast aller anderen technischen Wissenschaften ist vor allem den E. zu verdanken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T17:32:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T17:32:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein

Spaltenumbrüche sind nicht markiert. Wiederholungszeichen (") wurden aufgelöst. Komplexe Formeln und Tabellen sind als Grafiken wiedergegeben.

Die Abbildungen im Text stammen von zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/43
Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/43>, abgerufen am 06.06.2024.